Anfangs harmlos – aber oft auch ein Problem: Wenn die Venen „krampfen“
Krampfadern sind für viele nur ein rein kosmetisches Problem. Doch stimmt das wirklich? Können die „verkrampften“ Venen auch zu ernsten medizinischen Problemen führen? Rein statistisch gesehen ist jede zweite Frau und jeder vierte Mann betroffen. Im Interview erklärt Dr. Harald Salzbrunn, Chefarzt im Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie am Krankenhaus Tabea in Hamburg-Blankenese, wie es überhaupt zu Krampfadern kommt und wie die modernen Behandlungsmethoden aussehen.
MOPO: Im Altdeutschen heißen die Krampfadern noch „Krumpadern“, was so viel wie krumme Vene heißt. Das passt doch besser, denn mit Krämpfen haben die Krampfadern ja nichts zu tun.
Dr. Harald Salzbrunn: Da ist tatsächlich etwas falsch übersetzt worden. Soweit wir das wissen, kommt es von krimpfan – was so viel wie krümmen heißt. Demnach müssten Krampfadern eher Krummadern heißen. Auch die Besenreiser haben ihren wörtlichen Ursprung vom Reisig – man kennt vielleicht noch den Reisigbesen. Sie sind also kleinste Verästelungen, die im Übrigen keinen Krankheitswert haben. Sie sehen bloß nicht schön aus.
Was sind Krampfadern eigentlich?
Krampfadern sind oberflächlich erweiterte gut sichtbare Venen, die einen gekrümmten Verlauf haben. Man sieht sie meistens an den Beinen, weil hier die tiefste Stelle des Körpers ist, und das Blut entgegen der Schwerkraft wieder in Richtung Herz gepumpt werden muss. In den Venen sind ca. alle sieben Zentimeter Venenklappen, die wie ein Rückschlagventil funktionieren. Ist alles in Ordnung, kann das Blut zurück zum Herzen fließen. Funktionieren die Venenklappen allerdings nicht mehr, dann rauscht das Blut nach unten und drückt dadurch die Venen-Seitenäste auf. Diese Seitenäste sind es, die dann als Krampfadern sichtbar sind.
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Sind Krampfadern erblich?
Wir sehen schon eine familiäre Häufung. Es gibt aber keinen Chromosom-Defekt wie bei anderen Erbkrankheiten. Aber wenn ein Elternteil Krampfadern hat, hat man rein statistisch eine höhere Wahrscheinlichkeit, auch welche zu bekommen.
Fördert auch ein schlechter Lebensstil Krampfadern?
Nein. Man kann gegen seine Genetik nichts machen. Aber man kann sich natürlich insgesamt gesund oder ungesund verhalten. Das hat auch auf das Ausmaß der Krampfadern Auswirkungen. Aber gegen das Grundproblem kann man weder was tun noch kann man es verstärken.
Bekommen nur ältere Menschen Krampfadern?
Nein, es kann wirklich jeden in jedem Alter treffen. Wir haben schon Patienten operiert, die waren noch nicht mal 18 Jahre alt. Statistisch gesehen ist es so: Krampfaderträger sind 20 Prozent der 20-Jährigen, 30 Prozent der 30-Jährigen und so weiter. Nicht alle Krampfadern müssen aus medizinischer Sicht behandelt werden. Aber die Wahrscheinlichkeit steigt im Alter.
Sind Krampfadern „nur“ ein kosmetisches Problem oder sogar gefährlich?
Krampfadern können gefährlich werden. Hier kommt es auf das Ausmaß der Krankheit an. Wenn die Stammvenen, die Vena saphena magna und Vena parva, kaputt sind und sich sichtbare Krampfadern entwickelt haben, dann kann am Ende einer Kette, die über verschiedene Hautveränderungen führt, auch das offene Bein stehen. Spätestens jetzt muss medizinisch gehandelt werden.
Ab wann sollte man zum Arzt?
Auf alle Fälle, wenn sich Beschwerden wie schwere Beine oder Schmerzen einstellen. Die meisten Patienten kommen natürlich zu uns, weil Krampfadern nicht schön aussehen. Da haben Männer einen kleinen Vorteil, weil sie meist behaarte Beine haben. Nach einer Blick- und Tastdiagnose ist der Ultraschall das Mittel der Wahl. So können wir auch feststellen, ob die Venenklappen noch funktionieren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann sollte man sich behandeln lassen.
Wie werden Krampfadern behandelt?
Welche Behandlungsmethoden gibt es?
Krampfadern, die behandlungswürdig sind, sollte man operieren. Denn nur so wird auch die Ursache behandelt. Man kann auch Kompressionsstrümpfe tragen, aber dadurch verschwinden die Krampfadern nicht. Ähnliches gilt für Salben: Sie wirken abschwellend, haben aber auch keinen Einfluss auf die Vene. Bei den Operationen gibt es heute zwei gängige Methoden. Zum einen die klassische Operation und endoluminale Verfahren, die mit Hitze per Laser oder Radiowellen die Vene von innen verdampfen.
Wie funktionieren die Methoden?
Bei der Operation per Laser oder Radiowellen wird ein sehr dünner Katheter in die Vene eingeführt. Per Ultraschall wird kontrolliert, ob der Katheter richtig liegt. Beim Zurückziehen wird der Katheter auf etwa 80 Grad erhitzt. Das führt zu einer Verdampfung der Venenwand und somit zum Verschluss der ganzen Vene. Vorher bekommt der Patient rund um die Vene einen Flüssigkeitsmantel mit Schmerzmittel gespritzt. So werden das umliegende Gewebe und die Nervenbahnen geschützt. Das klassische Verfahren ist das Stripping, das schon um 1905 vom US-Chirurgen William Babcock erstmals angewandt wurde. Im Groben hat sich das Verfahren bis heute etabliert. Dabei wird in die kaputte Vene ein Draht eingeführt und zusammen mit der Vene wieder herausgezogen. Das hört sich etwas martialisch an, ist aber immer noch das Verfahren mit den besten Ergebnissen. Beide Operationsverfahren dauern etwa 45 Minuten.
Wenn die Vene weg ist, wo fließt dann das Blut?
Das fließt dann durch das tiefe Venensystem. Hier gibt es keine Krampfadern. Aber bevor man am oberflächigen System etwas operiert, wird per Ultraschall immer das tiefe Venensystem kontrolliert. In sehr seltenen Fällen – etwa, wenn das tiefe Venensystem nach einer Thrombose noch verschlossen ist, fließt das Blut komplett durch das obere System. Das sieht dann zwar aus wie eine Krampfader, ist aber der Abfluss, den der Patient braucht. Deshalb muss der Arzt hier einmal ganz genau nachsehen. Zum Verständnis: Das tiefe Venensystem kann man nicht operieren.
OP und dann ist alles gut?
Ist man nach einer OP dann durch mit den Krampfadern?
Leider nicht. Es gibt eine gewisse statistische Wahrscheinlichkeit, dass man aus derselben Region wieder eine Krampfader bekommen kann. Denn: Der Körper baut wieder neue Blutgefäße. Manchmal ist es auch einfach Pech.
Kann man Krampfadern vorsorgen?
Eigentlich nicht. Wie schon eingangs gesagt: Es ist einem in die Wiege gelegt. Aber bei schlanken Menschen hat es das Blut leichter, nach oben gepumpt zu werden, als wenn das Herz noch gegen einen dicken Bauch anpumpen muss. Aber auch ganz schlanke Patienten können Krampfadern entwickeln.
Darf ich mit Krampfadern in die Sauna?
Eigentlich ist alles mit Wärme schlecht – das erweitert nämlich die Venen. Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Wenn jemand gerne in die Saune geht … Ich würde ihm das nicht verbieten. Ich glaube auch nicht, dass es Auswirkungen auf die Krampfadern hat.
Ist jetzt die richtige Zeit, um Krampfadern zu behandeln?
Der Zeitpunkt der Behandlung ist egal. Früher hat man Krampfadern bevorzugt im Winter behandelt. Das hatte aber mehr mit der Nachversorgung zu tun. Wenn Sie einen Patienten im Hochsommer bei 30 Grad für sechs Wochen in eine Kompressionsstrumpfhose stecken, dann guckt der Sie nie wieder an. Dementsprechend wurde das auch nicht gemacht und die Operationen auf die kalten Monate verschoben. Mittlerweile reichen unterschenkellange Kompressionsstrümpfe, die nach Maß gefertigt werden, für sechs Wochen. Die gibt es in allen modischen Farben und lassen sich auch gut tragen.
Sollte man die Strümpfe auch beim Fliegen tragen?
Für alle, die Krampfadern oder das Gefühl von schweren Beinen haben, können Kompressionsstrümpfe immer eine gute Wahl sein. Aber keiner bekommt eine Krampfader, weil er stundenlang in einem Flugzeug gesessen hat.
Neigen Schwangere eher zu Krampfadern?
Schwangere Frauen neigen zu Krampfadern, wenn sie die schon besprochene Genetik in sich haben. Das ist gar nicht so selten. Das Bindegewebe wird weich – sonst könnte auch kein Kind geboren werden – aber so entstehen auch Krampfadern, die mit Kompressionsstümpfen behandelt werden. Das Gute daran: Nach der Schwangerschaft bilden sich diese Krampfadern meistens wieder zurück.
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