„Damit haben wir nicht gerechnet“: Wie St. Pauli sich selbst überraschte
Wenn man nach einem 1:1 in Düsseldorf danach gefragt wird, wie sehr man sich darüber ärgere, wenn davon die Rede ist, man sei ausgebremst worden oder gestolpert – dann hat man unterm Strich sehr, sehr viel richtig gemacht. Sicher hat St. Paulis Trainer Timo Schultz recht, wenn er sagt: „Wir waren dem Sieg näher.“ Aber er befand auch: „Es ist ein Punkt, über den wir uns freuen und mit dem wir leben können.“ Zumal dann, wenn er gereicht hat, um einen neuen Rekord aufzustellen und sieben Zähler Polster auf Rang drei zu manifestieren.
Der FC St. Pauli hat durch das dritte Unentschieden der Saison die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte gespielt. 36 Zähler hatten die Braun-Weißen auch in der Spielzeit 2011/12 zum Bergfest auf der Habenseite, Marcel Hartels Treffer zur Führung in Düsseldorf (47.) machte am Ende dann den Unterschied. 36:20 Tore hatte St. Pauli vor zehn Jahren, nun sind es – auch weil Rouwen Hennings noch der Ausgleich gelang (68.) – 37:20.
Ex-St. Paulianer Rouwen Hennings mit riesigem Respekt vor seinem alten Arbeitgeber
Fortunas ehemaliger Kiezkicker, der auch im zarten Alter von 34 Jahren noch immer gern gegen den alten Arbeitgeber trifft („St. Pauli scheint mir zu liegen“), war es am Samstagabend vorbehalten, die immer wiederkehrenden Lobeshymnen der Kontrahenten in seine eigenen Worte zu kleiden. „St. Pauli ist die stärkste Mannschaft der Liga“, befand Hennings voller Hochachtung, „die haben eine unfassbare Qualität. Sie haben sehr viele sehr gute Spieler und stehen auch zu Recht da oben.“
Noch vor elf Monaten stand der FC St. Pauli kurz vor dem Sturz in die Drittklassigkeit
Daran hegt mittlerweile kaum noch jemand ernsthafte Zweifel. Und das – man kann sich das gar nicht oft genug vor Augen führen – nur elf Monate, nachdem die Hamburger Anfang Januar zur Pause des Nachholspiels bei den Würzburger Kickers in Unterzahl mit 0:1 hinten gelegen und wie ein sicherer Absteiger ausgesehen hatten. „Wir als Verein haben damals zusammengestanden und die richtigen Schlüsse gezogen“, erinnerte sich Timo Schultz. Er glaube, dass die aktuelle Tabellenposition „und vor allem der Punktestand“ Resultat der Arbeit sei, die alle zusammen gemacht haben.
Die aktuelle Situation ist Lohn einer gemeinschaftlichen Gesamtanstrengung beim FC St. Pauli
Alle zusammen. Zwei Worte, die tatsächlich nahezu alles auf den Punkt bringen und die es sozusagen verbieten, die branchenüblichen Kategorien zur Saisonhalbzeit auszurufen. Es gibt keinen einzelnen „Spieler der Hinrunde“, natürlich auch keinen Verlierer, nichts dergleichen. Es gibt beim FC St. Pauli im Dezember 2021 nur einen wirklichen Gewinner, und das ist das große Ganze: Vom Präsidium über Sportchef, Trainerteam, Mannschaft und Staff bis hin zu den Fans, die sich lang, sehr lang zurückerinnern müssen, mal so viel Freude beim Anschauen der Spiele gehabt zu haben.
St. Pauli stellt den besten Torjäger der Liga und hat trotzdem zwölf verschiedene Torschützen
„Die Art und Weise, wir wir Fußball spielen, ist schon gut“, beschrieb Schultz seine Eindrücke. „Wir haben in jedem Spiel versucht, nach vorne zu spielen. Das ist mal besser, mal schlechter gelungen.“ Generell ersteres, schließlich ist man nicht nur Spitzenreiter, sondern hat neben zwölf verschiedenen Torschützen („Das ist schon eine Ansage, aber von mir aus können noch ein paar hinzukommen“) in Guido Burgstaller auch den Top-Knipser der Liga in seinen Reihen.
Das könnte Sie auch interessieren: Die Noten zu St. Paulis Spiel in Düsseldorf
Die Dynamik der positiven Entwicklungen, das räumte Schultz auch ein, habe ihn überrascht. „Wir waren schon überzeugt, dass wir eine vernünftige Rolle und gut Fußball spielen werden. Aber dass es so gut läuft, damit haben wir nicht gerechnet.“
Aber wenn es läuft, dann läuft es halt, auch gern in des Wortes wahrster Bedeutung. Wie schon in Nürnberg und gegen Schalke knackte der FC St. Pauli in Düsseldorf die 120-Kilometer-Marke in Sachen Laufleistung, stellte mit knapp 122 Kilometern gar eine Saisonbestleistung auf. Und das am letzten Hinrunden-Spieltag, wo man gemeinhin eher auf dem Zahnfleisch unterwegs ist. Chapeau!
St. Pauli stellt am letzten Hinrunden-Spieltag eine neue Lauf-Bestleistung auf
Schultz weiß indes auch, dass genau dieses Engagement, dieser Wille, an Grenzen und darüber hinaus zu gehen, Basis allen Erfolgs ist. „Wir sind eine Mannschaft, die viel trainieren, fit sein und Gas geben muss“, sagte er. „Wir wissen, dass uns nichts geschenkt wird.“ Zumal dann nicht, wenn man als von allen Gejagter in die zweiten 17 Partien der Spielzeit geht.
Aber davor ist Schultz kein bisschen bange. „Ich wüsste nicht, was an der Rückrunde hart werden sollte“, erklärte der 44-Jährige. „Wir stehen auf dem ersten Platz, wir spielen tollen Fußball, wir haben viele tolle Spieler in der Mannschaft. Wir arbeiten einfach so weiter wie bisher, können sogar noch eine Schippe drauflegen. Und dann schauen wir mal, was am Ende dabei rauskommt.“