UKE-Intensivpfleger berichtet: „Unsere jüngste Patientin war 26 – sie ist gestorben“
Sie haben wie wir alle unter dem Lockdown zu leiden, können keine Freunde treffen, dürfen nachts nicht rausgehen – aber anders als die meisten von uns sehen sie jeden Tag, wofür die Gesellschaft diesen Kraftakt auf sich nimmt: Sie arbeiten auf Hamburgs Intensivstationen, kümmern sich um die schweren Covid-Fälle. MOPO-Redakteurin Stephanie Lamprecht sprach mit zwei Ärzten und zwei Intensiv-Pflegekräften: Sie sind Helden. Sie selbst sehen das aber übrigens anders. Heute berichtet Jan Schilling (37), pflegerischer Leiter der Intensivstation 1c des UKE, von der Corona-Front.
MOPO: Herr Schilling, wie war Ihr Arbeitstag?
Jan Schilling: Es war der tägliche Corona-Wahnsinn. Seit März 2020 versorgen wir auf unserer Station Covid-Patienten, auch sehr schwer kranke Patienten, bei denen eine Maschine die Funktion der Lungen übernimmt. Man nennt das extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO, das ist das Maximum an Intensivmedizin, dazu braucht man geschultes Personal und man muss ständig gucken, wie man das Personal auf die Patienten verteilt.
Und selbst diese High-End-Medizin sichert ja nicht zwangsläufig das Überleben.
Nein, selbst diese massiven Maßnahmen reichen oft nicht.
Wie erleben Sie das Sterben auf der Covid-Station?
Wir haben jetzt in der dritten Welle einen Altersdurchschnitt von 59 Jahren bei den Patienten, die sind also deutlich jünger als bei der ersten Welle im März 2020. Unsere jüngste Patientin war 26 Jahre alt. Sie ist gestorben. Und wenn ein Patient stirbt, der jünger ist als man selbst, das macht psychisch etwas mit mir und den Kollegen. Wenn ein Mensch mit 86 Jahren stirbt, dann ist das natürlich schlimm für die Familie. Aber ich habe selbst Kinder und wenn ich dann einen 46 Jahre alten Familienvater sehe und weiß, dessen Kinder werden ihren Papa nie wiedersehen, das nimmt einen wirklich mit.
Sind diese jüngeren Patienten schwer vorerkrankt?
Wir erleben es, dass Patienten, die eigentlich gesund waren, in die Notaufnahme kommen, weil sie schlecht Luft bekommen, dann verschlechtert sich ihr Zustand so, dass sie auf die Intensivstation kommen und dort sehen wir dann so schwere Verläufe, dass diese Patienten sterben.
Liegt das an der britischen Mutation?
Bei 95 Prozent der Patienten weisen wir inzwischen die britische Variante nach. Die ist wesentlich ansteckender, und kürzere Kontaktzeiten reichen aus, um auch jüngere Menschen zu infizieren.
Wie bewältigen Sie diese Erlebnisse auf der Covid-Station?
Normalerweise hilft in Zeiten besonderer Belastung der Austausch mit Kollegen, etwa beim Feierabendbier. Oder man geht zum Sport, trifft Freunde, oder grillt mit der ganzen Familie. All das fällt jetzt weg, da sind wir genauso betroffen wie alle anderen. Meine Frau ist Krankenschwester, insofern habe ich es gut, da ist viel Verständnis, aber es gibt Kollegen, die sind Single und sitzen nach der Schicht alleine in ihrer Wohnung, für die ist der Lockdown wirklich hart. Es gibt bei uns Peer-Berater, das sind Kollegen, die speziell geschult sind für Gespräche in Extremsituationen.
Wie erleben Sie die Angehörigen, die ja nicht zu den Kranken können?
Wenn ein Patient im Sterben liegt, versuchen wir, ein Abschiednehmen zu ermöglichen. Die Angehörigen in voller Schutzmontur am Bett – das ist kein schöner Abschied. Wir haben auch ein Stations-Smartphone, damit die Familien wenigstens per Videotelefonie sehen können, wo etwa ihr Vater liegt, wie es dort auf der Intensivstation aussieht, wer ihn betreut und sie vielleicht sogar ein Lächeln auf seinem Gesicht sehen können. Das nimmt die Angst und hilft bei der Bewältigung.
Haben Sie Angst, sich bei der Arbeit selbst anzustecken?
Nein, von uns hat sich noch keiner auf der Station infiziert. Das Risiko ist beim Einkaufen höher.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die 8000 Protestler gegen die Coronamaßnahmen in Berlin sehen?
Ganz ehrlich? Da könnte ich kotzen, Entschuldigung für den Ausdruck. Alle gehen auf dem Zahnfleisch, und das nicht seit einer Woche, sondern seit einem Jahr. Und was sehr belastend ist: Keiner kann uns sagen, ob wir noch drei Wochen oder drei Monate durchhalten müssen. Kontaktbeschränkungen sind die einzige Möglichkeit, dass sich weniger Menschen anstecken und im schlimmsten Fall auf der Intensivstation landen. Jetzt müssen sich noch mal alle zusammenreißen und keine Partys feiern.
Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?
Ich bin froh, dass die CDU ihren Kanzlerkandidaten gefunden hat. Da wurde diskutiert, ob Söder oder Laschet, und statt die Pandemie zu bekämpfen, lief ständig dieser Machtkampf im Fernsehen. Es geht nur noch im die Wahl, das verstehe ich nicht. Da würde ich mir mehr wünschen von der Politik.
Es gab einen Bonus, ist das eine ausreichende Anerkennung?
Wir haben einen Bonus bekommen und ich finde auch, der steht allen Mitarbeitern zu. Wenn ich aber höre, dass auch etwa Angestellte aus der Autoindustrie einen Corona-Bonus bekommen, dann frage ich mich: Wo haben diese Bereiche Einschränkungen? Auf der anderen Seite sind Leute aus dem Einzelhandel in Kurzarbeit, die kaum über die Runden kommen, für die es aber keinen Bonus gibt. Schwierig. Generell müssten die Pflegeberufe langfristig aufgewertet werden.
Letzte Frage: Was ist das Schöne an Ihrer Arbeit?
Ich liebe meinen Beruf über alles! Wenn ich eine Patientin sehe, die intubiert war und der es richtig schlecht ging und dann wird sie irgendwann rausgeschoben, ist wieder fit und winkt uns zu, das ist so ein essenzielles Bild. Wir hatten drei schwangere Frauen auf der Station, alle haben es überstanden. Das ist es, weswegen ich diese Arbeit so gerne mache.