Die Ruges verabschieden sich: „In Hamburg sagt man Tschüss“
Annika und Michel Ruge haben das Projekt „My Teacher Africa“ ins Leben gerufen: Mit ihrer kleinen Tochter Jaguar wollen sie Afrika durchqueren, um herauszufinden, was wir alle vom zweitgrößten Kontinent der Erde lernen können.
In Afrika könnten wir auf rund zweitausend verschiedene Arten „Tschüss“ sagen – denn der zweitgrößte Kontinent der Erde ist reich an Klang und Ausdruck. Was das mit Hamburg zu tun hat? Gleichzeitig sehr wenig und doch ganz viel. Aber der Reihe nach.
Vor nicht allzu langer Zeit haben wir uns gefragt, wie sich die Welt entwickeln, wie unsere Tochter Jaguar aufwachsen und später einmal leben wird. Welche Rolle Technik und Digitalisierung spielen und wie das gesellschaftliche Miteinander und das soziale Leben in Zukunft aussehen. Wir haben uns an Reisen erinnert, an Erlebnisse in anderen Kulturkreisen und dabei vor allem in Afrika beeindruckende und schöne menschliche Erfahrungen gesammelt.
Ab nach Afrika: Die Ruges verabschieden sich von Hamburg
Zeitgleich fiel uns das Buch „Afrotopia“ in die Hände, in dem der senegalesische Musiker und Sozialwissenschaftler Felwine Sarr über Afrika schreibt und diesen an Geschichte, Kulturen und Traditionen so reichen Kontinent auf eine Weise zeichnet, wie wir es kaum kennen: Selbstbewusst und stark, reich an klugen Köpfen und Visionen, voller Ideen für eine lebenswerte Zukunft. Wir haben gespürt: Da wollen wir hin.
Und so stand zwei Wochen später ein alter Defender-Geländewagen vor der kleinen Treppe zu unserem Sahlhaus auf St. Pauli. Und der Land-Rover-Händler Nicola Geist aus Seevetal (Anders Automobile), den wir gebeten haben, sich unser liebevoll „Belmondo“ getauftes Gefährt von 1988 vor der großen Fahrt einmal anzuschauen. Sein Urteil: „Ein tolles Auto! Wenn ihr damit Afrika durchqueren wollt, dann braucht ihr allerdings sehr viel länger als ein Jahr.“
Unsere Enttäuschung hielt jedoch nicht lange an, denn nur wenige Telefonate und ein paar Gespräche mit Land Rover später ließ uns Nicola Geist wissen: „Ich finde eure Idee toll und würde gerne dafür sorgen, dass ihr alle Orte in Afrika sicher erreicht – und heil wieder nach Hause kommt. Daher leihe ich euch für die Zeit der Reise einen neuen Defender.“ Was für ein Glück!
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Und damit wir das Auto ganz und gar beherrschen, durften wir an einem Training von Dag Rogge teilnehmen. Der Leiter der Land-Rover-Experience-Touren hat nahezu jeden Kontinent der Erde in einem Geländewagen durchquert. Kaum ein Hindernis, das der ehemalige Renn- und Rallyefahrer, Hubschrauberpilot, Buschreiter und Abenteurer nicht auf vier Rädern nimmt. Seine Mission: Team Ruge fit für die Durchquerung von unwegsamem Gelände zu machen.
Zwei Tage haben wir einen Übungsparcours mit ausgetrockneten Flussbetten durchquert, sind über aus Baumstämmen selbst gebaute Brücken gefahren und durch Schlaglöcher, in denen locker ein Pony Platz findet. Das beeindruckendste Hindernis war „End of the Road“: Als wir an einem 47 Grad steilen Abhang standen – also einer Steigung von 110 Prozent – wollten wir nicht glauben, dass man da hinunterfahren kann. „Kann man“, sagte Dag, und wir haben es geschafft, ohne uns zu überschlagen und ohne dass der Defender mit der Schnauze den Boden berührt hat.
Das Projekt „My Teacher Africa“
So sind wir mit einem guten Gefühl nach Hause gefahren und fühlen uns gut gerüstet, um Ende März unser „My Teacher Africa“-Projekt zu starten (www.myteacherafrica.com). Und auch wenn wir als Familie reisen, wird es keine Familienreise im üblichen Sinne und auch kein Offroad-Abenteuer. Wir bereisen den zweitgrößten Kontinent der Erde, in dessen 55 Ländern rund 2000 Sprachen gesprochen werden, um zu lernen. Wir wollen zum Beispiel wissen, wie gelebtes „Ubuntu“ aussieht. Das aus den Sprachen der Zulu und Xhosa stammende Wort beschreibt die Bewusstheit darüber, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Dass man in enger Beziehung zu der Gemeinschaft steht, in der man lebt und in der alle Menschen durch ein universelles Band miteinander verbunden sind.
Daher ist die Verantwortung für das eigene Handeln innerhalb der Gemeinschaft ebenso wichtig wie die Achtung der Würde des anderen. Vielleicht ist Ubuntu nicht nur der Grund dafür, dass das Zusammenleben in den Townships ganz ohne staatliche Einmischung funktioniert, sondern auch dafür, dass es den Tutsi und Hutu nach dem Völkermord in Ruanda gelingt, gemeinsam den Weg der Vergebung zu beschreiten? Das wollen wir herausfinden. Und mehr: Wie stehen die afrikanischen Menschen zur Entwicklungshilfe und zur aktuellen Rolle von Europa, China und den USA in Afrika?
Nach Ansicht der Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Dambisa Moyo, die das „Time Magazine“ 2009 zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt kürte, haben die Hilfen der Weltbank die Armut in Afrika nur verschärft und gehören abgeschafft. Sie bietet neben Felwine Sarr, dem bereits erwähnten Autor des Weltbestsellers „Afrotopia“, oder dem amtierenden Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah aus Tansania und vielen anderen Vordenkern Afrikas neue Perspektiven für einen Kontinent, von dem wir hierzulande nur sehr wenig wissen. Und deshalb wollen wir die Antworten auf die vielen Fragen, die uns und viele andere Menschen derzeit bewegen, dort suchen – an der Wiege der Menschheit.
Rund ein Jahr wollen wir als Lernende unterwegs sein und Afrika soll unser Lehrer sein. Das große Ziel ist ein Buch über das Wissen Afrikas, das unsere Gesellschaft, unseren Kontinent und vielleicht die ganze Welt positiv bewegen kann. Und deshalb sagen wir nicht „Tschüs“, sondern: „Bis ganz bald in Hamburg!“
Mit Unterstützung von Land Rover
St. Pauli-Bestseller-Autor verlässt den Kiez Bestseller-Autor Michel Ruge („Bordsteinkönig – meine wilde Jugend auf St. Pauli“) und seine Frau, die Journalistin und Lyrikerin Annika Ruge, leben und arbeiten im Herzen von St. Pauli. Auf der Suche nach interessanten Menschen, spannenden Orten und außergewöhnlichen Geschichten streifen sie durch Hamburg. In der MOPO am Wochenende berichteten sie, was sie dabei erlebten. Dies ist ihre letzte MOPO-Kolumne.