Querdenker, Reichsbürger & Co.: Keine Panik! Warum unsere Demokratie das aushält
Foto:
Geht unsere Demokratie vor die Hunde? Anfang der Woche konnte man kurz diesen Eindruck gewinnen – so groß war die Empörung über die versuchte „Reichstags-Stürmung“ durch Neonazis und irre Reichsbürger. So groß war der Schreck über die vielen Bürger aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft, die mit kruden Thesen an der Seite von Rechtsextremen durch Berlin marschierten. So irritierend, wie Tausende ausgerechnet den Superpopulisten Trump und Halbdiktator Putin um Hilfe baten. Gibt Corona unserer durch Dauerkrisen zerrupften Gesellschaft jetzt den Rest? Geht es hier bald zu wie in den USA, wo radikale Gruppen, Impfgegner, Staatsverächter und Verschwörungstheoretiker die Regierung stützen?
Die Antwort: Keine Panik, alles halb so wild. Halb so wild? Ja, klar. Die Bilder aus Berlin waren unappetitlich. Aber als Beweis für ein Abdriften der Gesellschaft taugen sie zum Glück nicht. Im Gegenteil.
Kommentar: Unsere Demokratie ist stabiler als gedacht
Beispiel USA: Dort sortiert sich der (Corona-)Irrsinn an einer klaren Grenze – die Impfgegner, die Verschwörer, die Rechtsextremen, die radikalen Religiösen stehen auf Trumps Seite.
In Deutschland ist die Debatte lange nicht so radikal – dafür verläuft sie quer durch die Parteien. Deshalb ist auch der Schock so groß: Der nette Hippie-Nachbar mit dem Eso-Tick ist wegen Corona plötzlich Staatsfeind? Die impfskeptische Öko-Kollegin macht gemeinsame Sache mit AfD-Jüngern? Und der alte Schulfreund postet Verschwörungsartikel über Gates & Co.?
Antidemokratischer Widerstand ist nah ans Bürgertum gerutscht
Irritierend, wenn man in Westdeutschland lebt. Der antidemokratische Widerstand ist plötzlich nicht mehr nur das Ost-Prekariat – und damit überraschend nah ans meinungsbildende Bürgertum gerutscht.
Das bedeutet aber auch: Aus dieser Truppe, die da in Berlin singt, grölt und meditiert, das „Reich“ als Friedensgaranten herbeifantasiert (obwohl die letzten deutschen Reiche mit Millionen Toten endeten), wahlweise Trump oder Putin als Heilsbringer preist, kann keine halbwegs homogene und damit relevante gesellschaftliche Gruppe entstehen, schon gar keine schlagkräftige Bewegung. Worauf sollen die sich einigen? Dass jeder Wahnsinn okay ist? Selbst die AfD weiß nicht, wie sie mit diesem Protest umgehen soll – von Mitlaufen bis Ablehnen ist alles dabei.
Den Protestlern werden bald die Feindbilder fehlen
Auch fehlen den Protestlern bald die Feindbilder: die Virologen? Sind sich ja selbst völlig uneinig in vielen Dingen. Drosten wird in ein paar Monaten, wenn die Pandemie abflaut und durch Impfungen wahrscheinlich eingedämmt ist, keine Rolle mehr spielen. Merkel tritt ab. Am ehesten taugt da noch die angebliche globale Elite, die den ehrlichen Deutschen knechtet.
Diese Platte hat schon Hitler aufgelegt, und sie funktioniert bis heute erstaunlich gut, wie man in allen Ländern sieht, die von Populisten regiert werden, ob nun Großbritannien oder Ungarn.
Trotz Corona: Die Gesellschaft bröckelt nicht, sie ist stabil
In Deutschland aber, da verfängt diese Platte nicht. Die Mitte, sie bröckelt nicht, vor allem nicht durch Corona. Die Mitte, die diese Gesellschaft trägt und stabil hält, wird stärker. Das besagt eine aktuelle Studie – und widerspricht damit allen Untergangs-Propheten.
Populistische Einstellungen sind in Deutschland demnach stark rückläufig. Diese Entwicklung begann schon vor Corona, 2018 war demnach der Höhepunkt, seitdem sind die Populisten auf dem Rückzug.
Das könnte Sie auch interessieren: Irrsinns-Demo der Corona-Leugner – Wenn Argumente nicht mehr zählen
„Das gestiegene Vertrauen in die Regierungsarbeit im Verlauf der Corona-Krise hat diese Trendumkehr stabilisiert und leicht verstärkt, aber nicht ausgelöst“, sagt Studienautor Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung. Anders gesagt: Angesichts von irrlichternden Politikern, globalen Krisen und Konflikten und schließlich noch einer zerstörerischen Pandemie merken die Leute, wie zerbrechlich alles ist – und wie wichtig ein funktionierender Staat.
Verlässliches Handeln, das auf Fragen und reale Bedürfnisse der Bürger eingehe, wirke besonders „antipopulistisch“, sagen die Studienautoren. Und bitte auf keinen Fall versuchen, die Menschen „von oben zu belehren“. Also ziemlich genau das, was Volksparteien früher so erfolgreich gemacht hat.