Anschlag vor Synagoge in Hamburg: Antisemit oder Psycho? Prozessbeginn gegen Attentäter
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Schuldig oder krank? Antisemit oder Psycho? Um diese Fragen geht es seit Freitag vor dem Hamburger Landgericht in dem Verfahren gegen den Attentäter an der Synagoge Hohe Weide. Der 29-jährige Grigoriy K. hatte einen jüdischen Studenten mit einem Spaten attackiert und lebensgefährlich verletzt.
Viel zu sehen ist nicht von dem Beschuldigten: Ein schwarzer Hoodie, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, eine Maske vor dem Gesicht – so sitzt Grigoriy K. im Verhandlungssaal des Hamburger Landgerichts. Seine Hände sind gefesselt. Nur seinen Namen sagt der Mann. Sein Geburtsdatum. Seinen Geburtsort. Und dass er keinen Übersetzer braucht. Das Deutsch des gebürtigen Kasachen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist flüssig.
Hamburg: Öffentlichkeit ist von dem Verfahren ausgeschlossen
Was war das Motiv seines Angriffs am 4. Oktober 2020? Das wird die Öffentlichkeit vielleicht nie erfahren. Denn gleich zu Beginn des Verfahrens wurden die Presse und alle Zuschauer von der Verhandlung ausgeschlossen. Lediglich eine Vertreterin der jüdischen Gemeinde durfte bleiben – „weil davon ausgegangen wird, dass es ein gezielter Angriff auf ein Mitglied der jüdischen Gemeinde war“, erklärte ein Gerichtssprecher.
Vieles spricht für ein antisemitisches Motiv: Grigoriy K. hatte bei dem Anschlag eine Militäruniform getragen. In seiner Tasche steckte ein Zettel mit einem Hakenkreuz. Dennoch gelangten die Ermittler schon kurz nach der Tat zu der Einschätzung, dass der Verdächtige womöglich schuldunfähig sein könnte. So soll er sich von Dämonen und Reptilienmenschen verfolgt gefühlt haben. Das Hakenkreuz hätte ihn schützen sollen, so seine Erklärung – in der ursprünglichen Bedeutung als Symbol des Lichts und der Sonne. Wegen starker psychischer Auffälligkeiten kam Grigoriy K. in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus und nicht in Untersuchungshaft.
Proteste vor dem Gerichtsgebäude in Hamburg
Auch das Verfahren vor dem Landgericht ist nun kein Strafprozess, sondern ein sogenanntes Sicherungsverfahren. Zwar wirft die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten versuchten heimtückischen Mord und gefährliche Körperverletzung vor. Zugleich gilt K. allerdings krankheitsbedingt als schuldunfähig. Laut einem Gutachter leidet er unter einer akuten paranoiden Schizophrenie. Ziel des Verfahrens ist es daher, eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie zu erreichen.
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Draußen vor dem Gerichtsgebäude regte sich Protest gegen diese Einschätzung. Zahlreiche Demonstranten warfen dem Gericht die „Vertuschung eines rechtsextremistischen Anschlags“ vor. Auf einem riesigen Transparent stand: „Gegen jeden Antisemitismus“.
Jüdische Gemeinde sieht antisemitisches Motiv
Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, hatte dem NDR gesagt, es könne keinen Zweifel an einem judenfeindlichen Motiv geben. „Es muss anerkannt werden, dass wir als jüdische Gemeinschaft bedroht sind.“ Wie solle man antisemitische Taten in Zukunft verhindern, wenn man sie nicht einmal als antisemitisch benenne, fragte Stricharz.
Die Bedrohung – sie wird vor allem das 26-jährige Opfer des Anschlags nun für immer begleiten. Der Student, der am 4. Oktober mit einer Kippa auf dem Kopf in Richtung Synagoge ging, um an einer Feier zum Laubhüttenfest teilzunehmen, trat am heutigen Freitag als Zeuge vor Gericht auf. Er hatte die Attacke nur knapp überlebt und leidet noch immer an den Folgen.
Gericht verhandelt ab jetzt ohne den Beschuldigten
Grigoriy K. hat laut dem Gerichtssprecher von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, sich nicht zu den Vorwürfen zu äußern. Die Kammer habe dann auf der Grundlage einer ärztlichen Stellungnahme entschieden, dass die weitere Verhandlung ohne den Beschuldigten stattfinden soll. Grund: Es bestehe die Gefahr, dass sich Grigoriy K.s Gesundheitszustand durch die Anwesenheit weiter verschlechtern würde. Das Gericht hat vier weitere Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte am 31. März verkündet werden.