„Rollator stehen lassen und loslegen“: Remmidemmi in der Senioren-Disco
Einmal im Monat dreht sich die Discokugel im Jugendhaus in Leer schon ab dem Freitagnachmittag. Einlass ist dann allerdings vor allem für die Generation 60+. Bei der Disco für Senioren wird getanzt, geschwitzt, getrunken – aber auf Schlager weitgehend verzichtet.
Durch die geöffnete Tür des Leeraner Jugendzentrums dröhnt das Schlagzeug aus der Musikanlage bis vor die Eingangstreppe der alten Villa: „I Want To Break Free“ von Queen schallt von der Bühne in den Veranstaltungsraum im Erdgeschoss. Bei nur wenig Licht wirft eine Discokugel dazu matte Lichtreflexionen auf die Tanzfläche. Doch anders als zunächst erwartet, tummeln sich dort an diesem frühen Freitagnachmittag keine Jugendlichen. Das Durchschnittsalter der rund 30 Tänzerinnen und Tänzer liegt schätzungsweise weit über 60.
Einmal im Monat öffnet das Jugendzentrum zur Senioren-Disco mit Rockmusik. Die Disco habe nichts mit den üblichen Tanztees für Senioren gemeinsam, berichtet Steffi Pruin. Die 70-Jährige organisiert die Disco zusammen mit ihrer Freundin Waltraud Koller (72) jeden ersten Freitag im Monat ehrenamtlich.
U2, Queen, Stones: Senioren-Disco in Leer
Auch Schlager seien weitgehend tabu, ergänzt Koller. Seniorinnen und Senioren, die die Disco besuchten, würden gern mehr hören als Volksmusik. Beatles, Tina Turner, U2 oder Rolling Stones – eben die Songs, die die Generation selbst früher gern gehört habe. Manche Discobesucher erkundigen sich gar vorab, welche Hits gespielt werden. „Da fragen viele nach“, erzählt Koller. Selten werde auch mal Helene Fischer gewünscht, doch das komme bei den meisten nicht gut an.
An diesem Freitag sorgt DJ Otto für die passende Musik zum Tanzen. Er wechselt sich jeden Monat mit anderen DJs für die Senioren-Disco ab. Vor allem Hits von den 1960ern bis zu den 1980ern seien bei der junggebliebenen älteren Generation gefragt. „Nee, Schlager ist hier nicht, nur Rockmusik“, bestätigt auch der Discjockey, während er auf seinem Laptop schon den nächsten Song ansteuert: Den Hit „Bad Moon Rising“ von 1969 von der US-Rockgruppe Creedence Clearwater Revival. „Ich wünsche euch, dass wir uns richtig austoben. Wenn ihr ordentlich mitmacht, bleibe ich bis zwölf Uhr“, ruft Otto von seinem Pult, das auf einer Bühne steht, auf die Tanzfläche vor ihm.
Rocks statt Schlager: Senioren-Disco in Leer
„Wir sind seit dem ersten Mal dabei“, sagt Marlis Heyl und zeigt auf ihre Freundin Petra. Noch hätten sie keinen Termin der Senioren-Disco verpasst. Sie kämen vor allem wegen der Rockmusik und DJ Otto, den sie besonders mögen, berichtet die 78-Jährige. Zu seiner Musik lasse es sich am besten Tanzen, am liebsten zu Songs von Shakin Stevens. „Da wird durchgeschwitzt und dann geht es ab nach Hause unter die Dusche“, erzählt Marlis. Wie die beiden Freundinnen kommen manche Senioren in Gruppen, andere mit Partnern, manche auch allein. Viele bleiben die ganzen zweieinhalb Stunden, andere kürzer.
Die Disco sei auch ein Ort, um neue Menschen kennen zu lernen, berichtet eine andere Besucherin, die ebenfalls Marlis heißt. Die 65-Jährige ist vor kurzem aus dem Rheinland nach Ostfriesland gezogen und das zweite Mal bei der Disco. „Das ist eine Dreiviertelstunde sich mal wieder jung zu fühlen“, sagt sie. Wer eine Pause vom Tanzen braucht, findet in einem angrenzenden Café einen Ort zum Durchpusten. Wasser und Saft sind im Eintrittspreis von 4,50 Euro inklusive.
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Wolfgang Warning sitzt ein paar Meter abseits an einem Tisch, beobachtet das Geschehen auf der Tanzfläche und wippt im Sitzen mit. Der über 80-Jährige ist an diesem Freitag zum ersten Mal bei der Disco. Er würde gern mittanzen, sagt er, doch wegen einer Diabetes-Erkrankung fällt ihm das Auftreten schwer. „Das ist alles Musik aus meiner Jugend“, sagt Warning freudig. Als junger Mann habe er viel getanzt. Für Seniorinnen und Senioren gebe es aber gar nicht mehr so viele Angebote, schon gar nicht nach der Corona-Pandemie.
Die Idee zu der Disco kam Steffi Pruin und Waltraud Koller nach einem Fernsehbericht über eine Senioren-Disco in Hamburg. Eine tolle Idee, fanden beide. Aber wie sollten sie so etwas in Ostfriesland auf die Beine stellen? Die Seniorinnen organisierten Sponsoren, die anfangs Kaffee und Getränke spendeten. Den Kuchen brachten besonders engagierte Senioren gleich selbst mit. Das Jugendzentrum der Stadt stellte die Location samt Diskokugel. „Das Verrückteste war, dass es sofort lief“, erinnert sich Pruin. Drei Mal war die Disco mit bis zu 100 Besuchern so 2020 ausgebucht – bis Corona kam.
Senioren-Disco: „Leute lassen Rollator stehen und legen los!“
Während der Pandemie musste die Disco wie jede andere auch pausieren. Tanzen mit Abstandhalten und Masketragen, das sei nicht in Frage gekommen, selbst als die Corona-Verordnungen Tanzveranstaltungen wieder zuließ, waren sich die beiden Organisatorinnen einig. Denn ein richtiges Disco-Gefühl komme so nicht auf. Zum Neustart in diesem Frühjahr kamen noch nicht ganz so viele Besucher wie zuvor.
Aber dass es wieder losgehe, spreche sich sicher bald rum, sagt Pruin. Viele würden sich einfach danach sehnen, zwei Stunden aus dem gewohnten Trott raus und unter Menschen zu kommen. „Die Leute lassen ihren Rollator stehen und legen los, das ist einfach toll“, sagt die 70-Jährige. Eine Besucherin sei sogar auch schon einmal von einem Ergotherapeuten zum Tanzen in die Disco geschickt worden.
Ergotherapeut schickt Senioren in die Disco
„Die Senioren-Disco ist die erste, die ich kenne. Ich finde das toll“, sagt die Vorsitzende des Niedersächsischen Landesseniorenrates, Ilka Dirnberger auf Anfrage. Die Seniorengeneration der heutigen Zeit sei anders als die vor 20 oder 30 Jahren. „Die heutigen Senioren sind sehr interessiert.“ Es gebe viele Seniorengruppen in Niedersachsen, die eigene kulturelle Veranstaltungen organisierten – Theaterfahrten oder Filmabende. In der Corona-Pandemie habe es eine Zurückhaltung gegeben. „Aber jetzt geht das wieder los“, sagt Dirnberger.
Steffi Pruin und Waltraud Koller wollen mit der Seniorendisco nun auch wieder richtig durchstarten. Sie hoffen, dass die Disco im Sommer wieder so voll wird, wie vor der Pandemie. Es gehe schließlich darum Spaß zu haben, sagt Steffi – und zur richtigen Disco-Stimmung gehörte neben der passenden Musik eben eine volle Tanzfläche.