Brutaler Frauenhass und Gewaltfantasien: So gefährlich ist die Incel-Bewegung
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Hamburg –
Tiefer Hass auf Frauen, extreme Gewaltbereitschaft und pädophile Vergewaltigungsfantasien – verbreitet von weißen Männern. Es sind die dunkelsten Abgründe, die hinter der Ideologie der sogenannten Incels steht. In Internetforen wird dem hemmungslosen Frauen-Hass gefrönt – und sich in der eigenen Opfer-Rolle gesuhlt. Die Subkultur wächst und wächst, mehrere Terroristen der letzten Jahre waren Incels oder in entsprechenden Foren unterwegs. Expertin und Autorin Veronika Kracher forscht seit Jahren zum Thema Incels – und erklärt im MOPO-Interview das Phänomen.
MOPO: Frau Kracher, was genau heißt Incel?
Veronika Kracher: Das Wort setzt sich zusammen aus „involuntary“ (dt. unfreiwillig) und „celibates“(dt. sexuell enthaltsam). Es heißt in etwa der „unfreiwillig zölibatär Lebende“.
Welche Ideologie steckt hinter der Bewegung, an was glauben Incels?
Vor allem an Frauenhass, der mit massivem Selbsthass einhergeht und dann in der Community, in den Internetforen verstärkt wird. Kurz gesagt: An allem Leid im Leben eines Incels sind Frauen Schuld – und dafür wollen sie sich rächen, indem sie Frauen Gewalt antun. Das können kleinere, gemeine Akte sein, wie Frauen online zu beleidigen – oder sexuelle Belästigungen bis hin zum Femizid.
Incels bezeichnen sich selbst meist als unglaublich hässlich und unattraktiv – und sagen, dass es deswegen unmöglich für sie sei, jemals Liebe und Zuneigung zu erfahren. Also auch eine tief verwurzelte Opfermentalität. Opferinszenierungen gehen stellenweise sogar mit einer Relativierung des Holocaust einher. So wird in den Foren häufig gesagt, Incels hätten es noch schlechter als Juden während der NS-Zeit.
Wie groß ist die Bewegung mittlerweile?
Ich würde so auf weltweit 20.000 bis 40.000 User schätzen. Wie viele davon im deutschsprachigen Raum leben, ist schwer zu sagen. Die meisten Foren haben so zwischen 15.000 und 20.000 User. In einem der größten Foren kommen, laut Selbstangaben der Nutzer, 45 Prozent aus den USA, 40 Prozent aus Europa. Es ist definitiv ein „Erste Welt-Phänomen“, weil es einen gewissen privilegierten Status voraussetzt, wenn ich den ganzen Tag vorm Rechner sitzen und darüber jammern kann, wie gemein Frauen sind.
Wie wird ein Mann zum Incel?
Das ist schwer zu sagen. Viele junge Männer berichten über Mobbing – und Ablehnungserfahrungen. Sie würden auch bestimmte Meilensteine beim Erwachsenwerden verpassen, wie zum Beispiel das erste Mal Knutschen oder das erste Mal Sex. Da fühlen sie sich dann abgehängt und wissen nicht, wie sie das aufholen sollen.
Und dann schießen sie sich drauf ein, dass daran Frauen schuld sind. Natürlich ist es einfacher, Frauen dafür zu kritisieren – anstatt das Patriarchat zu hinterfragen. Durch die Abwertung der Frauen wollen die Männer oft beweisen, dass sie trotzdem noch zum „Männer-Klüngel“ dazugehören – und dadurch ihre Männlichkeit wiederherstellen.
Gibt es den einen typischen Incel – und wenn ja, wie sieht er aus?
Das ist auch nicht eindeutig zu sagen. Es kommen häufig so Klischees, wie: Das sind Leute, die im Keller ihrer Mutter leben. So etwas stimmt aber auch nicht. Was man aber sagen kann: Es sind alles Männer. Und der typische Incel ist ein weinerlicher Mann, der sich selber in seiner Opfermentalität vergräbt – und da auch nicht raus will. Incels denken: Frauen tun mir Leid an, weil sie nicht mit ihr schlafen und deswegen haben sie es nicht anders verdient, als dass es ihn schlecht geht. Sobald eine Frau mit mir schlafen würde, wäre mein Elend vorbei.
Gleichzeitig wird aber gesagt: Frauen sind so schlecht und verkommen, ich will deren Zuneigung nicht einmal haben. Incels fühlen sich von Frauen und weiblicher Sexualität bedroht und verfolgt, verbauen sich deswegen aber auch einen Ausstieg aus ihrem Leid, vergraben sich und verelenden immer mehr. Ein Teufelskreis.
Wie alt sind Incels meistens?
Der Großteil ist 18 bis 24, aber es gibt auch Incels, die in den 30ern sind.
Incels sind aber nicht immer automatisch psychisch krank, oder?
Nein, auf keinen Fall. Aber: Der Aufenthalt in diesen Communitys führt häufig zu Depressionen. Wenn man sich die ganze Zeit darüber unterhält, wie schlimm alles ist und dass man niemals Liebe erfahren wird, natürlich macht das depressiv. Also das ist eine Community, die für die User selbst schädlich ist.
Wie hoch ist die Gewaltbereitschaft der Incels?
Nicht jeder User in den Foren ist ein potenzieller Terrorist, aber es wird eine Atmosphäre geschaffen, aus der heraus die Chance, dass ein Terroranschlag verübt wird, höher ist. Innerhalb der Community werden Incel-Attentäter meist als Helden glorifiziert. Es besteht also ein höheres Gewaltpotenzial, aber den Großteil der Community würde ich jetzt nicht als gewalttätig einstufen. In einem der größten Incel Foren „Reddit incel without hate“ wird sich sogar von Gewalt distanziert – trotzdem ist es ein anti-feministisches Forum. Also: Frauenhass ist in der Regel da, aber er muss nicht zwingend in Gewalt umgewandelt werden.
Wie weit verbreitet ist die rechte Ideologie?
Es gibt sehr viele nicht-weiße Incels, so genannte „Ethniccels“. Der Tenor hier ist: Solidarität mit den nicht weißen Incel-Brüdern – aber trotzdem rassistische Ideologie vertreten. Es gibt schon einen virulenten Rassismus gegen Schwarze und auch Antisemitismus trifft man sehr häufig an. Da werden alte antisemitische Ressentiments ausgepackt: Juden sind schuld am Feminismus, Juden stecken hinter Pornographie und so etwas.
Sie haben viel recherchiert in diesen Foren. Was waren die abscheulichsten Dinge, die Sie da gesehen haben?
Wirkliche Abgründe sind die Foren des US-Amerikaners Nathan Larson. Er hat ein Manifest veröffentlicht, in dem er schreibt, dass Vergewaltigung das Naturrecht des Mannes ist. In seinen Foren ging es explizit um sexuelle Gewalt an Kindern. Da habe ich dann auch bei meiner Recherche meine Grenzen erreicht.
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Aber: Vom Großteil der Szene wird er abgelehnt. Und nicht alle Incels sind pädo-kriminell. Aber: Jungfräuliche Frauen als mögliche Partnerinnen werden glorifiziert, da sie am wenigsten Bedrohung ausstrahlen. Das ist eben ein Türöffner für pädo-sexuelle Inhalte.
In Amerika wird viel mehr über Incels gesprochen als bei uns. Woran liegt das?
Da gibt es hier noch zu wenig Bewusstsein der Behörden in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Online-Radikalisierung. Es ist immer noch ein blinder Fleck – und da muss dringend etwas getan werden. Es gibt in den Incel-Foren einen klaren Anstieg der Nutzerzahlen. Gendersensible Sprache wäre ein erster Anfang, denn: Incels sind generell Ausdruck von patriarchalen Besitzansprüchen an Frauen.