Trotz „Freedom Day“ niedrigste Inzidenz Europas – wie ist das möglich?
Schweden hat vor einigen Wochen den „Freedom Day“ gefeiert und geht schon seit Beginn der Pandemie einen umstrittenen Sonderweg. Trotzdem ist die Inzidenz in keinem anderen europäischen Land niedriger als dort. Wie ist das möglich?
Nach einem ruhigen Sommer entschied Schweden Ende September, alle Beschränkungen aufzuheben. Mit Blick auf die Nachbarländer überrascht es, dass ein Anstieg der Corona-Infektionen ausblieb: Die Inzidenz bleibt konstant unter 60. Auch die Lage auf den Intensivstationen ist weiterhin entspannt und die Zahl der Todesfälle ist rückläufig.
Schweden hat ähnliche Impfquote wie Deutschland
Warum Schweden derzeit so glimpflich davonkommt, könnte mehrere Ursachen haben. Zum einen könnte es mit der Impfquote zusammenhängen. Auf den ersten Blick ist die ähnlich wie in Deutschland: Laut den Daten von „Our World in Data“ sind in Schweden 67,4 Prozent der gesamten Bevölkerung geimpft, hierzulande liegt die Rate mit 67,7 Prozent minimal darüber (Stand 18. November).
Die Impfungen verteilen sich allerdings unterschiedlich auf die einzelnen Altersgruppen: In Schweden liegt die Impfquote bei den über 60-Jährigen höher. In Deutschland sind 85,7 Prozent dieser Altersgruppe geimpft, in Schweden sind es mehr als 90 Prozent. Das könnte zumindest erklären, warum die Zahlen der Intensivpatienten und Todesfälle in Schweden niedrig bleiben.
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Entscheidend dürfte auch die niedrige Bevölkerungsdichte sein: Auf rund 450.000 Quadratkilometern leben gerade einmal 10,4 Millionen Schweden. Hierzulande sind es 83,1 Millionen Menschen, die sich rund 360.000 Quadratkilometer teilen.
Hohe Infektions- und Todesraten durch Schwedens Sonderweg
Und: In Schweden gibt es zwar keine strikten Corona-Maßnahmen – die scheinen aber derzeit auch gar nicht notwendig zu sein. Die Gesundheitsbehörden sprechen weiterhin je nach Lage Empfehlungen aus. Und die Bevölkerung orientiert sich daran, denn das Vertrauen ist groß. Die schwedischen Bürger würden sich weiter gut an die Abstands- und Hygieneregeln halten, sagte Anders Tegnell, Schwedens Chefepidemiologe, Ende Oktober dem Deutschlandfunk.
Schwedens Sonderweg mit Empfehlungen statt Vorgaben hat allerdings gerade zu Beginn der Pandemie zu hohen Infektions- und Todesraten geführt – und ist deshalb sehr umstritten gewesen. In einem Zwischenbericht kommt eine Untersuchungskommission zu einem vernichtenden Urteil: Insbesondere in den ersten Monaten der Pandemie seien die Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen nicht ausreichend gewesen.
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Einer Studie zufolge hat Schwedens zurückhaltende Corona-Strategie außerdem dazu beigetragen, dass das Virus in andere Länder getragen werden konnte. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Universität Uppsala in Schweden, des Norwegischen Instituts für öffentliche Gesundheit und der Universität Sydney in Australien. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Eurosurveillance“ veröffentlicht.
Schweden für Weiterverbreitung von Corona mit verantwortlich
Der Untersuchung liegt die Analyse von 71.000 Patientenproben zugrunde. Anhand dieser Proben wurde eine Art genetischer Stammbaum für die Ausbreitung des Virus in den nordischen Ländern erstellt. Das Resultat: In mehreren hundert Fällen hatten Infektionsketten mit einem Ursprung in Schweden die Landesgrenzen überschritten. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Schwedens Eindämmungsstrategie einen Einfluss auf die epidemiologische Situation im Land und in der gesamten nordischen Region hatte“, heißt es.
Klar ist auch: Nur weil die Corona-Infektionen in Schweden in den vergangenen Wochen konstant niedrig geblieben sind, muss das nicht so bleiben. Tegnell rechnet damit, dass die Winterwelle sein Land letztendlich auch treffen wird.
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Auch Schwedens Gesundheitsministerin Lena Hallengren rechnet mit einem Anstieg der Fälle im Winter. Das Land sei „nicht vom Rest der Welt isoliert“. Angesichts der Entwicklung in den Nachbarländern führt Schweden deshalb ab dem 1. Dezember einen Corona-Impfpass ein, der vorerst auf öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten, Theatern und Sportereignissen vorgezeigt werden soll. Für Veranstalter, die den Ausweis nicht verlangen, sollen dafür strenge Personenbeschränkungen gelten.