Die Frau aus dem Lokführer-Häuschen: Warum Sinnica (19) die große Hoffnung der Bahn ist
Früher, als man noch Kohlen schaufeln musste, war Lokomotivführer ein klassischer Männerberuf. Und obwohl diese Zeiten längst vorbei sind, entscheidet sich kaum eine Frau für den Job an der Zugfront. Sinnica Mehles ist da die große Ausnahme. Die 19-Jährige macht in Hamburg eine Ausbildung zur Lokführerin.
Die Weichen wurden schon früh gestellt. Dass Sinnica einmal zur Bahn gehen würde, wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. Der Vater ist Lokführer. Auch die Mutter ist bei der Bahn. Die große Schwester ist Fahrdienstleiterin und stellt im Stellwerk die Signale. Nun ist auch die Jüngste in der Familie Mehles auf den Zug aufgesprungen.
Ausbildungs-Rekord bei der Deutschen Bahn
„Ich bin ganz oft mit meinem Vater mitgefahren“, erzählt Mehles, die aus einem kleinen Dorf bei Stuttgart stammt. „Es hat mir gefallen, dass man so viel herum kommt.“ Berlin, Kassel, Hamburg, Kiel – für die junge Schwäbin war das die große, weite Welt. Städte, die sie nicht kannte. Eine davon, ist nun ihre zweite Heimat geworden. Oder vielleicht auch nur eine Station.
Mehles hat in Hamburg einen der begehrten Ausbildungsplätze bei der Deutschen Bahn ergattert. 4700 junge Menschen haben vergangenes Jahr eine Ausbildung bei dem bundeseigenen Eisenbahnkonzern gestartet. Dieses Jahr werden es 5000 Nachwuchskräfte sein – ein neuer Rekord.
Deutsche Bahn will Frauenquote erhöhen
Dabei legt die Bahn großen Wert auf die Einstellung von Frauen. In den kommenden drei Jahren soll die Frauenquote in den Führungspositionen auf 30 Prozent erhöht werden. Derzeit sind es nur 23 Prozent. Auch nach Lokführerinnen muss man mit der Lupe suchen: Bundesweit sind nur 4,6 Prozent der Lokführer weiblich. In Hamburg sind es sogar nur 3,4 Prozent.
Fabian Wylenzek, Leiter der Personalgewinnung für die Region Nord bei der Bahn, erklärt das so: „Gemischte Teams sind kreativer. Und sobald eine Frau in einem Team ist, ist das Klima besser, die Atmosphäre freundlicher.“ Zahlreiche Studien belegen diese Einschätzung. Wylenzek: „Wir meinen das sehr ernst mit den 30 Prozent!“
In ihrer Ausbildungsgruppe ist Sinnica Mehles die einzige Frau
Noch ist das Ziel aber nicht erreicht. „In meiner Ausbildungsgruppe bin ich die einzige“, sagt Mehles und lacht. Der fröhlichen Brünette aus dem Schwabenländle macht das nicht die Bohne etwas aus. „Ich werde weder ausgegrenzt noch bevorzugt“, sagt sie. Sinnica Mehles fühlt sich wohl in dem Unternehmen, mit dem sie irgendwie ja auch groß geworden ist.
Von ihrer Familie und von ihren Freundinnen erlebt Sinnica Mehles viel Zuspruch, auch wenn die Freundinnen alle in eine soziale Richtung gehen und Altenpflegerinnen oder Erzieherinnen werden. „Ich hab mich immer schon für technische Fragen interessiert“, sagt die Auszubildende. Am Lokführer-Job fasziniert sie eines ganz besonders: „Dass man mit einem kleinen Hebel eine solch große Masse in Bewegung setzen kann.“
Einmal hatte die Lokführerin einen blinden Passagier an Bord
Seit September vergangenen Jahres lenkt Sinnica Mehles unter Aufsicht ICEs quer durch Deutschland. Bisher ohne größere Probleme. „Einmal gab es auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg eine Flachstelle am Mittelwagen.“ Heißt: Ein Rad lief nicht mehr rund. Meistens bekommt der Lokführer davon gar nichts mit. Der Zugführer nimmt das ungewöhnliche Geräusch wahr und meldet es nach vorne. „Ich durfte dann nur noch 160 km/h fahren“, erklärt Mehles. Bei der nächsten geeigneten Abstellmöglichkeit musste sie die Schwachstelle mit einem Spezial-Lineal untersuchen. Die Fahrt wurde nach der Unterbrechung fortgesetzt.
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Eine andere Unterbrechung, die sie einleiten musste, ergab sich durch einen blinden Passagier. „Der Mann hatte kein Ticket und keinen Ausweis dabei“, so Mehles. Die junge Azubi gab der Bundespolizei die Wagennummer durch, die den Mann dann am nächsten Bahnhof direkt an der Zugtür abholte.
Deutsche Bahn gilt als krisensicheres Unternehmen
Sorgen um ihre Zukunft muss Sinnica Mehles sich nicht machen. Die Deutsche Bahn gilt als krisensicheres Unternehmen. Trotz Corona gibt es keine Kurzarbeit. Es gibt rund 500 verschiedene Berufe im Unternehmen, die einen Wechsel je nach Lebenslage oder Neuorientierung ermöglichen. „Wenn ich später mal eine Familie habe und die Arbeit im Schichtdienst schwierig wird, würde ich gerne in den Ausbildungsbereich wechseln“, sagt Mehles. Dann wird sie nicht nur eine kompetente Trainerin mit viel Erfahrung sein, sondern auch ein Vorbild für die sicherlich bald wachsende Schar an Lokführer-Azubinen.