• Viele Briten sind unzufrieden mit dem Verlauf des Brexit.
  • Foto: picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire | Pietro Recchia

Chaos statt Größe: Das ist die Bilanz nach einem Jahr Brexit

„Rule, Britannia!“ sollte das Motto werden. Das Versprechen: Großbritannien werde durch den Brexit endlich wieder zu neuer Macht und Größe gelangen. Doch die Bilanz nach einem Jahr ist weit entfernt von Glanz und Ruhm. Statt Freiheit bekamen die Briten mehr Bürokratie – und lernten den Mangel kennen.

Leere Supermarktregale. Kein Kraftstoff-Verkauf an Tankstellen. Zu wenig Fachkräfte, um den Betrieb am Laufen zu halten. Höhere Kosten wegen gestiegener Zoll- und Transportgebühren: Die Folgen des Brexits sind längst bei den Bürgern Großbritanniens angekommen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem eine Branche nicht ihre Brexit-Sorgen publik macht.

Brexit führt bislang nicht zu neuer Größe Großbritanniens

Vor einem Jahr löste das Land die wirtschaftlichen Bande mit der EU. Premierminister Boris Johnson und seine Regierung propagierten ein Bild von Großbritannien als eigenständiger Handelsnation, ohne die Fesseln der EU, selbstbewusst am Tisch der Großmächte.

Doch bislang ist davon nicht viel zu sehen: Der Blick auf den britischen Arbeitsmarkt zeigt mehr als eine Million freier Stellen. Dem Land fehlen die billigen Arbeitskräfte aus den EU-Ländern Polen, Rumänien oder Litauen. Die Gebühren für Arbeitsvisa sind sehr hoch.

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Der Mangel an Arbeitskräften führt zu Mangel an den Versorgungsstationen. Da Lastwagenfahrer fehlen, blieben Regale und Zapfsäulen zeitweise leer. Auf Schweinehöfen mussten Bauern Tausende gesunde Tiere keulen, da auf den Schlachthöfen zu wenig Metzger arbeiten. 200.000 EU-Bürger sind Schätzungen zufolge dauerhaft abgewandert. Um das Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen, erteilt die britische Regierung immer neuen Berufsgruppen Ausnahmen für Arbeitsvisa.

Verschärftes Aufenthaltsrecht und Hürden bei Dienstleistungen

Die Deutsch-Britische Industrie- und Handelskammer (AHK) warnt, dass Probleme wegen des verschärften Aufenthaltsrechts und hoher Hürden bei Dienstleistungen derzeit noch durch die Corona-Pandemie in Teilen verdeckt würden. Nach der Pandemie würden sie jedoch „ganz massiv zum Vorschein kommen“, sagt der AHK-Chef Ulrich Hoppe. „Das wird im Endeffekt auch dazu führen, dass das Vereinigte Königreich weiter abgekoppelt wird von der kontinentaleuropäischen Wirtschaft.“

Der Handel zwischen Großbritannien und der EU hat bereits stark gelitten. Der Dienstleistungsaustausch sei in vielen Bereichen gar unmöglich geworden, sagt AHK-Chef Hoppe. Die Brexiteers wollten ein „Singapur an der Themse“ errichten – mit niedrigen Steuern und wenig Bürokratie. Stattdessen steigen Staatsausgaben und Subventionen und damit auch die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.


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Nach Einschätzung des Chefs der Aufsichtsbehörde Office for Budget Responsibility (OBR), Richard Hughes, werde der EU-Austritt das britische Bruttoinlandsprodukt (BIP) langfristig um etwa vier Prozent verringern. Das sagte er der BBC. Die Pandemie senke das BIP um weitere zwei Prozent – der Brexit wirke sich damit noch negativer auf die britische Wirtschaft aus als die Pandemie.

Bei vielen Briten ist die Stimmung im Keller. Eine Umfrage der Zeitung „The Observer“ zeigt, dass mehr als 60 Prozent den Brexit negativ sehen. Selbst 42 Prozent der Befürworter sind inzwischen unzufrieden mit dem Verlauf. Denn anstatt aufzublühen, versinkt Großbritannien im Chaos.

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