Habecks Gas-Dilemma
Das Hauptthema des EU-Gipfels in Versailles (Frankreich): Wie sich unabhängiger machen von russischen Energie-Importen? Haupt-Bremser in Sachen Rohstoff-Embargo bisher: Die Bundesrepublik. Und der dort zuständige Minister: Robert Habeck (Grüne). Der steckt – in mehrerer Hinsicht – derzeit in einem echten Gas-Dilemma.
Die erste Frage: Können wir uns einen Importstopp jetzt sofort überhaupt leisten? Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Habeck sind sich bislang einig, dass ein sofortiges Embargo die deutsche Wirtschaft zu sehr schädigen und damit die Gesellschaft auseinanderreißen würde. Sie mahnen zu Geduld, sprechen von längeren Planungszeiträumen über Jahre.
Habeck: „Mehr als die Corona-Pandemie“
„Wir können nur Maßnahmen beschließen, von denen ich weiß, dass sie nicht zu schweren wirtschaftlichen Schäden in Deutschland führen“, so der grüne Wirtschaftsminister im ZDF-„heute journal“. „Fünf Prozent wirtschaftlicher Einbruch – wenn es denn so käme – ist mehr als die Corona-Pandemie.“
Genau genommen wäre es in etwa so viel wie im Jahr 2020, als Corona ins Kontor schlug. Der Ökonom Andreas Löschel zum Beispiel kommt mit acht Kollegen in einer Studie auf andere Zahlen. Nach ihren Berechnungen würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt bei einem Komplett-Stopp für russisches Gas, Kohle und Öl um 0,5 bis 3 Prozent schrumpfen.
Löschel: „Insgesamt wäre das zu stemmen“
Löschel, der seit Jahren die Regierung energiepolitisch berät, sagt selbst: „Die volkswirtschaftlichen Folgen wären massiv, insbesondere für einzelne Branchen.“ Aber, so der Forscher im „Spiegel“: „Insgesamt wären sie wohl zu stemmen.“ Zudem gehen die Ökonomen davon aus, dass es bei Öl und Kohle kaum zu Knappheiten kommen würde. Beim Öl gebe es genug alternative Lieferanten, Braunkohle gebe es hierzulande zuhauf.
Starten Sie bestens informiert in Ihren Tag: Der MOPO-Newswecker liefert Ihnen jeden Morgen um 7 Uhr die wichtigsten Meldungen des Tages aus Hamburg und dem Norden, vom HSV und dem FC St. Pauli direkt per Mail. Hier klicken und kostenlos abonnieren.
Aber selbst wenn man von diesen Prämissen ausgeht: Die Angst Habecks dürfte sein, dass Russland bei einem Boykott von Öl und Kohle auch den Gashahn zudreht. Und damit 55 Prozent unserer Liefermenge. Ein wichtiger Punkt seines Dilemmas. Wobei Russland seit Kriegseintritt zwar mit Boykott droht, aber bislang sogar eher mehr Gas liefert als in den Wochen zuvor. Ein möglicher Grund: Moskau weiß, dass man sonst pleite ginge (s.r.), und die „Kriegskasse“ muss weiter gefüllt werden.
Erstes Stahlwerk musste bereits Produktion stoppen
Auch ein Öl- und Kohlestopp hätte natürlich massive Auswirkungen. Etliche Lieferketten und Wirtschaftszweige wären betroffen. Gestern stoppte bereits das erste Stahlwerk seine Produktion wegen der gestiegenen Strompreise. Und an den Tankstellen gab es einen neuen Rekord bei Diesel und Benzin. Manche Expert:innen erwarten bald bis zu drei Euro pro Liter.
Wobei der Ökonom Lars Handrich kürzlich in der „Welt“ vorrechnete, warum diese Preise dem deutschen Fiskus auch „helfen“ könnten – dank der Mehrwertsteuer. Sein Plädoyer: Diese Gewinne direkt an arme Haushalte abgeben, um die Preise auszugleichen!
Das grüne Dilemma mit der Kohle und der Atomkraft
Ein weiteres Dilemma: Wo sollen Alternativen zum Gas her? Und was ist mit dem Kohlestopp in Deutschland und den Laufzeiten der Atomkraftwerke? Manche fordern, grüne Positionen hier zu überdenken, um Engpässe zu überbrücken.
Ex-Bundespräsident Joachim Gauck widersprach Habeck bei „Maischberger“ in der ARD grundsätzlich: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“
Lesen sie auch: Rohstoff-Boykotte: Der Druck auf Scholz wächst
Habeck indes wird sich weiter den Kopf zerbrechen, wie die Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen gelingen kann. Eine Möglichkeit nennt auch der grüne Minister: Die massiv beschleunigte Förderung der landeseigenen Erneuerbaren.