Dramatischer Engpass: Restaurants und Kneipen geht das Personal aus
In der Gastro- und Hotelbranche fehlt nach der Pandemie überall das Personal. Während des Lockdowns haben sich viele Minijobber und Fachkräfte neu orientiert. Die MOPO hat mit zwei Hamburger Köchen gesprochen, die ihr Glück nun hinter dem Steuer und auf dem Tennisplatz suchen.
„Ich war gerne Koch, aber ich musste häufiger den Betrieb wechseln, weil Läden pleite gingen“, sagt Georgios Hatzekonstantinides zur MOPO. Der 37-Jährige ist heute als Busfahrer in Hamburg unterwegs. „Sicherheit war für mich wichtig, denn ich habe vier Kinder und werde eben nicht jünger.“ Geregelte Arbeitszeiten hätten bei der Entscheidung ebenfalls eine Rolle gespielt „Als Koch war ich teilweise von 7 bis 22 Uhr im Einsatz,“ sagt er.
Hamburger wechselte vom Koch zum Busfahrer
Über einen Wechsel habe sich der 37-Jährige schon vor der Pandemie Gedanken gemacht. „Jetzt höre ich auch von einigen meiner Freunde aus der Gastro, dass sie während der Pandemie den Arbeitsplatz verloren haben oder sich umorientieren“, sagt Hatzekonstantinides. Das Busfahren mache ihm großen Spaß, weil er an jeder Haltestelle etwas Neues erlebe. „Ich bin ein ganz anderer Mensch geworden und deutlich entspannter“, sagt der 37-Jährige. Das Kochen vermisse er natürlich schon ein bisschen, aber damit könne er besser leben als mit dem Stress in den alten Jobs.
Pandemie: Viele Branchenwechsel aus der Gastronomie
In der Hotellerie und Gastronomie sowie in der Industriebranche sind laut Hamburger Arbeitsagentur besonders viele Arbeitnehmer während der Pandemie in andere Branchen abgewandert. Vor allem Minijobber hätten sich neue Arbeitsplätze gesucht. Obwohl der Lockdown vorbei ist, kehren nicht alle Arbeitnehmer:innen in ihren alten Job zurück.
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Das beobachtet auch die Arbeitsagentur: „In der Hotellerie und Gastronomie fehlt immer noch Personal“, sagt Marina Marquardt, Sprecherin der Agentur für Arbeit Hamburg zur MOPO. „Manche Betriebe schließen früher oder legen einen zusätzlichen Ruhetag ein, weil Personal fehlt.“ Im Juli seien es 2.200 oder 5,8 Prozent weniger Mitarbeiter als vor einem Jahr gewesen. Die Zahlen werden immer drei Monate rückwirkend erhoben.
Aus der Sterneküche auf den Tenniscourt
Der Hamburger Sternekoch Marc Müller (48) hat sich während der Pandemie ebenfalls für einen Jobwechsel entschieden. „Während des Lockdowns konnte ich tatsächlich das erste Mal durchatmen und hatte mehr Zeit für die Familie. Als ich nach Corona wieder angefangen habe zu arbeiten fehlte mir einfach völlig die Motivation“, sagt er zur MOPO. Im Küchenteam des Restaurants „Villa am See“ am Tegernsee als auch als alleiniger Küchenchef im Restaurant „5“ in Stuttgart erkochte Müller jeweils einen Stern. In Hamburg war er unter anderem im „Mutterland“ und im Restaurant „Santé“ tätig.
Früher habe sein Tag oft 16 Stunden gehabt – Zeit für Urlaub gab es kaum. Jetzt will Müller eine Ausbildung zum Tennislehrer machen. Das Tennisspielen bringe ihm sowohl körperliche Fitness als auch mentale Ruhe. „Viel verdient man in dem Job aber nicht, daher werde ich weiterhin Küchen beraten, Rezepte und Konzepte verkaufen“, sagt er. „In meiner Branche haben sich viele umorientiert in der Corona-Zeit, weil sie gemerkt haben, dass sie andere Arbeitsbedingungen brauchen.“
Das sagt der Branchenverband Dehoga
„Tatsächlich besteht ein großer Personalmangel und zwar sowohl im gelernten wie auch ungelernten Bereich“, bestätigt der Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga)Niklaus Kaiser von Rosenburg der MOPO. Viele Mitarbeiter hätten nicht nur die Branche sondern auch in andere Bundesländer gewechselt, die „offensiver“ mit den Lockerungen umgegangen sind als Hamburg.
Die große Unsicherheit um die Zukunft der Branche habe das Interesse an einer Ausbildung „negativ beeinflusst“, so der Sprecher. Der Branchenverband fordert daher unter anderem fachspezifische Vermittlungsabteilungen in den Arbeitsagenturen einzurichten. Zudem sollte laut Dehoga Menschen aus Nicht-EU-Ländern mit praktischer Vorbildung die Einwanderung ermöglicht werden, wenn ein Arbeitsplatz nachgewiesen werden kann.
Personalmangel: Das sagen die Chefs
Und was sagen die Chefs? Axel Strehlitz ist Geschäftsführer des „Klubhaus“ auf der Reeperbahn und betreibt unter anderem die „Wunderbar“ oder den „Sommersalon“. „Wir hatten Glück im Unglück und konnten sehr viele Mitarbeitende während der Pandemie in unseren Teststationen beschäftigen, so dass sie keine Einbußen hatten“, sagt er zur MOPO. „Nun gehen sie den Weg zurück in die Gastronomie mit dem guten Gefühl, einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben.“ Doch stünden auch seine Lokale vor der Herausforderung, dass immer Mitarbeiter:innen gesucht würden.
Markus Gutendorff, Vorstand der Block House Restaurantbetriebe AG, sagt: „In den letzten Monaten konnten wir wieder mehr Mitarbeiter einstellen. Dennoch bleibt die Situation angespannt.“ Weil der Betrieb wisse, wie wichtig Flexibilität und private Planungssicherheit sind, biete er Mitarbeitern individuell angepasste Arbeitszeiten und die Möglichkeit, sich in die Dienstplangestaltung einzubringen.
Stabilisiert sich der Arbeitsmarkt in Zukunft?
Ob sich der Arbeitsmarkt in naher Zukunft stabilisiert? „Seit acht Monaten sinkt die Arbeitslosigkeit. Zugleich steigt der Fachkräftebedarf“, sagt die Sprecherin der Hamburger Arbeitsagentur. Fast 76.000 arbeitslose Hamburger:innen meldete die Agentur im September 2021. Das sind rund 11 Prozent weniger als im September 2020 während der Pandemie – aber immer noch fast 18 Prozent mehr als vor der Pandemie im September 2019. Der Fachkräftemangel ist ein Problem, das dem deutschen Arbeitsmarkt schon vor der Pandemie zugesetzt hat. Laut Experten könnte er sich in Zukunft noch verstärken, weil immer mehr Menschen aus der Generation der Babyboomer in Rente gehen und weniger junge Leute nachrücken.
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Trotzdem sagen Arbeitsmarktforscher, dass sich insgesamt eine Entspannung der Lage auf dem Arbeitsmarkt andeute. Laut der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werde die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 wieder stärker wachsen. Die Erwerbstätigkeit nehme spürbar zu und man rechne aufgrund eines „kurzfristigen Nachholeffekts bei den Zuzügen nach Deutschland sowie einem Wiedereintritt vieler Arbeitskräfte nach dem Abflauen der Pandemie“ mit zusätzlichen Arbeitskräften, heißt es in einer IAB-Analyse.