„Wir fallen durchs Raster“: Hamburger Seniorin über die Belastung in der Pandemie
Zu Hause bleiben, soziale Kontakte einschränken – und das nun seit fast einem Jahr. „Wir müssen die ältere Bevölkerung schützen“ appelliert der Senat seit Beginn der Pandemie. Die Folgen der Isolation rücken dabei in den Hintergrund. Die Hamburgerin Dagmar Z. (71) spürt die Folgen am ganzen Körper – sie spricht von innerer Unruhe, zermürbender Langeweile und Ängsten, die sich anfühlten wie ein Herzinfarkt.
„Es geht allen nicht gut im Moment“, sagt Dagmar Z. im Gespräch mit der MOPO. Die Aussage wirkt fast entschuldigend, als dürfe sie sich eigentlich gar nicht beschweren. Sie wohnt allein, was vor der Pandemie kein Problem war. „Ich liebe es zu kochen und Menschen zu bewirten“, sagt sie. Normalerweise ist sie viel unterwegs – auf ein Glas Wein oder ein Essen mit Freunden, zu einer Kunstausstellung, ins Museum oder zum Sport.
Hamburgerin: „Ich konnte die Angst nicht mehr aushalten“
„Jetzt ist die Motivation weg“, sagt sie. In den Tag startet sie mit zwei Kaffee und der MOPO. Dann noch ein Blick auf andere Online-Portale, Mails und zur Beruhigung eine Partie Bridge auf dem Tablet. Der Haushalt wird gemacht und der nächste Spaziergang an der Elbe. „Ich kann gar nicht mehr lesen“ sagt sie. „Ich habe mein ganzes Leben viel gelesen, aber jetzt überkommt mich eine so starke Unruhe, dass ich das Buch weglege.“
Vor zwei Monaten rief Z. den Notarzt und wurde mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Kurze Zeit später stellte sich heraus, es war psychosomatisch – sie hatte Angst. „Ich konnte diese Angst nicht mehr aushalten“, sagt sie. Sie sei in Wellen gekommen, ihre Arme fingen an zu kribbeln. „Mein Bruder hatte das auch.“ Mittlerweile nimmt sie pflanzliche Beruhigungsmittel.
Hamburg: Zuhause lebende Senioren werden vergessen
„Wir fallen irgendwie durchs Raster“, sagt Z. Mit „wir“ sind die Hamburger Senioren gemeint, die in ihren eigenen vier Wänden leben – viele von ihnen allein. Der Anteil der Hamburger über 65 Jahre liegt bei 18,2 Prozent, das geht aus den Daten des Statistikamtes Nord von 2019 hervor. Insgesamt sind das 342.549 Menschen. In Pflegeheimen leben derzeit knapp 16.000 Menschen.
Mittlerweile freue sie sich schon über ein längeres Gespräch mit der Apothekerin und bedankt sich herzlich dafür. Sie ist zwar digital durchaus gut aufgestellt, hat ein Tablet und ein Smartphone, „aber die Gesprächsthemen werden weniger. Ich weiß gar nicht was ich noch erzählen soll“, sagt sie. Angst vor einer Ansteckung habe sie nicht, aber Respekt vor der Krankheit. Sie wünscht sich ihren Freiraum zurück: „Wie wäre es denn mit Outdoor-Gastronomie? Das ist gut für die Psyche, und der Gastronomie hilft es auch.“