Wahl in Hamburg: Der Tag, an dem Ronald Schill fast 20 Prozent holte
Kaum ein Mensch hat Hamburg je so lächerlich gemacht wie er. Heute mag so gut wie niemand zugeben, dass er ihm einst seine Stimme gab. Aber jeder fünfte Hamburger Wähler hat es getan. Die Rede ist von Ronald Barnabas Schill, dem Gründer der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO).
Es ist Sonntag, 23. September 2001. Wahltag. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm flimmern, hält die Stadt die Luft an. Dass die PRO, besser bekannt als „Schill-Partei“, gut abschneiden wird, damit rechnen alle. Aber so gut?! Noch nie zuvor hat es das gegeben: Eine Newcomer-Partei holt aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen.
Ronald Schill holte bei der Wahl in Hamburg fast 20 Prozent
Auf dem Elbraddampfer „Louisiana Star“ feiern Schills Anhänger eine bizarre Wahlparty. Eine Band spielt Dixieland, während die 600 von Rotwein und Holsten berauschten Gäste wie gebannt auf die Großbildleinwand starren. Wann immer ihr Shootingstar darauf erscheint, brechen sie in Gegröle aus: „Ronald, Ronald!“ Übrigens: Als einziges Medium ist die MOPO ausgeladen – wegen zu kritischer Berichterstattung …
Spannend macht den Wahlabend vor allem die FDP. Mal ist sie unter der Fünf-Prozent-Marke, mal knapp drüber. Zwischenzeitlich darf sich der damalige Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) als Sieger fühlen – bis um 22 Uhr klar wird: Die FDP hat es geschafft. Und so wird Ole von Beust (CDU), dessen eigene Partei lediglich 26,2 Prozent geholt hat, dank Schill und den Liberalen zum Bürgermeister.
1997 wurde Richter Ronald Schill nach harten Urteilen bekannt
Vier Jahre zuvor hatte er begonnen: der unheimliche Aufstieg des Amtsrichters Schill zum Volkshelden. 1997 brummt er einer psychisch kranken Frau, die nachts parkende Autos zerkratzt hat, 30 Monate Haft auf. Daraufhin tituliert die MOPO ihn als „Richter Gnadenlos“, was ihm über Nacht große Popularität verschafft. Viele finden es toll, dass da endlich mal einer hart durchgreift.
Zu dieser Zeit ist in Hamburg das Gefühl weit verbereitet, dass sich die Stadt im Würgegriff des Verbrechens befindet. Spektakuläre Kriminalfälle beherrschen die Schlagzeilen: Da ist „Crash-Kid“ Dennis, das am laufenden Band geklaute Autos schrottet, aber statt ins Gefängnis auf Erlebnispädagogik-Reisen ins Ausland geschickt wird. Da ist der Mord an dem Tonndorfer Lebensmittelhändler Willi Dabelstein – verübt von zwei jugendlichen Intensivtätern, mit denen die Justiz immer viel zu milde verfahren ist.
Schill gibt dem verbreiteten Unbehagen über die Sicherheitslage eine Stimme und ein Gesicht. Er gründet die Partei Rechtsstaatlicher Offensive und macht vollmundige Versprechen: Etwa, dass er innerhalb von 100 Tagen nach Regierungsantritt das Verbrechen in der Stadt halbieren werde. Als sich dann auch noch zwei Wochen vor der Wahl die Attentate des 11. September ereignen und herauskommt, dass sich einige der Täter in Hamburg auf die Anschläge vorbereitet haben, ist klar: Niemand kann Schill mehr stoppen.
Ronald Schill blamiert Hamburg im Bundestag
Doch kaum im Amt, leistet er sich einen Skandal nach dem nächsten. Er zieht das Nachtleben der Arbeit vor. Er besucht regelmäßig Nobel-Clubs und ist in seiner Behörde bald bekannt dafür, immer der Letzte zu sein, der kommt, und der Erste, der geht. Im Bundestag hält er eine blamable Rede zur Oder-Flut. Und schließlich wird ausgerechnet ihm, dem Law-and-Order-Mann, vorgeworfen, ein Kokser zu sein.
Nach nur zwei Jahren im Amt ist Schluss: Als Schill 2003 den Bürgermeister mit dessen Liebesbeziehung zu Justizsenator Roger Kusch zu erpressen versucht, muss er seinen Hut nehmen. Zwar versucht er noch einmal ein Comeback. Aber nach der Wahlniederlage 2004 zieht er sich endgültig aus der Politik zurück.
Ronald Schill lebt in Rio und war nackt im Trash-TV
Er lebt seither in Rio und macht nur noch selten von sich reden – und wenn, dann mit Peinlichkeiten. So ist er 2014 Gast im Big-Brother-Container. In der RTL-Sendung „Adam sucht Eva – Promis im Paradies“ zieht er 2016 vor einem Millionenpublikum blank. Zwischendurch veröffentlicht er noch seine Autobiografie „Der Provokateur“, in der er genau das tut: provozieren.
Ein Zitat daraus ist ziemlich aussagekräftig. Da schreibt Schill, dass es ein und dieselbe Eigenschaft gewesen sei, die ihm erst Macht eingebracht habe und ihm dann zum Verhängnis geworden sei: „die Maßlosigkeit“. „Es war meine Gier nach dem weiblichen Geschlecht, die meinen zahlreichen Feinden in Medien und Politik zu viel Angriffsfläche bot. Mein Schwanz brach mir das Genick.“