Jüdisches Leben: So engagieren sich zwei junge Hamburger gegen Antisemitismus
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Schmierereien, Beleidigungen, körperliche Angriffe: 2032 antisemitische Straftaten wurden 2019 deutschlandweit gemeldet – doch die Dunkelziffer ist weit höher. Die MOPO hat mit zwei jungen Juden gesprochen, die selbst angefeindet wurden – und etwas ändern wollen.
Noah Sheffer ist 16 Jahre alt. Er mag Apfelsaft, interessiert sich für Politik und möchte später einmal in den USA Wirtschaftswissenschaften studieren. Wie viele andere Jungs in seinem Alter spielt er in seiner Freizeit gern Computer. Weniger gewöhnlich ist hingegen sein ehrenamtliches Engagement: Denn er erzählt Interessierten von seinem Alltag – und baut so Vorurteile gegen Juden ab.
Junge Juden in Hamburg: Angefeindet und beleidigt
Sheffer ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Und er ist Jude. Deshalb wird er beleidigt und angefeindet. Mehrere antisemitische Vorfälle hat der 11-Klässler schon erlebt, viele von ihnen in der Schule. „Häufig wurden die Vorfälle kaum beachtet“, erzählt Sheffer der MOPO. Um sich dem nicht auszusetzen verschweigen viele seiner jüdischen Freunde in ihren Schulen, dass sie Juden sind, so Sheffer.
Auch Shelly Meyer wurde schon antisemitisch beleidigt und sogar körperlich angegangen. Die 25-jährige Studentin wurde in Israel geboren und lebt in Hamburg seit sie sechs Jahre alt ist. „Du Judenschwein“ wurde ihr schon hinterhergerufen, Hakenkreuze auf ihr Bild gemalt oder Hassnachrichten in den sozialen Medien geschrieben. Um Anfeindungen zu entgehen, telefoniert sie mit ihren Eltern an öffentlichen Orten auf Deutsch oder Englisch – obwohl die Familie zu Hause Hebräisch spricht.
Meyer engagiert sich in der Jüdischen Gemeinde seit sie 14 Jahre alt ist und hilft derzeit als Mitarbeiterin des Jugendreferats beim Aufbau des Jugendzentrums und einer Community für 18- bis 35-Jährige. Sie hat die Veranstaltung „Sushi in der Sukka“ am 4. Oktober 2020 organisiert, bei der ein guter Freund von ihr vor der Synagoge mit einem Klappspaten angegriffen und verletzt wurde. Seitdem sei sie vorsichtiger geworden, erzählt sie.
Jüdisches Projekt: Bei „Meet a Jew“ werden Begegnungen geschaffen
Aber Sheffer und Meyer arbeiten aktiv gegen Antisemitismus an: Sie sind zwei von über 300 Freiwilligen, die sich bundesweit bei dem Projekt „Meet a Jew“ vom Zentralrat der Juden engagieren und in Schulen, Unis, Vereinen oder Unternehmen Fragen über ihr Leben und ihren Alltag beantworten. „Es gibt eben nur wenige Juden in Deutschland“, sagt Sheffer, „und die meisten Vorurteile entstehen, weil viele keine Juden kennen.“
Häufig bringen die Freiwilligen eigene, persönliche Gegenstände wie einem Chanukka-Leuchter zu den Begegnungen mit oder verteilen koschere Gummibärchen – so soll die abstrakte Idee vom Judentum, das den meisten nur aus dem Religions- oder Geschichtsunterricht bekannt ist, mit Leben gefüllt werden. Zu Nicht-Corona-Zeiten finden über das Projekt bundesweit zwischen 50 und 60 Begegnungen im Monat statt.
Die Ehrenamtlichen sind immer zu zweit, häufig aus unterschiedlichen jüdischen Strömungen, um die Vielseitigkeit des jüdischen Lebens zu zeigen. „Ich möchte, dass das „Jüdischsein“ gesellschaftlich normalisiert wird“, so Meyer. „Ich zeige mich selbst und damit auch, dass wir zwar andere Bräuche haben, aber menschlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen.“
Für sie persönlich hat das Judentum mehr mit Traditionen als mit ihren religiösen Überzeugungen zu tun. Meyer ernährt sich nicht koscher und hält den Shabbat ebenfalls nicht ein. Und trotzdem: Wenn sie jüdischen Festen oder Bräuchen beiwohnt, fühle sich das heimisch an. „Wir sitzen zusammen, essen, singen, lachen, erzählen uns Geschichten“, erklärt Meyer. „Judentum ist für mich ein Gemeinschaftsgefühl.“
Antisemitismus: Das kann jeder einzelne dagegen tun
Meyers Großeltern haben den Holocaust erlebt. Trotzdem macht es sie wütend, wenn sich junge Menschen für die Verbrechen des Nazi-Regimes bei ihr entschuldigen. Natürlich dürfe man den Holocaust nicht vergessen, so Meyer. „Für das, was damals passiert ist, tragen wir heute aber keine Schuld“, sagt sie. „Aber wir tragen Verantwortung für die Gegenwart und dafür, was in Zukunft sein wird.“
Was jeder Einzelne gegen Antisemitismus tun kann? Nicht einfach an Schmierereien oder Beleidigungen vorbeigehen, sondern sie melden, sagt Sheffer. Und den betroffenen Menschen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Das gelte auch bei Diskriminierungen anderer Art. „Auch wenn ich nicht direkt gemeint bin: Diskriminierungen sind grundsätzlich Angriffe gegen meine Werte und somit auch immer gegen mich selbst“, sagt Sheffer. „Ich wünschte, das würden mehr Menschen so empfinden.“