Mindestens elf Tote: Warum sterben in Hamburg so viele Obdachlose?
Draußen sterben Menschen, drinnen wird hitzig diskutiert. Seit Dezember 2020 sind mindestens elf Obdachlose auf der Straße gestorben, davon acht nach dem Jahreswechsel innerhalb weniger Tage. Während Rot-Grün weiter am Winternotprogramm festhält, fordern die Linke, CDU und FDP eine Unterbringung in Einzelzimmern. Die Mitschuld am Tod der Obdachlosen wird zwischen der Opposition und der Regierung hin- und her geschoben. Für Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer ist es eindeutig: Schuld ist die Pandemie.
„Ich kann nicht verstehen, warum sich um das Thema gestritten wird“, sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei Hinz&Kunzt im Gespräch mit der MOPO. „Warum ist eine Unterbringung in Hotels nicht möglich?“ Gerade in Zeiten, in denen der Senat die Wirtschaft wieder ankurbeln will, würde sich eine Vereinbarung mit leerstehenden Hotels lohnen, sagt Karrenbauer.
Hamburg: Hitzige Debatte um Obdachlose in der Pandemie
Die Debatte am Mittwochabend in der Bürgerschaft war emotional und geprägt von Schuldzuweisungen. Der Vorwurf von Seiten der Opposition: Das Winternotprogramm reiche zum Schutz der Obdachlosen in einer Pandemie nicht aus. Die Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) wies die Vorwürfe zurück: Die Unterbringung in Hotels sei nicht möglich, weil ein umfangreiches Beratungsangebot ermöglicht werden soll. In Richtung Opposition wurde aus den Reihen von Rot-Grün noch einmal der Vorwurf laut, dass erst die Kritik am Winternotprogramm dazu führe, dass die Menschen es nicht nutzen wollen.
„Den Vorwurf finde ich hart und er trifft mich persönlich“, sagt Karrenbauer. „Wer laut ausspricht was an dem derzeitigen Programm für Obdachlose falsch ist, soll eine Mitschuld an den Todesfällen tragen?“ Das sei nicht gerecht. Wenn so viele auf der Straße sterben, dann sei es doch ein Zeichen dafür, dass mit dem Programm des Senates irgendwas nicht stimmt, so Karrenbauer weiter.
Hamburg: Maßnahmen in der Pandemie schwächen Obdachlose
Derzeit leben rund 2000 Obdachlose auf den Hamburger Straßen. Die Unterkünfte des Winternotprogramms würden aus Angst vor Ansteckung gemieden werden. „Die gehäuften Todesfälle hängen ganz klar mit der Pandemie zusammen“, sagt Karrenbauer. Die meisten Wohnungslosen seien bereits durch die geringen Angebote des vergangenen Jahres geschwächt gewesen. Es habe unter anderem eingeschränkte Duschmöglichkeiten und weniger Ausgabestellen für Essen gegeben. Viele der Obdachlosen würden sich und ihren Körper überschätzen, die Kälte und Nässe machen dann den Rest, sagt Karrenbauer.
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Die Regierung sucht nach langfristigen Lösungen, die Menschen von der Straße zu holen. Mitten in einer Bedrohungslage wie der Pandemie komme es aber kurzfristig auf Schutz an. Das spendenbasierte Projekt mehrerer sozialer Einrichtungen, wie unter anderem auch Hinz&Kunzt, zeigt, dass es funktioniert. Derzeit sind 140 Obdachlose in Hotelzimmern untergebracht. „Die Menschen kommen zur Ruhe und tanken Kraft“, sagt Karrenbauer. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung werde wieder entfacht. Alle Bewohner werden von den Sozialarbeitern der Einrichtungen betreut und beraten.
Hamburg: Obdachlose können ihre Kontakte nicht minimieren
Es gehe bei den Forderungen der Opposition nicht darum, obdachlose Menschen flächendeckend in Hotels unterzubringen, sondern in Einzelzimmern, so die sozialpolitische Sprecherin der Linken, Stephanie Rose. Nur so könnten sich Obdachlose vor einer Infektion schützen und Kontakte minimieren. Aus einer Anfrage der CDU geht hervor, dass seit November vergangenen Jahres insgesamt 65 Obdachlose wegen einer Covid-19 Erkrankung isoliert und acht zu Quarantänestandorten gebracht wurden. Wie viele Personen insgesamt getestet werden, wird nach Angaben des Senates nicht festgehalten. Eine MOPO-Anfrage bei Sozialsenatorin Leonhard blieb bislang unbeantwortet.