NS-Opfer Jacob Haut als Soldat im Ersten Weltkrieg
  • NS-Opfer Jacob Haut (1902-1942) als Soldat im Ersten Weltkrieg
  • Foto: privat/hfr

80 Jahre nach seinem Tod: Enkelkinder treffen sich am Grab von KZ-Opfer Jacob Haut

Sie haben ihren Großvater nie kennengelernt: Der Schlosser Jacob Haut starb am 22. April 1942 im Konzentrationslager Neuengamme. Seine Enkelkinder wurden erst nach dem Krieg geboren. Und doch wirft der Tod des Opas einen tiefen Schatten auch auf ihr Leben. Jetzt kamen die Enkel nach Hamburg. Zur Eröffnung einer Ausstellung im Rathaus, die das Schicksal von Menschen zeigt, die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ verfolgt wurden. Menschen wie Jacob Haut.

„Asozial!“, Raimund Haut schnauft verächtlich. „Kein Mensch ist asozial“, sagt der 57-jährige Maschinenführer aus Kirchschönbach, einem Dorf in Unterfranken, aus dem auch sein Großvater Jacob Haut stammte. „Was für eine respektlose und bösartige Bezeichnung!“

Von wegen „asozial“: KZ-Opfer Jacob Haut war ein Gegner des NS-Systems

Sein Großvater sei vieles gewesen: ein liebevoller Vater. Ein Techniker mit künstlerischer Begabung. Vor allem aber ein mutiger Mensch. Denn Jacob Haut geriet nur deshalb in die nationalsozialistische Tötungsmaschinerie, weil er sich nicht anpassen wollte. Weil er immer wieder laut deutlich machte, was er von den „Braunen“ hielt – nichts.

Stolz auf ihren Opa: die Enkel von NS-Opfer Jacob Haut im Hamburger Rathaus. Von links: Anna Stiele (55), Raimund Haut (57) und Paula Rotter (48) Marius Röer
Die Enkel von NS-Opfer Jacob Haut im Hamburger Rathaus
Stolz auf ihren Opa: die Enkel von NS-Opfer Jacob Haut im Hamburger Rathaus. Von links: Anna Stiele (55), Raimund Haut (57) und Paula Rotter (48)

Drei Mal wurde der Familienvater und gläubige Katholik in Schutzhaft genommen – unter anderem, weil er ein Bettlaken quer über die Dorfstraße gespannt hatte, auf dem stand: „Nur solange die Affen parieren“. Die ersten Buchstaben ergeben zusammengesetzt die Abkürzung NSDAP.

Jacob Haut starb im KZ Neuengamme an Tuberkulose

1938 wurde Jacob Haut ins KZ Sachsenhausen geworfen, nachdem er sich geweigert hatte, den Reichsarbeitsdienst zu leisten. 1940 wurde er ins KZ Neuengamme in Hamburg verlegt, wo er den schwarzen Winkel der „Asozialen“ an der Häftlingskleidung tragen musste. Dort starb er am 22. April 1942 an Tuberkulose.

„Wir wussten nichts über ihn und diese Geschichte“, erzählt Raimund Hauts Schwester Anna Stiehle (55). Dass es ein dunkles Familiengeheimnis gab, war zu spüren. Aber es lag ein bleiernes Schweigen darüber. Denn für Jacob Hauts Witwe Anna war die KZ-Haft ihres Mannes auch nach seinem Tod ein Makel, über das sie bis zu ihrem Tod nicht sprach.

Ein Feuer brachte das dunkle Familiengeheimnis ans Licht

Im Dorf zeigte man mit dem Finger auf Anna Haut und ihre Kinder. Die Witwe musste ihre sechs Jungen und Mädchen alleine durchbringen. „Sie lebten in großer Armut und ernährten sich von der Hand in den Mund“, sagt Anna Stiele.

Wissen tun die Enkel das alles nur dank eines tragischen Ereignisses. 1986 brach ein Feuer in der Wohnung von Anna Haut aus. Die Großmutter kam dabei ums Leben. In den Trümmern fanden ihre Kinder die Briefe von Jacob Haut aus dem KZ. Sie waren wie durch ein Wunder unversehrt. Vor allem fiel den Nachkommen auf, wie hübsch Jacob Haut die Briefe verziert hatte und wie gut er zeichnen konnte.

privat/hfr
Ein Brief von NS-Opfer Jacob Haut an seine Familie
Gruß aus dem KZ: ein Brief von NS-Opfer Jacob Haut an seine Familie

Die Briefe sind Teil der Ausstellung „Zwischen Zwangsfürsorge und KZ. Arme und unangepasste Menschen im nationalsozialistischen Hamburg“, die noch bis zum 3. Juli in der Rathausdiele zu sehen ist. Sie bildet das Schicksal tausender Menschen ab, die erst seit 2020 offiziell als NS-Opfer anerkannt werden. Menschen, die wie Jacob Haut unbequem waren und deshalb verfolgt wurden. Oder die in Armut lebten und unter Mitwirkung der Wohlfahrtsanstalten entmündigt, entrechtet und in KZ gesperrt wurden.

„Ich bin stolz auf ihn“: Enkel besuchen erstmals das Grab ihres Großvaters

Besonders der Besuch im KZ-Neuengamme war für Jacob Hauts Enkelkinder, die eigens zur Ausstellungseröffnung nach Hamburg gekommen sind, ein schwerer Gang. „Es war sehr bedrückend, die Baracken zu sehen und sich vorzustellen, dass der Opa hier war“, sagt Paula Rotter (48), eine Cousine von Raimund Haut und Anna Stiele. Noch emotionaler war für die drei Enkel der Besuch des Grabs von Jacob Haut auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Das Grab von NS-Opfer Jacob Haut auf dem Ohlsdorfer Friedhof. privat/hfr
Das Grab von NS-Opfer Jacob Haut auf dem Ohlsdorfer Friedhof
Das Grab von NS-Opfer Jacob Haut auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

„Es ist das erste Mal, das jemand von der Familie an seinem Grab war“, sagt Paula Rotter. „Wir dachten immer, er läge in einem Massengrab“, berichtet Raimund Haut. Die drei Enkel haben Blumen und Kerzen nieder gelegt. Das Grab, die Geschichte ihres Opas, der Besuch in Hamburg – all das hat die Enkelkinder Jacob Hauts eng zusammen geschweißt. „Jeder von uns trägt ein Stück von ihm in sich“, sagt Anna Stiele nachdenklich.

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Und Paula Rotter, die das Hochzeitsbild ihrer Großeltern stets bei sich trägt, betont: „Der Opa war ein mutiger Mann. Ein Freigeist. Ich bin stolz auf ihn!“

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