Vor solchen Radwegen haben die Hamburger Angst
Hamburg trauert: Wieder einmal ist ein Radfahrer tödlich verunglückt, ein Lkw überrollte ihn am Freitag in Barmbek. An der Unglücksstelle kreuzen sich Radweg und Autospur – eine Streckenführung, die schon länger in der Kritik steht.
Am Sonntag sind rund 70 Menschen in die Habichtstraße gekommen. Sie liegen auf der Straße und trauern bei einer Mahnwache um den getöteten 47-Jährigen. Er war auf seinem Fahrrad unterwegs, als ein Lkw-Fahrer ihn beim Spurwechsel übersah und mit seinem Fahrzeug tödlich verletzte. Trotz Reanimationsversuchen verstarb der Mann noch vor Ort.
Tödlicher Unfall in Hamburg auf Fahrradweiche
Der genaue Unfallhergang ist noch nicht rekonstruiert, aber so viel ist laut Polizei bislang klar: Der Lkw-Fahrer (56) wollte von seinem Fahrstreifen nach rechts auf die Abbiegerspur in Richtung Bramfelder Straße wechseln. Dabei überquerte er den Radstreifen, der zwischen den Spuren liegt, und kollidierte aus bislang nicht abschließend geklärter Ursache mit dem Fahrradfahrer. Der 47-Jährige wurde dabei überrollt.
Der bisher bekannte Unfallhergang ist so traurig wie klassisch. Noch immer sind Abbiegeunfälle eine der Hauptursachen für schwere und tödliche Unfälle zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrer:innen. Die Fahrspurlösung wie in der Habichtstraße sollte durch ihre Separierung von Auto- und Radverkehr eigentlich ursprünglich das Unfallrisiko mindern. Die Frage, ob das wirklich erreicht wird, wirft aber nicht nur der jüngste tödliche Unfall auf.
Fahrradweichen stehen in der Kritik
Seit Ende der 90er Jahre gibt es die sogenannten Radfahrstreifen in Mittellage (RiM), auch als Fahrradweichen bekannt, in Hamburg. Kritiker:innen der Verkehrsführung sprechen von „Angstweichen“, weil Radfahrer:innen bei der Konstruktion im Sandwich zwischen Autos fahren müssen. Ebenfalls problematisiert wird – wie nun in Barmbek mit tragischem Ausgang gesehen – das Risiko des Auto-Spurwechsels über den Radweg zum Abbiegen.
Eine Studie der Technischen Universität Berlin, die immer wieder ins Feld geführt wird, kommt zu dem Ergebnis, dass die Sicherheit durch Fahrradweichen keineswegs verbessert wird. Demnach verringert sich zwar die absolute Zahl der Unfälle durch den Einsatz der Fahrradweichen, allerdings häufen sich wiederum die schweren Unfälle. „Die mit der RiM-Markierung erhoffte deutliche Reduktion solcher Unfälle, die auf Abbiegefehler von Kfz-Nutzenden zurückzuführen sind, konnte an den untersuchten RiM nicht nachgewiesen werden“, heißt es in dem Papier aus 2019, das 48 Knotenpunkte in die Analyse aufnahm. Vor allem die Unfälle im Verflechtungsbereich – also dort, wo Autos die Radspur kreuzen müssen – „sind als höchst problematisch zu bewerten“.
Hamburg will künftig keine Fahrradweichen mehr bauen
In Hamburg hat die rot-grüne Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass man künftig „Kreuzungsdesigns mit verstärktem Fokus auf der Sicherheit des Radverkehrs“ errichten wolle. Auch Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) hat sich zum Ziel gesetzt, schwere Unfälle mit Fahrrädern weiter zu reduzieren. In puncto Fahrradweichen gibt es bereits seit 2020 ein Umdenken in der Stadt. Politik und die Radinitiative „Radentscheid Hamburg“ hatten ausgehandelt, dass künftig in Hamburg keine neuen Fahrradweichen geplant werden. Darauf wies auch Senator Anjes Tjarks am Wochenende auf Twitter hin. Viele bisherige Planungen würden noch einmal neu durchgeführt und RiMs daraus „verschwinden“, so Tjarks.
Klar ist aber auch, dass nicht jede langjährige Planung völlig über Bord geschmissen werden wird. Dort, wo es bereits Fahrradweichen gibt oder noch kommen werden, sollen die Fahrradwege zumindest rot markiert werden. Dies war in der Habichtstraße jedoch noch nicht erfolgt.
Verkehrsbehörde bestürzt über tödlichen Unfall
Die Verkehrsbehörde um Tjarks zeigte sich nach dem tödlichen Unfall betroffen. „Wir sind zutiefst bestürzt über den tragischen Unfall, der sich am vergangenen Freitag ereignet hat und sind nun zusammen mit der Verkehrsdirektion um die Aufklärung der genauen Umstände bemüht, die derzeit noch andauert“, sagte Sprecher Dennis Krämer der MOPO. Man wolle für eine genaue Bewertung noch bis zu den Ermittlungsergebnissen abwarten. Allgemein strebe die Verkehrsbehörde aber „eine deutlich stärkere Trennung der Auto-, Rad- und Fußverkehre an als in der Vergangenheit“. So habe man dies bereits aktuell in der Esplanade und am Dammtordamm umgesetzt.
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Sollte der Unfall, so wie es derzeit aussieht, im kausalen Zusammenhang mit der Fahrradweiche in der Habichtstraße stehen, könnte bald eine weitere politische Reaktion folgen.
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