Industrie drängelt: Wer erhält im Ernstfall beim Gas den Vorzug?
Polen und Bulgarien erhalten bereits kein russisches Gas mehr. Und bald könnte sich Wladimir Putin dazu entschließen, auch für Deutschland den Pipeline-Hahn zuzudrehen. Und dann? Eigentlich gibt es einen Plan, was bei Gas-Mangel zu geschehen hat. Doch die Industrie rüttelt nun daran.
Die Bundesregierung hatte wegen des Krieges in der Ukraine kürzlich die erste Stufe des „Notfallplans Gas“ ausgerufen. Im Fall von Knappheiten regelt er die Verteilung von Gas.
Privathaushalte sind dabei ebenso geschützt wie etwa Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Zuerst müsste demnach die Industrie auf Lieferungen verzichten. Welche Branchen wann betroffen wären, ist aber offen.
Die Industrie argumentiert mit Arbeitsplätzen
Vertreter der Wirtschaft versuchen nun an den Prioritäten zu drehen. Eon-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley fordert, die Politik solle über eine „umgedrehte“ Reihenfolge beim Notfallplan nachdenken und erst bei Privaten abschalten, dann bei der Industrie.
Sein Argument: Die gesamte Volkswirtschaft und damit auch die Einkommen der Menschen hingen daran, dass die Industrie arbeitsfähig bleibe: „Wobei natürlich lebensnotwendige Infrastruktur wie Krankenhäuser weiterhin davon auszunehmen sind.“ Auch der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt: „Bei einem Gas-Embargo, egal welche Seite es lostritt, steht dieses Land still.“
Chef der Bundesnetzagentur lehnt Forderung ab
Der Präsident der Bundesnetzagentur lehnt die Forderungen der Wirtschaft ab: „Ich kann und möchte mir nicht vorstellen, dass man die Versorgung von Krankenhäusern weniger wichtig finden kann als die der Industrieunternehmen“, erklärte Klaus Müller. Man dürfe die Gruppen nicht gegeneinander ausspielen.
„Trotzdem ist die Frage legitim und notwendig, was ich in einer Gasnotlage zu Hause tun kann oder muss, um Gas, CO2 und Geld zu sparen, damit unser Land insgesamt gut durch die Krise kommt“, sagte er weiter. Das gelte aber für die Industrie ebenso wie für private Verbraucher.
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Und die Politik? „Die Wirtschaft muss für den Menschen da sein und nicht umgekehrt“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. Forderungen, die Gas-Priorisierung zu ändern, „gehen gar nicht“.
Andreas Jung (CDU), Mitglied des Energieausschusses im Bundestag erklärte: „Es muss nochmal sensibel diskutiert werden, wo welche Einsparungen vertretbar sind. Aber klar ist: Niemand soll frieren, Privathaushalte brauchen besonderen Schutz.“
Hüther zweifelt an Umsetzbarkeit bei Privathaushalten
Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), hält von den Forderungen aus der Industrie auch nicht viel. „Ich verstehe das Anliegen, die Industrie so lange wie möglich mit Gas zu versorgen. Doch es steht nicht nur im Gesetz, dass die privaten Haushalte geschützte Kunden sind“, sagte er. „Eine Abschaltung der Haushalte wäre auch mit Sicherheitsfragen verbunden. Vor allem wäre es für die Netzagentur im Vorhinein auch gar nicht möglich, eine massenhafte Abschaltung sicher zu planen.“
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Sein Vorschlag, um das Problem zu lösen: Die Bundesregierung könnte Prämien ausloben, die die Haushalte durch zum freiwilligen Energiesparen zu bringen.