Holzkiste mit Fotos
  • In dieser Holzkiste mit alten Fotos befanden sich die Bilder vom Stapellauf der „Cap Arcona“.
  • Foto: Nina Gessner

Hamburger Hafen: Rätsel um ein altes Familien-Foto

Die alten Fotos zeigen einen Event im Hamburger Hafen. Schiffe mit dampfenden Schornsteinen. Feine Herren mit Hüten, Damen mit Glockenhüten und alle blicken hin zu einem gigantischen Schiff, das alles andere überragt. Was zeigen diese Bilder? Das war lange ein Familienrätsel. Der Opa, der die Fotos aufgenommen hatte, ist seit 1977 tot. Ein Zufall sorgte nun für Auflösung – und machte den Fotografen posthum zum Zeugen eines wichtigen Ereignisses in der Geschichte Hamburgs.

Angefangen hatte alles mit einer kleinen Holzkiste. Jahrzehntelang stand sie bei meiner Mutter im Schrank. Denn mit dem Inhalt konnte niemand etwas anfangen: Alte, vergilbte Fotos von Menschen, die nicht zur Familie gehören und deshalb nicht in den Fotoalben kleben. Aufnahmen von Landschaften, die in Sepia wenig malerisch wirken. Und dann diese Bilder aus dem Hafen.

Eine Ausstellung im Internationalen Maritimen Museum bringt Licht ins Dunkel

Was hatte mein Opa, der Puddingpulver-Fabrikant Adolf Jacobi (1898-1977), damals durch seine Kamera gesehen und dokumentiert? Selbst mit der Lupe war der Name des riesigen Schiffes, um das sich bei dem Event im Hafen alles zu drehen schien, nicht zu entziffern.

Zu klein das Format der damals üblichen 8×6-Zentimeter-Abzüge. „Kann das weg?“, fragte meine Mutter irgendwann letztes Jahr. Sie wollte den alten Kram loswerden und hatte selbst als Tochter des Verstorbenen keine Verwendung mehr dafür.

Statt in den Müll wanderten die Bilder in mein Notizbuch – und wurden erstmal wieder vergessen. Bis jetzt. Beim Pressetermin zur Eröffnung der Ausstellung „Hamburg Süd – 150 Jahre auf den Weltmeeren“ im Internationalen Maritimen Museum blätterte ich vor zwei Wochen durch das Buch zur Ausstellung und sah plötzlich – DAS Schiff! Der gleiche dunkle Koloss, die Menschen mit Hüten, fast die gleiche Perspektive. Es ist die „Cap Arcona“!

Der Stapellauf der „Cap Arcona“ am 14. Mai 1927 war in Hamburg ein Großereignis

Sowohl auf dem Foto meines Opas als auch auf der Aufnahme im Buch zur Ausstellung aus dem Koehler Verlag (39,90 Euro) ist die „Cap Arcona“ mit Kränzen behangen. Kein Zweifel: Mein Opa gehörte zu den Gästen des Stapellaufs am 14. Mai 1927 und stand ganz vorne in der Reihe, als der Luxusdampfer bei Blohm+Voss zu Wasser gelassen wurde.

Es war ein gesellschaftliches Großereignis. Tausende Hamburger jubelten dem neuen Stolz der Reederei Hamburg Süd zu, als er sich an diesem offenbar wenig freundlichen Mai-Tag erstmals der Stadt präsentierte. In den kommenden Monaten wurde noch die drei Schornsteine ergänzt, die Decksaufbauten bekamen einen weißen Anstrich, weshalb die „Cap Arcona“ als eines der schönsten Schiffe ihrer Zeit galt.

Die „Cap Arcona“ brachte Auswanderer von Hamburg nach Südamerika

Am 19. November 1927 verließ sie Hamburg auf ihrer Jungfernfahrt nach Argentinien. 15 Tage dauerte die Überfahrt Hamburg-Buenos Aires. Bis 1939 fuhren mehr als 200.000 Passagiere mit der „Cap Arcona“ von und nach Südamerika – die meisten waren Luxusreisende oder Auswanderer. Dann war es vorbei mit der goldenen Zeit.

Nach Kriegsbeginn wurde die „Cap Arcona“ von der deutschen Marine konfisziert. Mit den Atlantik-Überfahrten war es nun vorbei. Das Einsatzgebiet hieß jetzt: Ostsee. Dort wurde der Luxusdampfer als Wohnschiff für die U-Boot-Besatzungen des Stützpunktes Gotenhafen (heute Gdynia) genutzt. Und er diente als Kulisse für einen Film über den Untergang der Titanic, der nie gezeigt wurde. Ab Ende 1944 brachte die „Cap Arcona“ Flüchtlinge aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein.

Tausende Tote: Kurz vor Kriegsende wird das Schiff zum schwimmenden Vernichtungslager

Die Katastrophe, welche die „Cap Arcona“ für immer in die finsterste Ecke der deutschen Geschichte brachte, geschah am 3. Mai 1945, als das Schiff in der Lübecker Bucht zum schwimmenden Vernichtungslager wurde. Wohl mit Kalkül hatte die SS rund 4600 KZ-Häftlinge aus dem geräumten Lager Neuengamme auf die vor Neustadt liegende „Cap Arcona“ getrieben, weitere 2300 auf die „Thielbek“. Dann wurden die Schiffe auf Fahrt gebracht um sie ins Visier britischer Aufklärer zu bringen.

Als genau das geschah, erhielten die Bomber der Royal Airforce den Einsatzbefehl „Zerstörung der feindlichen Schiffsansammlung in der Lübecker Bucht“. Um 15 Uhr feuern Typhoon-Kampfbomber des 198. Geschwaders auf die Schiffe. Die „Cap Arcona“ wird 64 Mal getroffen und brennt lichterloh.

Die in Panik geratenen KZ-Häftlinge an Bord versuchen zu fliehen, werden jedoch von SS-Leuten unter Deck eingesperrt. Auch die „Thielbeck“ wird getroffen. Sie sinkt binnen 15 Minuten. Häftlinge, denen der Sprung ins Wasser dennoch gelang, werden von deutschen Kuttern aus erschossen. Nur 600 der insgesamt rund 7000 Häftlinge auf beiden Schiffen überleben die Katastrophe, die zu den schrecklichsten Ereignissen der Seefahrtsgeschichte überhaupt gehört.

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Was mein Opa wohl gedacht hat, als er von der Zerstörung des Schiffes hörte, das er einst so bewundert hatte? Wie sehr hat ihn der Tod der Häftlinge mitten in diesem Kriegsgeschehen berührt? Hat er überhaupt in diesen Tagen vom Untergang der „Cap Arcona“ gehört? Der Zerstörung des Schiffes geschah am gleichen Tag, an dem die Stadt Hamburg kapitulierte. Die letzte Ausgabe der nationalsozialistischen „Hamburger Zeitung“ erschien genau an jenem 3. Mai. Der „Völkischer Beobachter“ war schon am 30. April eingestellt worden.

Das NS-Propaganda-System war zusammengebrochen, als die Briten die Verwaltung der Hansestadt übernahmen. Die Deutungshoheit über die historischen Ereignisse war von einem Tag auf den anderen verschoben. Besonders schwierig im Fall der „Cap Arcona“, bei dem es um die Frage der Schuld am Tod tausender Menschen ging. Bis heute hat kein Gericht die Verantwortung der deutschen oder der britischen Beteiligten an der Tragödie um die „Cap Arcona“ aufgearbeitet.

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