„Wir müssen komplett umdenken“: Klima-Papst Latif über die Angst vor der Apokalypse
Viele Menschen sorgen sich wegen des Klimawandels. Sie schwanken zwischen Hoffnung und Angst. Dem Forscher Mojib Latif, der sich seit Jahrzehnten mit dem Problem des Klimawandels befasst, geht es da nicht anders. Die Botschaft seines neuen Buches: Es eilt.
In den vergangenen Jahren sind viele Bücher über die Klimakrise und ihre verheerenden Folgen für die Menschheit geschrieben worden. Darunter waren überaus wichtige Beiträge wie Michael Manns „The New Climate War“ und „Deutschland 2050“ von Nick Reimer und Toralf Staud, aber auch kontrovers diskutierte Werke wie Bill Gates‘ „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“. Nun meldet sich der deutsche Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif, der seit dem 1. Januar 2022 Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg ist, erneut zu Wort. In seinem Buch zur globalen Krise lässt er keinen Zweifel an der Dringlichkeit von mehr Klimaschutz.
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„Countdown“ heißt das Werk, das der Herder-Verlag diese Woche in den Buchhandel gebracht hat. Der Untertitel spricht Bände: „Unsere Zeit läuft ab.“ Latif nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf „die planetare Geisterfahrt“, vor der der Club of Rome schon vor einem halben Jahrhundert gewarnt habe. Latif ist nicht nur Professor am Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, sondern auch Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Kurzum: Der 67-Jährige weiß, wovon er schreibt.
Leider ist all das, was Latif über das Klima berichtet, nicht wirklich stimmungsaufhellend. Neu sind die Erkenntnisse nicht, die meisten davon bereits Jahrzehnte alt. Doch nicht zuletzt die Waldbrände und Überschwemmungen in aller Welt, die jüngste Hitzewelle in Indien oder auch die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 sind Belege dafür, dass mit dem Klimawandel zusammenhängende Extremwetter-Ereignisse Menschen auf dem ganzen Planeten treffen. „Der Klimawandel besitzt ein enormes Gefahrenpotenzial, und das überall auf der Welt“, schlussfolgert Latif. „Überall“ schließt auch Deutschland ein.
Hamburger Klimaforscher: „Die Menschheit reagiert viel zu langsam auf das Klimaproblem“
Umso unverständlicher ist da auch für Latif, dass das nötige Handeln im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe weiterhin aufgeschoben wird. „Warum kommen wir nicht vom Wissen zum Handeln?“, fragt er sich. Ja, warum eigentlich nicht? Die Maßnahmen wegen der Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg in der Ukraine haben letztlich bewiesen, dass Regierungen schnell und manchmal sogar gemeinsam auf Krisen reagieren können.
Beim Klima jedoch, da werden Latif unzählige weitere Experten zustimmen, hapert es genau an diesem schnellen und gemeinschaftlichen Handeln. „Wenn man die Maßnahmen als Maßstab anlegt, die bisher ergriffen worden sind, muss man sagen: Die Menschheit reagiert viel zu langsam auf das Klimaproblem“, schreibt er. Einige Regierungen bestritten, verharmlosten oder ignorierten noch immer, was vor sich gehe – und das, obwohl ein ungebremster Temperaturanstieg zu einer Destabilisierung der Welt und endlosem menschlichen Leid führen würde, wie er warnt.
Woran liegt das? „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und bewegt sich nur unwillig in neue Richtungen, wenn er erst einmal einen gewissen Wohlstand erreicht und es sich in seiner Komfortzone bequem gemacht hat“, schreibt Latif. Helfen werde nur ein grundlegender technologischer und kultureller Wandel.
Latif in seinem Buch „Countdown“: Es brauche Mut zum Aufbruch
Damit sich mehr tut, braucht es mehr Wissen. Das liefert der Autor mit Bravour. Wasserdampf, Jetstream, Kipppunkte, all solche wichtigen Dinge nimmt Latif unter seine wissenschaftliche Lupe. Er erklärt die Absurdität der deutschen Debatte über ein Tempolimit und zeigt mit gleich sieben Begründungen, warum die Atomkraft „im Sinne des Klimaschutzes völlig kontraproduktiv“ sei.
Manchmal wiederholt er sich, aber das macht nichts. Da die Wissenschaft vom Klima nun mal kein Ponyhof ist, muss man manches sowieso doppelt lesen, um es zu begreifen. „Countdown“ ist somit kein Pageturner, aber gerade deshalb ein wichtiges, aufklärendes Buch.
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Letztlich liefert Latif einen rund 220 Seiten langen Appell für mehr Klimaschutz. „Wir müssen komplett umdenken. Alte Denk- und Verhaltensweisen funktionieren nicht mehr“, schreibt er. Das gelte für jeden Einzelnen wie für große Teile der Wirtschaft und insbesondere der Politik. Die CO₂-Uhr ticke gnadenlos, und Russlands Angriff auf die Ukraine habe zudem in aller Deutlichkeit gezeigt, wohin es führe, wenn nur wirtschaftliche Erwägungen in der Politik eine Rolle spielten. Es brauche Mut zum Aufbruch, der auch Mut zum Scheitern einschließe. Es bleibt eine eindringliche Erkenntnis, dass Verdrängung keine Probleme löst. „Wir müssen endlich aufwachen.“ (dpa/mp)