Keiner fühlt sich zuständig: Bei Hamburg: Illegaler Müllberg sorgt für Zoff
Norderstedt –
Norderstedt gilt nicht gerade als Schönheit in Schleswig-Holstein. Die gut 80.000 Einwohner zählende Stadt punktet auf anderen Gebieten, vor allem wirtschaftlich. Doch ein illegal aufgetürmter Abfallberg stört das propere Bild der Stadt.
Bis zu sechs Meter hoch türmt sich der Müll im Norderstedter Gewerbegebiet Friedrichsgabe. Bauschutt, Teerpappe, Dämmstoffe, Asbest und wer weiß was noch alles liegen auf einem Grundstück, auf dem ein Containerdienst bestimmte Stoffe nur kurzfristig zwischenlagern durfte. Von dem Unternehmer fehlt jede Spur. Stadt und Kieler Umweltministerium eint zwar der Wunsch, dass die vielleicht 30.000 Kubikmeter Abfall verschwinden. Zur Tat aber schreiten beide Seiten nicht.
Müll in Norderstedt: Es geht um Zuständigkeiten und Geld
Warum? Es geht um Zuständigkeiten und Geld. Die Sache in Ordnung zu bringen, die Stoffe abzufahren und zu entsorgen, würde wahrscheinlich einen Millionenbetrag kosten. Ein Gespräch zwischen Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD) und dem Umweltstaatssekretär Tobias Goldschmidt (Grüne) kurz vor Weihnachten, über das das „Hamburger Abendblatt“ jetzt berichtete, ergab: Es bleibt wie es ist.
Die Stadt sagt, sie dürfe das private Betriebsgelände ohne triftigen Grund nicht betreten und könne nicht räumen. Das gilt nach Goldschmidts Auffassung auch für das Land. Das Problem: Den Eigentümer, der räumen muss, gibt es nicht, der Unternehmer ist abgetaucht.
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Die Staatsanwaltschaft in Kiel sucht nach dem Mann wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Abfällen. Keine Kleinigkeit, Paragraf 326 des Strafgesetzbuchs sieht dafür Strafen bis hin zum Gefängnis vor. Doch auch die Staatsanwaltschaft weiß nicht, wo der Gesuchte ist. Immerhin gebe es Ermittlungsansätze, sagt ein Sprecher.
Anwalt im Norden: Stadt muss Gelände räumen
Der Norderstedter Rechtsanwalt Winfried Günnemann engagiert sich schon lange öffentlich in der Angelegenheit und hat die Behörden bereits im vergangenen Frühjahr in einer rechtlichen Stellungnahme darauf hingewiesen, dass sie nicht nur das Recht haben, das Gelände zu betreten, sondern die Pflicht, es räumen zu lassen. Das ergebe sich aus einer Räumungsverfügung des Landesamts für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (LLUR) aus dem Sommer 2017. „Als Bürger kann man erstaunt und verzweifelt sein über die Untätigkeit der Behörden“, sagt Günnemann. Der Umgang der Oberbürgermeisterin mit dem Thema sei „deprimierend“.
Einen weiteren Weg zur schnellen Räumung von Abfällen, die in Containern lagern, sieht der Rechtsanwalt im Baurecht. Die dort abgestellten Container seien als Bauwerke einzustufen, für die es keine Baugenehmigung gebe.
Schleswig-Holstein: Nicht hinnehmbar und illegal
Auch Goldschmidt spricht von einer äußerst unbefriedigenden Situation auf dem Gelände. Der Betreiber habe einen „nicht hinnehmbaren und illegalen Zustand“ herbeigeführt. Gut sei, dass ein unabhängiges Gutachten zu dem Ergebnis gelangt sei, dass keine giftigen Stoffe in das Grundwasser gelangen. Derzeit gingen laut Gutachten von den Abfällen kein Umweltgefahren für Boden und Grundwasser aus, teilte das Umweltministerium mit. Dies sei absehbar auch nicht zu erwarten. Das Grundwasser werde überwacht. Jetzt solle geprüft werden, ob und wie Bereiche des Abfalls abgetragen oder abgedeckt werden können, von denen für Menschen gefährliche Asbestfasern verweht werden können.
Norderstedt: Stadt und Land in regelmäßigem Austausch
Die Stadt Norderstedt habe ebenso wie das Land „als endgültige Zielsetzung ausgegeben, dass alle illegalen beziehungsweise nicht den früheren Genehmigungen entsprechend erfolgten Müllablagerungen irgendwann fachgerecht entfernt werden“, teilte ein Sprecher mit. Stadt und Land seien in regelmäßigem Austausch. Beide könnten aber nur im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten agieren. Eine Räumung des Geländes auf Kosten des Steuerzahlers sei nicht zu rechtfertigen. „Das Land wäre allenfalls in der Pflicht, wenn sich aufgrund einer entsprechenden Gefährdungslage die akute Notwendigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme ergäbe“, argumentiert das Ministerium.
Günnemann übersetzt das so: „Abgedeckt wird der Brunnen erst, wenn das Kind reingefallen ist.“ Dabei gebe es eine klare Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der der Besorgnisgrundsatz gilt. Demnach müssen Anlagen im Umgang mit sogenannten „wassergefährdenden Stoffen“ grundlegende Anforderungen einhalten. Das zuständige Landesamt sei daher zur Durchsetzung seiner Räumungsverfügung im Wege der Ersatzvornahme verpflichtet, ist der Rechtsanwalt überzeugt. Das bedeutet: Wenn der Eigentümer nicht räumt, muss es das Landesamt tun.
Im Norden: Keiner möchte Verantwortung übernehmen
Aus Sicht von Tim Kiesow, Geschäftsführer eines unmittelbar benachbarten Unternehmens, das unter anderem Altautos verwertet, kommen von Stadt und Land keine überzeugenden Argumente. „Hier wird offensichtlich versucht, den schwarzen Peter jeweils beim anderen zu suchen. Und keiner, weder Stadt noch Land, möchte die Kosten tragen und Verantwortung übernehmen.“
Die Beteiligten machen es sich aus Kiesows Sicht sehr leicht, wenn behauptet werde, man könne nichts unternehmen, solange keine akute Gefahr für Grund, Boden oder Mensch bestehe.
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„So beruft man sich gerne auf das Ergebnis der Grundwasserproben, lässt aber die Gesamtsituation gänzlich außer Acht.“ Der Geschäftsführer fordert: „Räumung des Grundstücks durch Stadt und oder Land und vollständige Entsorgung des Mülls.“