Bundestags-Debatte: Merkels letztes Gefecht gegen das Virus und die Bedenken
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Berlin –
Während in Großbritannien nach einem harten Lockdown und nun niedrigen Corona-Zahlen wieder gezapftes Bier im Freien getrunken wird, fand im Bundestag gestern die erste Lesung der Novelle des Infektionsschutz-Gesetzes statt. Im Mittelpunkt: eine verzweifelte Kanzlerin, die mahnte, die Hände bittend zum Himmel streckte und an ihrem bandagierten Mittelfinger knibbelte, während vor allem von FDP und AfD Bedenken kamen. Doch auch Linke und Grüne mahnten: Die Wirtschaft werde in dem Entwurf immer noch nicht genug in die Verantwortung genommen.
„Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag», sagte Kanzlerin Merkel mit Blick auf die drohende Überlastung vieler Krankenhäuser. Eine hitzige Debatte entzündete sich an den geplanten Ausgangsbeschränkungen ab 21 Uhr.
„Das Virus versteht nur eine Sprache: Entschlossenheit“
Merkel sagte: „Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten, sie machen alles nur noch schwerer. Das Virus verzeiht kein Zögern, es dauert alles nur noch länger. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln, es versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit.“ Mittwoch soll das geplante Gesetz beschlossen werden. Kurz darauf gibt der Bundesrat sein Votum ab. Kontaktbeschränkungen sollen dann verbindlich in Kreisen und Städten ab einer Inzidenz von 100 greifen. Aktuell haben 351 von 412 Kreisen diese Schwelle überschritten.
„Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen – wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?“, so Merkel. Die Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte könnten den Kampf alleine nicht gewinnen. „Die Notbremse ist also das Instrument, die drohende Überlastung unseres Gesundheitswesens zu verhindern. Systematisches Testen ist das Mittel, bei niedrigeren Inzidenzen konsequente, nachhaltige Öffnungen zu ermöglichen. Impfen ist der Schlüssel, die Pandemie zu überwinden.“
Grüne und Linke: Das Wirtschaftsleben auch berücksichtigen!
Grüne und Linke warfen der Regierung vor, das Wirtschaftsleben in dem Entwurf nicht ausreichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe es faktisch null Beschränkung, kritisierte Klaus Ernst (Linke). Sein Fraktionschef Dietmar Bartsch warf der Regierung Scheitern vor: „Wir haben seit November einen permanenten Halb-Lockdown, und Sie sind immer nach der Welle.“
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel polterte: „Sie misstrauen den Bürgern, deshalb wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren.“ Die Regierung nutze die Corona-Krise, um sonst unmögliche Eingriffe durchzusetzen. Weidel sprach von „Notstandsgesetzgebung durch die Hintertüre“.
FDP-Lindner droht mit Verfassungsklage
FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Es ist richtig, dass nun bundeseinheitlich gehandelt wird.“ Mit Blick auf die geplanten Ausgangsbeschränkungen kündigte er aber Vorschläge an, das Gesetz „verfassungsfest“ zu machen. Die FDP werde vors Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn auf die Bedenken nicht eingegangen werde, drohte er dann noch.
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Merkel verteidigte die Pläne. Andere Staaten hätten solche Maßnahmen „zum Teil erheblich restriktiver“ praktiziert. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „In keinem Land ist es gelungen, eine Welle mit Variante B.1.1.7 noch einmal in den Griff zu bekommen, ohne dass man nicht auch das Instrument der Ausgangsbeschränkung genutzt hätte.“
Die nun wieder draußen trinkenden Briten können ein Lied davon singen. (km/dpa)