Hamburger Fotograf erinnert sich: „Jimi Hendrix war auf dem Kiez mein Untermieter“
Ein bisschen Woodstock-Feeling beim „Love and Peace“-Festival auf Fehmarn: Junge Mädchen ziehen sich auf der Bühne aus und tanzen
Foto: Günter Zint/panfoto
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Atemberaubend, was dieser Mann mit der Gitarre anstellte. Mal streichelte er mit seinen virtuosen Fingern die Saiten, dann wieder traktierte er sie mit Zähnen und Zunge. Dabei kamen ekstatische Heul-, Dröhn- und Schnurrlaute heraus. Sowas hatte die Welt bis dahin nie gehört. 50 Jahre nach Jimi Hendrix‘ Tod – er starb am 18. September 1970 in London – erinnert sich Günter Zint, der Gründer des Sankt Pauli Museums, an den Rockstar.
Jimi Hendrix riss die Verstärker auf bis zum Anschlag, sodass Leute, die zum ersten Mal bei einem seiner Live-Konzerte waren, fast einen Schock bekamen. Seine Musik war unfassbar laut, aber gleichzeitig warm und einladend, in jedem Fall verzaubernd. Jimi Hendrix – ein Genie, ein Gitarrengott. Sein Sound war pure Magie.
„Jimi Hendrix war mein Untermieter für ein Wochenende“
„Das erste Mal begegnete ich ihm im März 1967, als er im Star-Club auftrat, dessen Hausfotograf ich zu der Zeit war“, erzählt Günter Zint. „Ich weiß noch, dass er im Autohotel an der Lincolnstraße abgestiegen war und dass es ihm da gar nicht gefiel, weil er auf seinem Zimmer die Musik nicht so laut hören durfte, wie er wollte. Als er in mein Fotostudio kam und die Stereoanlage und die Couch sah, meinte er sofort: ,I’m not going back to this shitty hotel. I stay here.‘“ Zint grinst: „Und so hatte ich einen Untermieter für das Wochenende.“
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Beim selben Hamburg-Besuch wird Hendrix‘ neue Schallplatte vorgestellt, „Hey Joe“. Zint erzählt grinsend von der Pressekonferenz im Musikclub „Danny’s Pan“. Ein Journalist stellt damals die Frage: „Was machen Sie mit Ihrem vielen Geld, Herr Hendrix?“ Laut Zint habe der Rockstar daraufhin irritiert seinen Manager Chas Chandler angeschaut und gefragt: „Do we make money?“
Jimi Hendrix, der sowohl Afroamerikaner als auch amerikanische Ureinwohner unter seinen Vorfahren hat, verkörpert mit seiner wilden, rebellischen Art das Aufbegehren einer ganzen Generation. Mit einer Mischung aus Rock, Blues, Soul, Jazz und ganz viel Lärm erfindet er einen völlig neuen Sound, der stilbildend ist und an dem sich bis heute viele Rockmusiker ein Beispiel nehmen. Legendär ist Hendrix’ Auftritt beim Woodstock-Festival 1969: Mit seiner Gitarre seziert er die US-Nationalhymne dabei regelrecht. Mittels Effektpedalen, Rückkopplungen und Vibratohebel imitiert er dabei Bombeneinschläge, das Rattern von Maschinengewehren und durch die Luft fliegende Raketen. Das ist Hendrix’ Art, gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Damit wird er zum Idol einer Jugend, die von einem ganz anderen Amerika träumt.
Hendrix sezierte die US-Nationalhymne mit seiner Gitarre
1970 ist ein Jahr, das in der Musikgeschichte von großer Bedeutung ist: Im April trennen sich die Beatles, Queen starten mit Freddie Mercury ihre Karriere, Mungo Jerry landen mit „In The Summertime“ einen der größten Sommerhits aller Zeiten, und in Norddeutschland schicken sich drei Männer an, das größte Musikfestival auf die Beine zu stellen, das es in der Bundesrepublik je gegeben hat: ein zweites Woodstock auf Fehmarn.
Die drei Kieler Szenekneipen-Gastwirte Helmut Ferdinand (30), Christian Berthold (28) und Tim Sievers (32) schließen sich zur „Fehmarn Festival Gesellschaft“ zusammen, mieten ein Büro an der Langen Reihe in St. Georg und engagieren alles, was in der Musik-Szene Rang und Namen hat: neben Jimi Hendrix auch noch Ten Years After, Canned Heat, Taste, Colosseum, Cactus, Ginger Bakers Air Force, Sly & The Family Stone, Procol Harum, Mungo Jerry und The Faces.
Weil allein Hendrix 75.000 D-Mark für einen einzigen Auftritt verlangt und die anderen auch nicht viel billiger sind, brauchen die drei Organisatoren dringend Geld. Unterstützung bekommen sie von Beate Uhse. Die Chefin einer Sex-Shop-Kette stellt leihweise 200.000 D-Mark zur Verfügung. Weshalb sie das tut? Sicherlich auch, um Werbung für ihr Unternehmen zu machen, dessen Filialen als Vorverkaufsstellen für das Festival dienen. Der entscheidende Beweggrund ist aber ein anderer, wie Günter Zint weiß: „Ihr Sohn wünschte sich nichts sehnlicher, als einmal Jimi Hendrix live zu sehen, und diesen Wunsch wollte sie ihm unbedingt erfüllen.“
Sex-Shop-Chefin Beate Uhse finanzierte das Fehmarn-Festival
Vom 4. bis 6. September 1970 findet es dann auf einer 30 Hektar großen Wiese in der Nähe des Flügger Leuchtturms im Westen Fehmarns statt: das „Love & Peace Festival“. Ganze Heerscharen von Musikfans überqueren die noch recht junge Fehmarnsundbrücke und fallen über die Insel her.
Jimi Hendrix und seine Band, die zuvor in Berlin aufgetreten sind, reisen bequem mit dem Zug an. Am Hamburger Hauptbahnhof, wo er und seine Musiker umsteigen müssen und auf den Anschlusszug warten, laufen sie einem Fotografen über dem Weg. Die Bilder zeigen den Rockstar mit Köfferchen, der es genießt, ein paar Minuten in der Sonne zu sitzen – vielleicht die letzten privaten Aufnahmen vor seinem Tod.
Das Festival auf Fehmarn – es geht in die Geschichte ein. Allerdings im negativen Sinne, denn es versinkt im Regen und im Chaos. Aus dem Plan der 20.000 Blumenkinder, Musik zu hören und anschließend im Zelt Liebe zu machen, wird nichts. Dazu ist es viel zu kalt. Es regnet Bindfäden, die Wiese löst sich auf in Matsch. Das Ganze ist nur auszuhalten, weil der Nachschub an Hasch nicht abreißt.
Einige der Bands reisen gar nicht erst an. Und die, die auftreten, sind nicht zu hören. Der Sturm ist so laut, dass die Musik kaum bis zum Publikum durchdringt, zumal die Anlage – Lautsprecher befestigt an Holzpfählen – nicht geeignet ist, einen großen Platz zu beschallen. Auf der Bühne ist es so nass, dass einige Musiker Stromschläge erleiden. Immer wieder gibt es lange Pausen zwischen den Auftritten. Als junge Mädchen das nutzen, um auf die Bühne zu klettern, sich auszuziehen und nackt zu tanzen, kommt tatsächlich noch ein bisschen Woodstock-Feeling auf.
Eigentlich soll Jimi Hendrix schon sonnabends auftreten. Er zieht es dann aber doch vor, im trockenen und warmen Hotel in Puttgarden zu bleiben. Lange Zeit ist nicht klar, ob er überhaupt noch kommt. Die Stunden vergehen. Plötzlich heißt es, Hendrix wünsche sich, dass alle ihre Zelte abbauen, weil sie ihn zu sehr an seine Zeit in Harlem erinnerten, als er selbst in Zelten schlafen musste … Die Leute kommen dieser Aufforderung brav nach.
Als Hendrix auf die Bühne kam, riss der Himmel auf
Dann ist es schließlich so weit: Genau in dem Moment, in dem Hendrix auf die Bühne tritt, reißt der Himmel auf und die Sonne kommt raus. „Das war magisch“, so erinnert sich einer, der dabei war. Aber nicht alle jubeln, es gibt auch Pfiffe und Buh-Rufe, denn viele sind verärgert, dass sie so lange warten mussten. „Ich scheiß‘ drauf, ob ihr buht oder nicht“, soll Hendrix‘ Antwort gewesen sein, „solange ihr es in der richtigen Tonart tut.“ Dann beginnt er zu spielen.
Es gäbe noch viel zu erzählen über dieses Festival: etwa über den Kleinkrieg, den sich die vom Veranstalter organisierten Ordner mit 200 Hamburger Rockern liefern, die auf Fehmarn auf ihre Art für Ordnung sorgen wollen. Oder darüber, dass am Abend des letzten Festivaltages ein Bürocontainer in Flammen aufgeht, und zwar aus Wut einiger Ordner darüber, dass sich die Veranstalter aus dem Staub gemacht haben, ohne sie zu bezahlen. Aber von all dem bekommt Jimi Hendrix gar nichts mit.
Der Auftritt auf Fehmarn, an den dort heute übrigens noch ein Gedenkstein erinnert, ist nicht Jimi Hendrix’ letzter Gig, obwohl das immer wieder behauptet wird. Er tritt danach noch einmal auf, nämlich in der Nacht vom 16. auf den 17. September 1970, und zwar gemeinsam mit Eric Burdon & War im Londoner Ronnie Scott’s Jazz Club.
Zusamen mit Janis Joplin ist er Mitglied im „Club 27“
Am Tag darauf wird Jimi Hendrix tot in seinem Londoner Hotelzimmer gefunden. Er hat große Mengen Rotwein getrunken, dazu Schlaftabletten eingenommen und ist an seinem Erbrochenen erstickt.
Nur 27 Jahre alt ist Hendrix geworden – was er mit vielen anderen Rockmusikern gemeinsam hat: Brian Jones (1969), Janis Joplin (1970), Jim Morrison (1971), Kurt Cobain (1994) und Amy Winehouse (2011) sind im selben Alter gestorben. Sie alle sind Mitglieder im sogenannten „Club 27“. Mögen sie in Frieden ruhen.
Jimi Hendrix: Das war sein Leben
Geboren wird James Marshall „Jimi“ Hendrix am 27. November 1942 in Seattle in einfachen Verhältnissen. Die Eltern sind arbeitslos, trinken viel Alkohol und streiten oft. Jimi, ein schüchterner, sensibler Junge, versteckt sich oft im Schrank, um der häuslichen Gewalt zu entgehen. Nach der Scheidung der Eltern 1951 wächst der Junge beim Vater auf. Hendrix‘ Mutter stirbt 1958 an einer Leberzirrhose.
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1957 findet Hendrix im Müll eine Ukulele, bringt sich selbst das Spielen bei. Im Sommer 1957 erwirbt sein Vater für fünf Dollar eine gebrauchte akustische Gitarre, auf der Hendrix so lange spielt, bis er eine elektrische geschenkt bekommt. Nach seiner Entlassung vom Militär spielt er als Begleitmusiker für Little Richard, Ike & Tina Turner, The Supremes und andere Stars. 1966 ist er Frontmann der Band Jimi Hendrix Experience, mit der er den ersten großen Hit landet: „Hey Joe“. Im November 1966 spielt er im Münchner „Big Apple Club“, wo er panisch vor einem frenetischen Publikum flüchtet und dabei seine Gitarre auf die Bühne wirft, wo sie in einer Sound-Explosion niedergeht. Das Publikum hält das für einen Teil der Show. Von da an zertrümmert Hendrix regelmäßig seine Gitarren.
Hendrix ist – ganz im Gegensatz zu dem Bild, das er in der Öffentlichkeit bietet – ein zurückhaltender Mensch, aber auch ein schwieriger: Er leidet unter Depressionen und Panikattacken. Je erfolgreicher er ist, desto ausgeprägter seine Starallüren. Er demoliert immer wieder seine Hotelzimmer, wenn ihm etwas nicht passt. Hat er keine Lust zu spielen, dreht er dem Publikum den Rücken zu, um seine Langeweile zu demonstrieren, oder ist nur halbherzig bei der Sache.
Hendrix konsumiert in großem Stil Drogen, um mit dem Tourenstress fertig zu werden: Immer unkontrollierter greift er zu Alkohol, Haschisch, LSD und Schlaftabletten. In den letzten Monaten vor seinem Tod leidet die Qualität seines Spiels erheblich darunter. Der Gitarrist Noel Redding, Mitglied in Jimi Hendrix‘ Band, erinnert sich: „Ich gebe zu, dass Drogen unsere Musik beeinflußten. Ob wahr oder nicht wahr: Wir dachten, dass wir ordentlich zugedröhnt sein mussten, um ordentlich zu spielen. Bis wir schließlich nichts mehr zu geben hatten.“