• Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) steht für eine vorsichtige Corona-Politik. 
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Lockerungen vs. dritte Welle: So schmerzhaft ist der Lockdown-Spagat

Zwei Züge, die aufeinander zurasen – mit diesem Bild beschreibt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die aktuelle Corona-Lage in Deutschland. Aus der einen Richtung preschen die Öffnungswilligen mit ihren Rufen nach Lockerung und Freiheit voran, aus der anderen Richtung rollt laut Experten bereits die dritte Infektionswelle an. In der Mitte: Merkel und die Ministerpräsidenten. Am Mittwoch werden sie wieder über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Die Lage wird immer vertrackter.

Die Daten zur Infektionslage in Deutschland sind weiterhin kein Mutmacher: Bereits am Samstag stieg die Zahl der Neuinfektionen, die binnen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner gemeldet wurden, um 1,2 auf 63,8. In Hamburg stieg die Inzidenz im Vergleich zur Vorwoche von 69,2 auf 78,2 – Tendenz steigend. Gleichzeitig breitet sich die britische Virus-Mutation aus.

Dritte Welle? Düstere Corona-Prognose für Deutschland

Virologe Christian Drosten geht inzwischen von einer dritten Welle aus, der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr gab am Wochenende eine düstere Prognose ab: „Ich gehe schon davon aus, dass wir wieder so Zustände wie vor Weihnachten bekommen werden“, sagte der Experte. Er rechne damit, dass in der ersten Aprilhälfte wieder Sieben-Tage-Inzidenzen um 200 erreicht würden. Kurzum: Sollten die Prognosen eintreten, würden die Bundesländer mitten in die dritte Welle hinein lockern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einem „Blindflug“.

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Trotzdem laufen die Pläne für die Öffnung des Einzelhandels bereits auf Hochtouren, steigt der Druck aus der Bevölkerung auf die Politik.

Menschen plädieren für Öffnung des Einzelhandels

Nach Monaten der Zermürbung durch den Endlos-Lockdown spricht sich inzwischen ein Großteil der Bundesbürger für weitreichende Öffnungen aus. In einer Umfrage des Instituts Insa für die „Bild am Sonntag“ plädieren 75 Prozent für eine Öffnung des Einzelhandels im März, nur 17 Prozent sind noch dagegen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) befürwortet die Öffnung vieler Geschäfte und Einrichtungen ab dem Frühjahr unter Verwendung von Corona-Schnelltests. „Immer größere Kapazitäten von Impfdosen, Schnelltests und insbesondere demnächst Selbsttests schaffen uns neue Möglichkeiten“, betonte auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Groß ist der Unmut naturgemäß bei den Unternehmen. „Viele Unternehmen geraten an Grenzen, die Stimmung kippt“, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Auch der Chef der größten deutschen Buchhandelskette Thalia, Michael Busch, findet deutliche Worte. „Der Handel stirbt, die Innenstädte sterben. Und die Bundesregierung schaut quasi tatenlos zu“, sagte Busch der „BamS“.

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Bilder aus anderen EU-Staaten machen deutlich, wie hoch der Druck auf dem Kessel inzwischen ist und was im Extremfall passiert, wenn er sich bei den besonders Frustrierten entlädt: Protestwellen rollten bereits durch die Niederlande, am Wochenende demonstrierten in Irlands Hauptstadt Dublin Hunderte gewaltsam gegen eine Lockdown-Verlängerung bis in den April.

Tschentscher bekommt Gegenwind für Masken-Verordnung

Wie schmal der Grat zwischen Verständnis und Empörung sein kann, musste vergangene Woche auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) erfahren. Der Labormediziner, der von den Lockerungsbeschlüssen des Nachbarlandes Schleswig-Holstein für Tierparks, Gartencenter und Co. wenig hält, verkündete am Dienstag eine neue Maskenpflicht – unter anderem für belebte Parks und Grünflächen. Diese soll am Wochenende zwischen 10 und 18 Uhr zum Beispiel an Alster und Elbufer gelten, auch Jogger sind betroffen.

Für einige Hamburger die eine Umdrehung zu viel in der Maßnahmen-Daumenschraube. „Schimpfthema Nummer eins“ nannte die „Zeit“ den Vorstoß. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit ließ später noch verlauten, dass man sich die Jogger-Nummer aus infektiologischer Sicht wohl auch hätte sparen können.

Aus den Bundesländern gibt es vor den Beratungen von Bund und Ländern nun diverse Forderungen nach einem konkreten Stufenplan für den Weg aus den Corona-Beschränkungen. Klar ist vor dem Corona-Gipfel aber nur eins: Es bleibt ziemlich kompliziert.

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