„Es wurden schon 63 Platten geräumt“: Hamburgs Anti-Obdachlosen-Offensive
Ständig verlieren Obdachlose ihre Schlafplätze, weil Bezirksämter ihre Platten räumen – mindestens 63 waren es allein in diesem Jahr. Hinzu kommt, dass Menschen, die plötzlich mehr Geld für ihr eigenes Leben brauchen, weniger übrig haben für Spenden und Straßenzeitung. Was bedeuten Vertreibungen und Preisexplosion für Obdachlose? Die MOPO sprach mit Jörn Sturm, Geschäftsführer von „Hinz&Kunzt“, über die aktuelle Krisensituation.
MOPO: Viele Hamburger müssen aktuell jeden Cent umdrehen. Was bleibt gerade eigentlich noch für Hilfsbedürftige übrig?
Jörn Sturm: Unsere Verkäufer melden, dass es deutlich schwieriger geworden ist, die Zeitung zu verkaufen oder auch mal einen Euro zugesteckt zu bekommen. Die Hilfsbereitschaft hat deutlich nachgelassen.
Es fällt auf, dass einige Schlafplätze von Obdachlosen, die sogenannten Platten, verschwunden sind. Beispielsweise an der Hafenstraße auf St. Pauli. Was ist da los?
In diesem Jahr sind bereits insgesamt 63 Platten von Polizei und Bezirksämtern geräumt worden. Zumindest die, die gezählt wurden. Wahrscheinlich waren es sogar mehr. Warum? Das weiß nur die Politik. Die Platten sollen sich nicht verstetigen, deswegen werden sie immer wieder geräumt. Das hilft aber natürlich nicht. Die Leute verlieren lediglich ihre Habseligkeiten und fangen wieder von vorne an. Durch eine Räumung der Platte findet natürlich auch keiner eine Wohnung, sondern wird nur vertrieben. Die Menschen suchen sich dann einen neuen Platz.
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Finden Sie es angemessen, die Platten zu räumen?
Generell ergibt es für uns keinen Sinn, Platten zu räumen. Es muss ein Angebot geschaffen werden, wo die Betroffenen leben können. Es müssen Wohnungen geschaffen werden, anstatt Wohnungslose von ihren Platten wegzuräumen. Dabei ist die Krise, die wir gerade haben, keine Sondersituation. Es hilft einfach nichts, die Platten zu räumen. Dadurch findet niemand eine Wohnung, dadurch wird nichts verändert.
Welche Maßnahmen wären stattdessen angebracht?
Die Stadt hat ein Winternotprogramm aufgesetzt, das gut genutzt wurde. Warum wird dieses Angebot also nicht ganzjährig gemacht? Dann hätten die Menschen zumindest eine Zuflucht.
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Wie könnte jeder einzelne Hamburger helfen, auch wenn er oder sie gerade selbst knapp bei Kasse ist?
Ich denke da konkret an die nächsten Tage. Es soll sehr heiß werden. Wir sollten Menschen auf der Straße im Auge behalten. Wasser ist nicht fürchterlich teuer. Es hilft Obdachlosen, wenn man ihnen Wasser anbietet. Das könnte in Anbetracht der Hitze in den kommenden Tagen kurzfristig sehr hilfreich sein. Langfristig ist es wichtig, Obdachlose als Menschen wahrzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Fragen, ob man helfen kann und was man tun kann. Um das Problem von Obdachlosigkeit zu lösen, muss die Politik eingreifen. Wir brauchen mehr Wohnungen, die explizit für wohnungslose Menschen zur Verfügung gestellt werden.