Gewinne bei Hamburgs Energienetzen: Bleiben die Preise jetzt stabil, Herr Kerstan?
Der ehemalige Flakbunker im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg liefert jetzt Energie für die Anwohner.
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Hamburgs Energierevolution ist in vollem Gang. Und sie zahlt sich bereits aus! Nachdem die Stadt die Energienetze zurückgekauft hat, verdient sie damit inzwischen richtig viel Geld. Das Gasnetz hat im vergangenen Jahr einen Gewinn von 20 Millionen Euro abgeworfen, Strom sogar 91 Millionen Euro. Die MOPO sprach mit Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) über die florierende Branche und seine Pläne für das Hamburger Energienetz.
MOPO: Herr Kerstan, entpuppt sich der Energienetz-Rückkauf als bester Deal der Stadt?
Jens Kerstan: Das kann man so sagen. In diesem Jahr haben die öffentlichen Energieunternehmen mehr als 110 Millionen Euro Gewinn an die Stadt ausgeschüttet. Gerade jetzt, wo die Stadt durch Corona weniger Steuereinnahmen hat, und auch öffentliche Unternehmen finanzielle Einbrüche verzeichnen, sind diese Erträge höchst willkommen.
Da darf Hamburg jetzt seinen Bürgern auf die Schultern klopfen. Immerhin haben diese den Netzrückkauf mit einem Volksentscheid auf den Weg gebracht.
Das war damals ein Bündnis aus Umweltverbänden, uns Grünen in der Opposition und vor allem einer starken Zivilgesellschaft. Wir können uns bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Tat bedanken, dass sie damals – wenn auch knapp – die richtige Entscheidung getroffen haben.
Ex-Bürgermeister Olaf Scholz war sich bei dem Deal 2014 nicht so sicher, ob sich die gigantischen Investitionen in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro wirklich rechnen werden. Wie beurteilen Sie das jetzt?
Beim Stromnetz sind wir schon so weit. Rund 615 Millionen Euro hat uns das Stromnetz mitsamt Service gekostet. Wenn wir jetzt noch sechs Jahre solche Gewinne wie 2019 machen, wäre es rechnerisch fast abbezahlt. Abgesehen davon ist es jetzt schon profitabel, weil es deutlich mehr Gewinn erwirtschaftet, als die 16 Millionen Euro Zinsen, die wir jährlich für den Kaufkredit an die Bank überweisen müssen.
Damit hatten selbst die größten Optimisten nicht gerechnet. Schließlich gab es beim Stromnetz unter Vattenfall einen gigantischen Sanierungsstau.
Deswegen ist es umso beeindruckender, wie sich das Stromnetz in öffentlicher Hand entwickelt. 2013 hatte Vattenfall noch 75,4 Millionen Euro in das Netz investiert, in städtischer Hand waren es 2019 rund 225 Millionen Euro. Die Investitionen haben sich also verdreifacht! Und trotzdem gab’s noch Gewinne. Die Entwicklung hilft uns nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bei der Energiewende.
Weil das Stromnetz auch für die öffentliche Ladeinfrastruktur von Elektroautos zuständig ist?
Genau. Und auch das Gasnetz, das wir 2018 für 355 Millionen Euro gekauft haben, spielt eine wichtige Rolle. Es wirft ebenfalls Gewinne ab. Dort gibt es unter anderem ein Förderprogramm, um Ölheizungsbesitzern den Wechsel auf Gasheizungen zu erleichtern.
Noch wichtiger als die Energiewende dürfte den Kunden Preisstabilität sein. Können Sie das garantieren?
Es hilft, dass die Energieunternehmen jetzt in öffentlicher Hand sind. Weil die Stadt keine maximalen Gewinne machen muss, bleiben die Preise moderat.
Aber wird es auch nicht teurer?
Das haben wir nicht versprochen. Als wir das Fernwärmenetz für insgesamt 950 Millionen Euro zurückgekauft und unser Konzept mit erneuerbaren Energien präsentiert haben: die Preise werden nicht stärker ansteigen als beim Heizen mit fossilen Brennstoffen.
Beim Fernwärmenetz planen Sie einen gigantischen Umbau. Das Kraftwerk Wedel soll bis 2025 abgeschaltet und auf Kohle verzichtet werden. Wie viel Klimaschutz steckt in dem Konzept?
Eine ganze Menge. Wir setzen unter anderem auf Wärme aus Industrie- und Abfallanlagen und auf gigantische Wärmespeicher unter der Erde, die nach dem Thermoskannenprinzip funktionieren.
Sie wollen aber auch ein Gaskraftwerk bauen. So regenerativ ist das jetzt nicht.
Anfangs wird es nicht komplett mit erneuerbaren Energien gehen. Das Gaskraftwerk benötigen wir für die Leistungsspitzen, zum Beispiel an sehr kalten Tagen. Es wird ein hochmodernes, kleines Kraftwerk werden, eine Schaltzentrale, die in Zukunft auch mit Biomethan oder grünem Wasserstoff betrieben werden kann. Die Technik von morgen wird bereits mitgedacht, der Standort auf der Dradenau steht bereits fest.
Und was geschieht mit dem aktuellen Wedel-Standort?
Wir haben dort einen genehmigten Kraftwerks- und Industriestandort. Davon gibt es in Hamburg nicht so viele, deswegen bietet sich das Areal weiter als Energiestandort an. Denkbar ist, dass dort eine Anlage entsteht, die überschüssigen Windstrom aus Schleswig-Holstein aufnimmt. Weil das Netz bei starkem Wind nicht aufnahmebereit ist, müssen Windräder stillstehen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Die gewonnene Energie würden wir in Wärme umwandeln und ins Fernwärmenetz einspeisen.
Klingt sinnvoll, immerhin sollen mehr Hamburger mit Fernwärme versorgt werden.
Aktuell heizen wir rechnerisch knapp eine halbe Million 70-Quadratmeter-Haushalte mit Fernwärme. Das ist ein Anteil von 22 Prozent am Wärmemarkt. Gemeinsam mit der Nahwärme liegt der Anteil der Wärmeversorgung in Hamburg bei 25 Prozent. Ziel ist es, bis 2030 den Anteil auf 35 Prozent zu erhöhen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, dies zu erreichen wäre ein riesiger Schritt beim Klimaschutz.
Helfen könnte dabei auchdie neue Geothermie-Anlage, die am Wilhelmsburger Energiebunker entstehen soll. Mit 130 Grad heißem Wasser in 3500 Metern Tiefe soll künftig geheizt und Strom gewonnen werden. Wie ist da der Stand?
Wir haben jetzt den Zuschlag für eine 22-Millionen-Förderung vom Bund bekommen und werden diese Bohrung auf den Weg bringen. Wenn diese Bohrung so klappt, könnte sie beispielgebend sein für weitere Projekte in Norddeutschland. Damit bauen wir in Wilhelmsburg für tausende Haushalte den Wärmemarkt 4.0. Dies ist nicht nur ein Wärmewende-Baustein für die Elbinsel, sondern das Herz des Ganzen, da wir damit 40 bis 50 Jahre lang regenerative und unschlagbar günstige Energie gewinnen können.
Wo wir wieder bei Preisen sind: Kaufen Sie jetzt eigentlich auch das Kraftwerk Moorburg?
Da ist weniger der Besitz wichtig. Entscheidend ist die Tatsache, dass man schnell aus der Kohle aussteigt. Aus Gesprächen mit dem aktuellen Betreiber können sich auch andere Möglichkeiten ergeben.
Es wäre aber sicher einfacher, wenn Sie frei über das Kraftwerk verfügen könnten und es Vattenfall abkaufen würden …
Es ist immer leichter, wenn man die Verfügungsgewalt hat. Wir müssen aber sparsam mit öffentlichen Geldern umgehen. Vorrangiges Ziel ist nicht, das Kraftwerk zu kaufen – sondern der Klimaschutz.
Und wie wollen Sie dann die Pläne umsetzen, dass dort eine gigantische Wasserstoff-Fabrik entstehen soll?
Vattenfall macht große Verluste mit seinem Kraftwerk und findet keinen Käufer. Das Unternehmen hat großes Interesse daran, an dem Standort wieder etwas zu machen, das sich wirtschaftlich rechnet. Wir sind in guten Gesprächen. Was am Ende technologisch möglich ist, das weiß im Moment aber noch niemand. Die Bundesregierung will Moorburg bis Ende der 30er Jahre laufen lassen. Jedes Jahr, in dem wir den Ausstieg vorher schaffen, wäre ein großer Gewinn.