Er kam den Cum-Ex-Steuerräubern auf die Schliche
Steuerraub in Millionenhöhe: Der Cum-Ex-Skandal hat auch in Hamburg hohe Wellen geschlagen. Journalist Oliver Schröm ist den Deals mit seinem Team auf die Schliche gekommen und enthüllte Verstrickungen führender SPD-Politiker wie Olaf Scholz. Seine Recherchen hat er jetzt im Buch „Die Cum-Ex-Files“ veröffentlicht. Die MOPO hat mit dem Wahl-Hamburger über die Gier der Superreichen gesprochen, warum der Skandal jeden angeht und welche Rolle die Politik dabei wirklich spielte.
MOPO: Herr Schröm, eigentlich hatten Sie mit dem Thema Cum-Ex vor ihren Recherchen nichts zu tun. Wie sind Sie auf den Skandal aufmerksam geworden?
Oliver Schröm: Ich weiß es noch genau. Ich stand an den Landungsbrücken im September 2013 und war auf dem Weg in die ,Stern‘-Redaktion – ich war damals Investigativ-Chef. Ein Anruf kam rein und der Anrufer erzählte mir etwas von Cum-Ex. Was ich verstand, war, dass es um dubiose Aktiengeschäfte in der Schweiz ging. Deshalb wollte ich wissen, ob er mir einen Anleger nennen kann. Er sagte: Carsten Maschmeyer. So konnte ich einschätzen, dass es eine Geschichte sein könnte.
Wie funktioniert der Steuerraub mit Cum-Ex?
Aktien werden ganz schnell im Kreis ge- und verkauft. Es wird der Eindruck erweckt, dass eine Aktie zwei oder mehr Inhaber hat. Jeder Inhaber bekommt eine Bescheinigung für die Erstattung der Kapitalertragssteuer, die vorher nur einmal entrichtet wurde. Cum-Ex ist für mich Diebstahl. Jemand greift in die Staatskasse und holt sich Geld raus, das ihm nicht gehört.
Die Deals finden in einer Parallelwelt der Superreichen statt. Warum sollten sich denn auch Normalverdiener damit beschäftigen?
Man muss Cum-Ex nicht im Detail verstehen. Das ist ähnlich wie mit dem Diesel-Skandal: Ich muss nicht verstehen, wie der Chip programmiert ist, der die Autos manipuliert. Aber ich weiß, es gibt eine Schummel-Software und die Auswirkungen sind dramatisch für die Umwelt. Ich muss nicht unbedingt die Formel verstehen, aber das Ergebnis. Da bestiehlt jemand den Staat und damit uns alle. Durch ein öffentliches Bewusstsein entsteht auch politischer Druck.
Was sind das für Leute, die schon einen Porsche vor der Tür stehen haben und noch einen zweiten wollen?
Ich kenne nicht nur die Ermittler-Seite, sondern ich kenne auch die Täter-Seite teilweise sehr gut. Sie sind einfach giergetrieben. Beschuldigter ist zum Beispiel auch Christian Olearius, Mitinhaber der Hamburger Warburg-Bank. Sein Privatvermögen wird auf mehr als 600 Millionen Euro geschätzt. Er ist unter den 1000 Beschuldigten bei der Kölner Staatsanwaltschaft aktuell der einzige Inhaber einer Bank, der auch privat in Cum-Ex-Deals investiert hat. Reichen ihm die Millionen nicht, um in Blankenese friedlich zu leben? Offensichtlich nicht.
Wie viel Geld ist der deutschen Staatskasse durch den Steuerraub entwendet worden?
Zwischen 2000 bis 2020 ist nach unseren Berechnungen allein in Deutschland ein Schaden von 36 Milliarden Euro entstanden. Konservativ gerechnet. Es kann auch doppelt so viel sein. Weltweit waren es etwa 150 Milliarden.
Warum hat der Staat nichts gegen diese Deals unternommen, das wird nicht unbekannt geblieben sein?
Es gab immer wieder Whistleblower und Warnungen. Egal, wer Finanzminister war, ob Eichel, Steinbrück oder Scholz, alle haben sich nicht mit Ruhm bekleckert und diese Geschäfte laufen lassen. Warum, das ist die große Frage. Da gibt es unterschiedliche Interpretationen. Der Finanzrichter Helmut Lotzgeselle hat in einem Interview gesagt, er gehe davon aus, dass die Politik die Banken deckt.
In Hamburg läuft ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der klären soll, ob führende SPD-Politiker wie Olaf Scholz (damals Bürgermeister) und Peter Tschentscher (damals Finanzsenator) Einfluss auf die Entscheidungen des Finanzamts nahmen. Wie kommt es zu dieser Vermutung?
Da bin ich nicht ganz unschuldig. Mit den Kollegen von ,Panorama‘ und der ,Zeit‘ habe ich 2020 enthüllt, dass Olaf Scholz sich mit Christian Olearius getroffen hat und da ging es eben um diese Steuerverfahren. Zunächst wollte das Hamburger Finanzamt mehr als 170 Millionen aus Cum-Ex-Geschäften von Warburg zurückfordern, dann folgten Treffen von Olearius und Scholz und ein paar Tage später forderte das Finanzamt nicht zurück. Ein Teilbetrag von 47 Millionen verjährte. Es steht die Vermutung im Raum, dass Scholz und oder Tschentscher Einfluss genommen oder einfach zugeschaut haben.
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Bisher sagten alle Zeugen aus, dass sie keine Einflussnahme beobachtet haben. Meinen Sie, der PUA könnte für die Scholz und Tschentscher noch Konsequenzen haben?
Ich bin überzeugt, dass noch einige Sachen ans Tageslicht kommen und wir werden weiter dranbleiben. Bisher wurden fast nur Zeugen gehört, die mutmaßliche Mittäter sind. Dass die nicht gegen sich selbst aussagen, darf niemanden überraschen. Ab Dezember kommen jetzt mal andere Zeugen, vorneweg Anne Brorhilker, Staatsanwältin aus Köln. Sie ermittelt gegen zwei der Entlastungszeuginnen. Einerseits wegen Falschaussage, andererseits wegen Untreue, Geldwäsche und Begünstigung. Wo so viel Rauch ist, da ist auch Feuer und es stinkt gewaltig.
In ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie von den Anwälten der Superreichen immer wieder unter Druck gesetzt werden. Wie viele Klagen sind nach Veröffentlichung des Buchs schon bei Ihnen eingegangen?
(klopft auf Holz) Gegen das Buch ist noch keine Klage eingegangen, aber es macht den Kohl auch nicht mehr fett. Ich habe den Überblick verloren, wie viele Verfahren noch offen sind. Es geht darum, uns Journalisten in Verfahren reinzuziehen, die Geld und Zeit kosten, um uns von der eigentlichen Arbeit abzuhalten. Für Olearius ist das Portokasse.
Cum-Ex wurde dieses Jahr von höchstrichterlicher Stelle als illegal bewertet. Laufen die Geschäfte trotzdem weiter?
Cum-Ex ist illegal, aber bei Cum-Cum laufen die Geschäfte nach wie vor weiter. Da gibt es noch immer einige Leute, die Cum-Cum weiter für legal halten – einfach unfassbar. Man muss sich Cum-Ex-Geschäfte wie einen Virus vorstellen, der seine DNA ständig verändert. Die Geschäfte heißen vielleicht anders, aber das Grundmuster ist dasselbe.
Was muss von staatlicher Seite passieren, um diese Geschäfte endgültig unmöglich zu machen?
Es gibt mehrere Ebenen, um das zu verhindern. Man muss es zum Beispiel technisch unmöglich machen und man bräuchte mehr Personal für die Aufklärung solcher Straftaten. Dafür braucht es wiederum politischen Willen.
Oliver Schröm ist einer der renommiertesten Investigativ-Journalisten Deutschlands. Er gründete 2010 das Team „Investigative Recherche“ beim „Stern“ und leitete es, bis er zum NDR-Magazin „Panorama“ wechselte. 2018 wechselte er als Chefredakteur zum Recherchezentrum „Correctiv“. Ende 2019 kehrte er zu „Panorama“ zurück. Schröm ist Autor und Co-Autor mehrerer Enthüllungsbücher. Für seine Recherchen erhielt er zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, unter anderem den Deutschen Journalistenpreis. In seinem neuen Buch „Die Cum-Ex-Files“ nimmt er die Leser:innen mit auf seine abenteuerliche Recherchereise zur Aufdeckung des größten Steuerraubs der deutschen Geschichte.
Die Cum-Ex-Files, Ch. Links Verlag, Berlin 2021, 18 Euro.