Hamburg hat Spieltrieb: Warum Brettspiele boomen
Silke Christensen und Mirko Schäfer bauen einen Park für Dinosaurier auf. Das ist gar nicht so einfach. Denn die Saurier müssen in passende Gehege zusammengestellt werden. Nur wer es schafft, Triceratopse, Brachiosaurier und Stegosaurier richtig zusammenzustellen, wird einen gut laufenden Dino-Park aufbauen. Das Problem: Sowohl Silke wie auch Mirko sind auf der Suche nach neuen Attraktionen für ihren Zoo. Welcher am Ende bei dem Publikum besser ankommt?
Silke Christensen und Mirko Schäfer spielen. Auf einem grün bezogenen Tisch haben sie das Brettspiel „Draftosaurus“ aufgebaut und sind ganz damit beschäftigt, ihren Dinosaurierpark zu vervollständigen.
Mit Brettspielen raus aus der Corona-Realität
Spiele sind unbegrenzte Möglichkeiten auf Karton gedruckt. Nirgendwo in Hamburg wird das so deutlich wie im Café „Würfel und Zucker“ am Eilbeker Weg (Eilbek), in dem Christensen und Schäfer gerade sitzen. Hier reihen sich die Spiele an den Wänden, in farbigen Kartons füllen sie mehrere lange Regale. In den Räumen des Spielcafés kann man alles werden: Pandemiebekämpferin, einsamer Besiedler eines neuen Eilandes oder eben der Direktor eines Dinoparks.
Mitten in der Corona-Pandemie boomt die Brettspiel-Branche wie nie zuvor. 2020 war schon ein Rekordjahr, gibt der Branchenverband „Spieleverband e. V.“ bekannt. 2021 sind die Absatzzahlen von Spielen und Puzzles nochmal um rund 14 Prozent gewachsen.
Spieleabende sind ein gemeinsames Erlebnis
Das Gefühl hat man auch im Hamburger Spieleladen „Atlantis“ in der Wagnerstraße 12 in Barmbek-Süd. „Insgesamt ist seit mehreren Jahren das Hobby Brettspiel ansteigend“, sagt Ladeninhaber Ingolf Tews. Seiner Meinung nach, weil Gesellschaftsspiele ein reales, soziales Erlebnis darstellen würden, das besonders in Abgrenzung zu einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt immer beliebter werden würde. Spieleabende seien gemeinsame Erlebnisse. Immer häufiger würden deshalb auch kooperative Spiele nachgefragt, bei denen Gemeinsamkeit noch stärker im Vordergrund steht, als bei den traditionellen konfrontativen Spielen.
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Im Spielecafé „Würfel und Zucker“ kommen gerade ein Haufen Pakete an. Bestimmt 50 Kilogramm neue Brettspiele. Während der Pandemie bleiben viele Tische frei. Silke Christensen und Mirko Schäfer geben trotzdem ihr Bestes, mehr Menschen mit dem Spieltrieb zu infizieren. Christensen, die Besitzerin, und Schäfer, ihr Angestellter, sind nicht nur leidenschaftliche Hobby-Spieler. Sie haben das Brettspielen auch zu ihrem Beruf gemacht. In ihrem Spielcafé beraten sie Menschen, was sie spielen sollen. Es gibt auch eine Spiele-Speisekarte, um sich zu entscheiden, welche der hunderte Spiele an den Wänden man spielen sollte. Und von den meisten können sie auch die Regeln erklären.
Unterhaltung, ohne sich zu unterhalten
Warum Brettspiele gerade so boomen? Mirko Schäfer glaubt: „Wenn man beim Brettspielen eine bestimmte Stelle übertritt, kannst du nicht mehr aufhören, dann musst du weitermachen“. Außerdem sei es gerade in der Pandemie auch schön, „mal keine seltsamen Themen am Tisch zu haben“. Die Leute sind beim Brettspielen unterhalten, ohne sich zu unterhalten.
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Silke Christensen glaubt, dass auch ein gewisser Eskapismus dahintersteckt. Und natürlich die unbegrenzten Möglichkeiten, die das Spiel liefert. Dann flucht sie. Schäfer hat einen Dino für seinen Dinosaurier-Zoo, den sie unbedingt haben wollte. „Du machst mir meine Pläne kaputt“, schmunzelt sie.
Brettspiele als Therapeutikum
Bei einer kürzlich erschienenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts yougov haben 40 Prozent der Befragten angegeben, Spielwaren in der Krise als „Therapeutikum“ genutzt zu haben. 37 Prozent wollen Spielen zukünftig einen größeren Stellenwert in ihrem Alltag einräumen. Allerdings kommt der Spieleboom den klassischen Spieleläden nicht wirklich zugute. Von so gewaltigen Geschäftszuwächsen wie der Online-Spielhandel können die klassischen Spieleläden nur träumen.
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Auch im Spielecafé gibt es daher inzwischen einen kleinen Online-Shop mit ausgewählten Spielen. Mit Amazon, wo 77 Prozent der Spielwaren in Deutschland verkauft werden, können sie natürlich nicht mithalten. Aber solange hier noch genug Spielwütige in ihren Laden kommen, müssen sie das ja auch nicht.
Mirko Schäfer gewinnt am Ende das Dino-Spiel. Sein Park ist geordneter. Ihm werden mehr Punkte zugeschrieben. Das Spiel hat gerade einmal 15 Minuten gedauert. Spielekenner:innen nennen ein solches kurzes Spiel einen Appetizer. Der Spieleabend hat hier gerade erst begonnen.
Spiele-Tipps der MOPO
Azul (Spiel des Jahres 2018)
Verschönern Sie den Palast von König Manuel I. von Portugal mit den hübsch verzierten Fliesen und ergattern Sie damit die meisten Punkte. „Azul“ ist ein innovatives Lege-Brettspiel, für das bereits mehrere Erweiterungen erschienen sind.
- Alter: ab 8 Jahren
- Spieler: 2 – 4
- Spieldauer: 30 – 45 Minuten
Draftosaurus
Der Dino-Park ist gebaut, nur die Hauptdarsteller fehlen noch. Stegosaurus, Triceratops und Co. sollen in die eigenen Gehege einziehen, doch auch die anderen suchen nach neuen Attraktionen für ihre Zoos.
- Alter: ab 8 Jahren
- Spieler: 2 – 5
- Spieldauer: 15 Minuten
MicroMacro: Crime City (Spiel des Jahres 2021)
Ein großes Schwarzweiß-Poster und ein paar Karten – mehr benötigt „MicroMacro: Crime City“ nicht, um in seinen Bann zu ziehen. Wer hatte ein Motiv dem Skateboardfahrer ein Messer in den Rücken zu stoßen? Gemeinsam löst man knifflige Kriminalfälle.
- Alter: ab 10 Jahren
- Spieler: 1 – 3
- Spieldauer: 15 – 45 Minuten