Videoaufnahmen sollen den Beschuss in Mariupol zeigen.
  • Videoaufnahmen sollen den Beschuss in Mariupol zeigen.
  • Foto: twitter.com/mediazzzona

Rache für ESC-Appell? Russland wirft offenbar Phosphorbomben auf Mariupol

Eigentlich soll der Eurovision Song Contest (ESC) unpolitisch sein, doch in Zeiten des Krieges ist das nur schwer möglich. So setzte auch der spätere ESC-Gewinner, die Ukraine, bei seinem Auftritt ein Zeichen – mit Folgen.

Russland hat das Asow-Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol nach ukrainischen Angaben mit Phosphorbomben beschossen. „Die Hölle ist auf die Erde gekommen. Zu Azovstal“, schrieb der Mariupoler Stadtratsabgeordnete Petro Andrjuschtschenko am Sonntag im Nachrichtenkanal Telegram. Solche Brandbomben entzünden sich durch Kontakt mit Sauerstoff und richten verheerende Schäden an. Ihr Einsatz ist verboten.

Andrjuschtschenko veröffentlichte dazu ein Video mit Luftaufnahmen, auf denen ein Feuerregen zu sehen ist, der auf das Stahlwerk niedergeht. Auf den zunächst nicht überprüfbaren Aufnahmen unklarer Herkunft war zudem Artilleriebeschuss der Industriezone zu sehen.

Nach dramatischem ESC-Appell: Russland wirft offenbar Phosphorbomben auf Mariupol

Andrjuschtschenko veröffentlichte zudem Bilder, die Aufschriften auf Bomben zeigen. Demnach soll das russische Militär damit auf den Sieg der Ukraine beim Eurovision Song Contest (ESC) reagiert haben. Es war zunächst nicht klar, woher diese Fotos stammten.

Auf den mutmaßlichen Bomben war demnach auf Russisch zu lesen: „Kalusha, wie gewünscht! Auf Azovstal“ und auf Englisch „Help Mariupol – Help Azovstal right now“ (Deutsch: Helft Mariupol – Helft Azovstal sofort) mit dem Datum 14. Mai. Der Sänger der beim ESC siegreichen Band Kalusha Orchestra hatte auf der Bühne in Turin diese Worte in einem Appell gesagt.

In Hasskommentaren war zu lesen, die Phosphorbomben seien der russische Gruß zum ESC-Sieg. Russische Medien berichteten in der Nacht zum Sonntag zwar von dem Sieg, anders als in den Vorjahren durfte das Staatsfernsehen die Show aber nicht zeigen. Russland ist wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine vom ESC ausgeschlossen.

Suchanfragen zu Mariupol steigen nach ESC-Appell dramatisch an

Die ukrainische Band hatte ihren Auftritt in Turin am Samstagabend mit einem eindringlichen Appell beschlossen: „Ich bitte Euch alle: Helft der Ukraine, Mariupol und den Menschen im Asow-Stahlwerk“, sagte Sänger Oleh Psjuk und rief die Weltgemeinschaft damit zur Unterstützung im Angriffskrieg gegen Russland auf.

Der Appell sorgte derweil im Heimatland der Musiker für Begeisterung: Die Anfragen in Suchmaschinen im Internet zur Mariupol seien dramatisch angestiegen, hieß es in zahlreichen ukrainischen Telegram-Kanälen am späten Samstagabend. Die Menschen wollten wissen, was dort los sei. In dem Stahlwerk der ukrainischen Hafenstadt sind hunderte ukrainische Kämpfer eingeschlossen, um deren Rettung die Regierung in Kiew kämpft.

Lesen Sie auch: Die Ukraine gewinnt den ESC – aber nur beim Publikum

Der Band seien politische Botschaften über den Krieg verboten worden, nun werde zwar eine Disqualifizierung befürchtet, schrieb der Telegram-Kanal Kiewski Dwisch am Abend. Allerdings sei ein Ausschluss angesichts der weltweiten Unterstützung für die Ukraine nicht zu erwarten, hieß es in Kommentaren.

Die Veranstalter äußerten ihrerseits am Abend auch durchaus Verständnis. „Wir verstehen die starken Gefühle, wenn es dieser Tage um die Ukraine geht, und betrachten die Äußerungen des Kalush Orchestra und anderer Künstler zur Unterstützung des ukrainischen Volks eher als humanitäre Geste und weniger als politisch“, sagte ein Sprecher der Europäischen Rundfunkunion EBU auf dpa-Anfrage.

ESC-Sieger: „Wir sind bereit, so viel zu kämpfen wie wir können, und bis zum Ende zu gehen“

„Wir haben in diesen Tagen große Trauer in der Ukraine, weil unsere Leute von allen Seiten blockiert sind und nicht aus dem Asow-Stahlwerk rauskommen“, sagte Rapper Psjuk am frühen Sonntagmorgen vor der Presse. „Wir brauchen Hilfe, um diese Menschen freizubekommen.“ Der Ukrainer empfahl, Informationen über das Geschehen in seinem Land zu verbreiten, darüber zu sprechen und zu versuchen, an die Regierungen und Behörden heranzutreten. „Das ist so wichtig“, meinte der junge Mann, der mit seiner Band in den kommenden Tagen wieder in die Ukraine reisen wird.


Starten Sie bestens informiert in Ihren Tag: Der MOPO-Newswecker liefert Ihnen jeden Morgen um 7 Uhr die wichtigsten Meldungen des Tages aus Hamburg und dem Norden, vom HSV und dem FC St. Pauli direkt per Mail. Hier klicken und kostenlos abonnieren.


Was in seinem Land auf Psjuk wartet und ob er im Militär kämpfen muss, wusste der Musiker nach eigenen Worten noch nicht. Am Montag feiert er seinen 28. Geburtstag – allerdings ohne seine Mutter Stefania, der er den gleichnamigen Gewinnersong beim diesjährigen Eurovision Song Contest im italienischen Turin gewidmet hat.

„Wir sind bereit, so viel zu kämpfen wie wir können, und bis zum Ende zu gehen“, erklärte er weiter. Besorgt zu sein, ende nicht an der Grenze. „Alle meine Freunde und Familie und Lieben sind sowieso in der Ukraine, egal, wo ich bin.“ Manchmal ist es laut Psjuk sogar noch tröstlicher, dort mit ihnen zusammen zu sein.

ESC-Moderator Mika wird mit Kanzler Olaf Scholz verglichen

Gefeiert wurde in den sozialen Netzwerken auch das Sonnen-Symbol für das ostukrainische Gebiet Donezk, das die Band beim Auftritt ins Bühnenbild eingebaut hatte. Russland will die Region Donezk, wo Mariupol liegt, komplett unter seine Kontrolle bringen will. Die meisten Zuschauer hätten das nicht verstanden, hieß es.

Kritisiert wurde dagegen, dass Moderator Mika der Band im Saal bei einer Pause nicht das Mikro gegeben hatte, als die Künstler danach gegriffen hatten. Mika wurde mit Kanzler Olaf Scholz verglichen, der den Ukrainern demnach keine Stimme gebe. (mik/dpa)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp