Klima, Mindestlohn, Mieten, Cannabis: Beschlossen! Das plant die Ampel
Deutschland steht an einer historischen politischen Wegmarke: Zwei Monate nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP ihre Koalitionsverhandlungen abgeschlossen und damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung gelegt.
„Die Ampel steht“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Mittwoch in Berlin. „SPD, Grüne und FDP haben sich in den Verhandlungen auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verständigt und damit auf ein neues Regierungsbündnis.“ Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, „sondern um eine Politik der großen Wirkung“, sagte Scholz. „Wir wollen mehr Fortschritt wagen.“
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck bezeichnete den Koalitionsvertrag als ein „Dokument des Mutes und der Zuversicht“. FDP-Chef Christian Lindner betonte: „Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt.“ Er sagte voraus, dass Scholz ein „starker Bundeskanzler“ wird.
Was steht drin im Koalitionsvertrag? Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Mehr Tempo beim Klimaschutz
Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Bislang galt das Ziel, bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent erreicht zu haben. Die künftigen Koalitionspartner wollen laut Vertrag einen ehrgeizigen Ausbau von Wind-und Solarenergie vorantreiben und Hürden auf dem Weg dorthin abbauen. Deutlich mehr sauberer Strom soll dann auch einen vorgezogenen Kohleausstieg ermöglichen – „idealerweise“ bereits bis zum Jahr 2030. Bisher soll die klimaschädliche Kohleverstromung in Deutschland bis spätestens 2038 beendet werden.
Gelingen soll der nun angestrebte massive Ausbau laut Koalitionsvertrag mit schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren und neuen Vorgaben. Dazu gehört eine Solardachpflicht: Künftig sollen „alle geeigneten Dachflächen“ für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend sein, bei privaten Neubauten nach Möglichkeit zur Regel werden.
Für den Ausbau von Windrädern gibt es ebenfalls neue Festlegungen: So sollen künftig zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie an Land zur Verfügung stehen, die Kapazitäten für Windenergie auf See werden auf mindestens 30 Gigawatt bis 2030 angehoben. In den Jahren 2035 und 2045 sollen diese Kapazitäten laut Vertrag auf jeweils 40 und 70 Gigawatt steigen. 2030 sollen außerdem 50 Prozent der Wärme in Deutschland klimaneutral erzeugt werden.
Mindestlohn soll erhöht werden
SPD, Grüne und FDP wollen den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Nach der einmaligen Anpassung werde die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden, heißt es im Koalitionsvertrag.
Derzeit beträgt die Lohnuntergrenze 9,60 Euro brutto. Laut bisheriger Rechtslage steigt der Mindestlohn zum 1. Januar auf 9,82 Euro und zum 1. Juli auf 10,45 Euro. Die Erhöhung auf 12 Euro war ein Kernversprechen von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Wahlkampf.
Verschärfung der Mietpreisbremse
Die Mietpreisbremse soll verlängert und verschärft werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent.
Ob die Lage in einem Gebiet als angespannt gilt, entscheiden jeweils die Bundesländer. Die Mietpreisbremse in ihrer aktuellen Form gilt bei einer Wiedervermietung, jedoch nicht bei Neubauten und nicht bei der ersten Neuvermietung nach einer umfassenden Modernisierung. Die Mietpreisbremse soll zudem bis zum Jahr 2029 verlängert werden.
Darüber hinaus sollen die Regelungen für qualifizierte Mietspiegel überarbeitet werden. Diese werden genutzt, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Damit werden Mieterhöhungen begründet und bei einem Umzug in ein Gebiet mit Mietpreisbremse zulässige Mieten festgestellt. Es gibt einfache und qualifizierte Mietspiegel – für letztere gelten zusätzliche Qualitätskriterien.
Für Gemeinden über 100.000 Einwohnerinnen sollen qualifizierte Mietspiegel verpflichtend werden. Bis 2030 wollen SPD, Grüne und FDP Obdach- und Wohnungslosigkeit „überwinden“ und dafür einen Nationalen Aktionsplan auflegen.
Die Ampel-Parteien wollen sich zudem zum Ziel setzen, dass pro Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100 000 öffentlich geförderte Wohnungen. Die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau und soziale Eigenheimförderung soll weitergehen und die Mittel dafür erhöht werden.
Neues Bau-Ministerium
SPD, Grüne und FDP haben sich auf ein neues Bundesministerium für Bauen verständigt. Vorgesehen ist zudem eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Das Innenministerium gibt die Bauabteilung an das neu geschaffene Ministerium ab.
Neben dem Bundeskanzleramt, das vom SPD-Politiker Olaf Scholz als Bundeskanzler und einem Kanzleramtsminister geleitet werden soll, wird es künftig 15 statt bisher 14 Bundesministerien geben. Davon sollen sechs von der SPD besetzt werden (Innen und Heimat, Verteidigung, Bauen, Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), fünf von den Grünen (Wirtschaft und Klimaschutz, Auswärtiges Amt, Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und vier von der FDP (Finanzen, Verkehr und Digitales, Bildung und Forschung sowie Justiz).
Kontrollierte Cannabis-Abgabe
Die Ampel-Koalition will eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einführen. Dadurch würden „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Das geplante Gesetz solle nach vier Jahren auf „gesellschaftliche Auswirkungen“ überprüft werden. Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis.“ Bei der Vorbeugung gegen Missbrauch von Alkohol und Nikotin wollen die drei Parteien „auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen“ setzen.
Im Blick stehen sollen auch Modelle zum „Drug-Checking“. Bei solchen Angeboten können zum Beispiel Partygänger auf dem Schwarzmarkt gekaufte Drogen auf Reinheit testen lassen.
Mehr Geld für die Bahn und Stärkung des Nahverkehrs
SPD, Grüne und FDP wollen mehr Geld in die Schiene stecken und Reformen bei der Deutschen Bahn. Eine in den Koalitionsverhandlungen diskutierte Aufspaltung der bundeseigenen Bahn gibt es aber nicht. Bei den Autobahnen und Bundesstraßen soll ein stärkerer Fokus auf Erhalt und Sanierung gelegt werden.
Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur müssten weiter erhöht und langfristig abgesichert werden, heißt es. „Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen.“
Durch den „Deutschlandtakt“ sollen künftig die Züge zwischen den größten Städten im Halbstundentakt fahren. An zentralen Bahnhöfen sollen die Züge ungefähr gleichzeitig eintreffen und kurz darauf wieder abfahren. Lange Umsteigezeiten von einer halben Stunde und mehr soll es dann nicht mehr geben, Reisezeiten sollen kürzer werden.
Der öffentliche Nahverkehr soll ebenfalls gestärkt werden: Ab 2022 sollen dafür die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöht werden. Außerdem sollen auch im kommenden Jahr pandemiebedingte Einnahmeausfälle ausgeglichen werden.
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen Länder und Kommunen in die Lage versetzen, Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern. Ziel ist, die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern.“ Gemeinsam mit Ländern und Kommunen sollen Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit für urbane und ländliche Räume definiert werden.
Führerschein ab 16
Die Koalitionäre wollen das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren ermöglichen. Damit sollten Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr geschult werden, heißt es.
Bisher ist das begleitete Fahren ab 17 Jahren möglich. Bis zum 18. Geburtstag besteht die Auflage, den Pkw nur in Begleitung einer mindestens 30-jährigen Begleitperson zu fahren.
Die FDP hatte in ihrem Wahlprogramm geschrieben: „Wir Freie Demokraten wollen das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 Jahren ermöglichen.“
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Mehr Einwanderung gegen Fachkräftemangel
Die Koalitionäre wollen dem Mangel an Fachkräften in Deutschland entgegenwirken. Deutschland brauche mehr Arbeitskräfteeinwanderung, heißt es im Koalitionsvertrag. Das Einwanderungsrecht solle weiterentwickelt werden. Neben dem bestehenden Recht solle mit der Einführung einer „Chancenkarte“ auf Basis eines Punktesystems eine zweite Säule etabliert werden, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
„Die Blue Card werden wir im nationalen Recht auf nicht-akademische Berufe ausweiten“, heißt es. Voraussetzung werde ein konkretes Jobangebot zu marktüblichen Konditionen sein. Zugleich sollten Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgesenkt werden.
Der Mangel an qualifizierten Fachkräften in vielen Branchen könne eines der größten Hindernisse für Wirtschaftswachstum und für die Sicherung von Wohlstand sein, heißt es im Koalitionsvertrag. Die neue Bundesregierung wolle daher die Fachkräftestrategie und die Weiterbildungsstrategie weiterentwickeln. Zu wesentlichen Bausteinen zählen demnach neben mehr Einwanderung höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Für berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung brauche es einen neuen Schub.
Schnellere Asylverfahren und „Rückführungsoffensive“
SPD, Grüne und FDP wollen Asylverfahren und Familienzusammenführungen beschleunigen und zugleich eine „Rückführungsoffensive“ starten. „Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“
Für schnellere Asylverfahren will die neue Koalition das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entlasten. „Wir wollen schnellere Entscheidungen in Asylprozessen sowie eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung und werden dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen“, kündigten die drei Parteien an. Die umstrittenen Ankerzentren für Flüchtlinge werden demnach von der neuen Bundesregierung nicht weiterverfolgt.
Zugleich kündigten die Ampel-Parteien an, die Rückführung von ausreisepflichtigen Menschen voranzutreiben. „Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern“, heißt es in dem Koalitionsvertrag. Der Bund werde die Bundesländer bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen.
Die freiwillige Ausreise hab aber stets Vorrang. „Die staatliche Rückkehrförderung für Menschen ohne Bleiberecht wollen wir finanziell besser ausstatten“, kündigten die Koalitionspartner an. Zudem soll es möglich sein, für einzelne Herkunftsländer einen temporären nationalen Abschiebestopp zu erlassen.
Neues Staatsangehörigkeitsrecht
Die Ampel plant für Deutschland ein neues Staatsangehörigkeitsrecht. Es sollten die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglicht und der Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfacht werden, heißt es im Koalitionsvertrag . Eine Einbürgerung solle in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen bereits nach drei Jahren.
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Abschaffung des Transsexuellengesetzes
Die Ampel-Parteien wollen das umstrittene Transsexuellengesetz abschaffen. Es solle „durch ein Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Dies umfasse „ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft“ möglich mache.
Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung
Die Ampel-Parteien wollen das umstrittene Werbeverbot für Abtreibung vollständig abschaffen. Der entsprechende Paragraf 219a im Strafgesetzbuch werde gestrichen, heißt es im vereinbarten Koalitionsvertrag, der am Mittwoch vorgestellt werden sollte. Ärzte dürfen zwar bisher schon über darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, können aber bestraft werden, wenn sie dabei auch die verwendete Methode nennen. (due/afp/dpa)