Der „Imperator“ aus Hamburg: Deutschlands Antwort auf die „Titanic“
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Wäre Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs kein Staat, sondern ein Mensch gewesen, dann hätte der Patient gut daran getan, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Diagnose wäre sehr ernst ausgefallen: schwerer Fall von Minderwertigkeitskomplex, verbunden mit dem ständigen Versuch, Schwächen durch größenwahnsinniges Auftreten zu kompensieren. Was das alles mit diesem Schiff, dem „Imperator“, zu tun hat? Ganz viel!
Denn dabei handelt es sich um 52.117 Bruttoregistertonnen stählerne Großmannssucht. Deutschland will es den Engländern 1913 mal so richtig zeigen. Der Hapag-Luxusliner muss also alle Rekorde brechen und das größte Schiff der Welt sein. Mit Rücksicht auf den Kaiser erhält der 276 Meter lange und fast 30 Meter breite Pott nicht den eher friedlichen und integrierenden Namen „Europa“, wie eigentlich geplant, sondern wird „Imperator“ getauft. Wohlgemerkt: nicht „die Imperator“, wie es üblich wäre – Schiffsnamen sind immer weiblich –, sondern „der“. Wilhelm II. wünscht es so.
16 Meter Flügelspannweite hat der Adler am Bug
Dass dann auch noch ein Adler mit 16 Metern (!) Flügelspannweite als Galionsfigur gewählt wird – auf dem Kopf die Kaiserkrone und in den Krallen die Erdkugel mit dem Satz „Mein Feld ist die Welt“ –, lässt keinen Zweifel mehr am deutschen Hegemonialanspruch zu. Umso unangenehmer, dass sich bei der Jungfernfahrt 1913 ein peinlicher Konstruktionsfehler zeigt und der Pott plötzlich Schieflage kriegt.
Der „Imperator“ ist Teil eines nationalistischen Überbietungswettbewerbs, den sich das Deutsche Reich seit 1900 mit den Briten liefert. Großbritannien herrscht über die halbe Welt, nun beansprucht das junge und wirtschaftlich sehr erfolgreiche Deutsche Reich ebenfalls seinen „Platz an der Sonne“. Ein Wettrüsten zur See beginnt, das sich nicht allein auf Kriegsschiffe beschränkt, sondern sich im zivilen Bereich mit immer größeren Riesendampfern fortsetzt.
Wenige Monate zuvor ist die unsinkbare „Titanic“ gesunken
Mit der „Titanic“ bauen die Briten ein Schiff, dessen Betriebskosten so hoch sind, dass die Einnahmen sie wohl niemals hätten decken können. Das zeigt: Es geht nicht um Geld, sondern um Prestige. Kaum liegt der vermeintlich unsinkbare Luxusliner – von einem Eisberg aufgeschlitzt wie eine Konservendose – auf dem Grund des Atlantiks, antwortet die Hamburger Reederei Hapag mit der Indienststellung des „Imperators“.
Die Geschichte dieses nicht nur größten, sondern auch modernsten Luxusdampfers seiner Zeit beginnt am 23. Mai 1912. Ein regnerischer Donnerstag. Um 8.20 Uhr erreicht der Sonderzug des Kaisers den Dammtorbahnhof. Wilhelm II. trägt eine prächtige Admiralsuniform, darüber einen Regenmantel mit Kapuze. Freudig nimmt er die „Heil“-Rufe der Passanten entgegen, bevor er ins Automobil steigt und weiter bis zum Hafen fährt, wo die Menschenmassen bereits warten. Der „Imperator“ soll getauft werden, und Hamburgs Bürgermeister Johann Heinrich Burchard ist ausersehen, die Taufrede zu halten.
„Triumph deutscher Schiffbaukunst“
Er wählt pathetische Worte: dass nämlich das Schiff „in seinen gewaltigen Abmessungen“ hinausrage über die anderen Schiffe, so wie der Kaiser hinausrage über Deutschlands Fürsten. Burchard spricht von einem „Triumph deutscher Schiffbaukunst“ und schließt mit den Worten: „So tauche in die Wellen, du gewaltiges Schiff! Sonnenbeglänzt und erfolgreich wie unseres Kaisers gesegnetes Leben sei deine Meerfahrt.“
Danach ist der Monarch an der Reihe: „Ich taufe dich ,Imperator‘.“ Nur diese vier Worte spricht er. Sekunden später gleitet der Vierschraubendampfer unter gewaltigem Getöse in die Elbe. Die Menschen werfen ihre Hüte in die Luft. Die Nationalhymne ertönt.
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Zwei Schwesterschiffe sind schon im Bau
Der „Imperator“ ist das neue Flaggschiff der Reederei Hapag und das erste Schiff einer neuen Schnelldampfer-Flotte. Zwei Schwesterschiffe sind bereits im Bau: die „Vaterland“, die ebenfalls 1913, und die „Bismarck“, die 1914 bei Blohm+Voss vom Stapel laufen. Die drei Schiffe zusammen sind von Hapag-Chef Albert Ballin dazu auserkoren, wöchentlich eine Abfahrt von Europa nach Amerika zu garantieren.
Restaurants, Salons und Wintergärten
Der „Imperator“ bietet Platz für 4000 Passagiere. Zum Vergleich: Bei der „Titanic“ waren es 2800. Diejenigen unter den Gästen, die ein Erste-Klasse-Ticket haben, genießen unvergleichlichen Luxus: 1200 Mann Besatzung – vom Schlachter über den Silberputzer bis hin zum Steward – kümmern sich um das Wohlergehen der Gäste. Gold und Marmor in den Badezimmern, im Wintergarten Palmen und plätschernde Springbrunnen, sogar ein Schwimmbad gibt es – ein absolutes Novum. Um das leibliche Wohl kümmert sich als Küchenchef kein Geringerer als Auguste Escoffier, ein Mann, der die französische Haute Cuisine entscheidend prägt.
Der „Imperator“ ist das erste Schiff mit Schwimmbad
Im Juni 1913 läuft der „Imperator“ von Cuxhaven zur Jungfernfahrt nach New York aus. Der berühmte Journalist Alfred Kerr (1867-1948) gehört zu den ersten Passagieren. „Als ich das Riesendeck entlangsah, überkam mich ein Gefühl frohlockender Bewunderung, das ich im hohen Gestänge des Eiffelturms gespürt hatte. Ein Glück über technischen Mut.“ Der „Imperator“ sei das „entwickeltste Schiff der Erde, weil es nicht allein das Notwendige, sondern das Überschüssige gibt.“
„Ein Ungetüm, für das unseren Sprachen der Name fehlt“
Der Schweizer Journalist Karl Friedrich Kurz schwärmt, es handele sich um „eines der größten Wunderwerke, das Menschengeist erdacht und Menschenhand erschaffen“ habe. „Ein ungeheuerliches Riesenwerk, das aufgehört hat, ein Schiff zu sein, das eine schwimmende Stadt geworden ist, ein unüberwindliches Bollwerk, ein Ungetüm, für das unseren Sprachen der Name fehlt.“
Genügend Rettungsboote für alle Passagiere
Nicht nur in Sachen Luxus, auch technisch ist das Schiff auf der Höhe der Zeit: Aus dem Untergang der „Titanic“ wenige Monate zuvor haben die Konstrukteure Lehren gezogen: Es gibt genügend Rettungsboote für alle an Bord. Und die Schotten sind raufgezogen bis unters Oberdeck. Die furchtbare Katastrophe von 1912 kann sich also kaum wiederholen.
Wie vorgesehen endet die Jungfernfahrt nach sieben Tagen in New York. Beim Anlegen passiert dann das Missgeschick: Der „Imperator“ neigt sich so stark zur Seite, dass alles, was nicht befestigt ist, von den Tischen fällt. Plötzlich wird klar: Das Schiff hat einen viel zu hohen Schwerpunkt. Dann bricht auch noch ein kleines Feuer im Passagierbereich aus, das die New Yorker Feuerwehr mit solcher Vehemenz löscht, dass Tausende Tonnen Löschwasser die Schräglage noch verstärken. Jetzt ist die Panne für jedermann sichtbar – auch für die zahlreichen Pressefotografen. Eine große Blamage.
Der Schwerpunkt des Schiffes liegt zu weit oben
Nach einigen weiteren Atlantiküberquerungen macht sich die Hamburger Vulcan-Werft schließlich daran, das Problem abzustellen. Massen von schwerem Marmor werden aus den Gesellschaftsräumen der Ersten Klasse entfernt – darunter sogar eine Büste Ihrer Majestät. Schweres Mobiliar wird durch Rohrgestühl ersetzt. Außerdem werden in Kielnähe 2000 Tonnen Zement deponiert und die Schornsteine um fast drei Meter verkürzt. All dies trägt dazu bei, den Schwerpunkt des Schiffes niedriger zu legen. Und fortan hält sich der „Imperator“ tadellos gerade.
Nach dem Ersten Weltkrieg nehmen sich die Alliierten das Schiff
Dann aber macht der Erste Weltkrieg aller Pracht ein Ende. Das Riesenschiff wird in der Elbe vertäut und dümpelt vier Jahre vor sich hin. Nach dem Krieg verwendet die US-Navy das Schiff als Truppentransporter und bringt damit 25.000 US-Soldaten zurück in die Heimat. Am 27. April 1919 schließlich verlässt der „Imperator“ den Hamburger Hafen – und kehrt nie mehr zurück. Ein Augenzeuge schreibt: „Fröhliche Weisen waren bei der ersten Triumphfahrt über den Ozean erklungen, nunmehr klang der Ton der Dampfpfeifen wie ein schmerzlicher Abschiedsgruß über die Stadt, die das Schiff niemals wiedersehen sollte.“
Als „Berengaria“ fährt der Pott noch 20 Jahre zur See
Der „Imperator“ wird im Rahmen der deutschen Reparationszahlungen an die britische Cunard-Reederei übergeben.
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Mehr als 20 Jahre fährt der Dampfer unter dem neuen Namen „Berengaria“ (so hieß die Frau von König Richard Löwenherz) über den Atlantik. Viele Millionäre, Filmstars und große Künstler erleben auf ihm die Fahrt über den Atlantik – bevor der Pott 1938 ausgemustert und im Hafen von Jarrow abgewrackt wird. Das Ende eines legendären Schiffes.