Frau im weißen Hochzeitskleid sitzt auf dem Boden eines komplett weiß gekachelten Raums
  • Bea (Lilli Fichtner) ist „Die Laborantin“
  • Foto: BoLahola

Hamburger Kammerspiele: Warum „Die Laborantin“ unter die Haut geht

Wohin steuert die Gesellschaft? Zur Saisoneröffnung an den Kammerspielen zeigt „Die Laborantin“ (von Ella Road) ein düsteres Bild. Demnach leben wir in naher Zukunft in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft aus „High-Ratern“ und „Low-Ratern“. Wer in welche Gruppe fällt, bestimmt ein Bluttest. Er gibt Auskunft über die Veranlagung zu Erbkrankheiten und damit über die geistige und körperliche Gesundheit eines Menschen.

Zwar ist das Testergebnis nur eine Zahl auf einer Skala zwischen 1 bis 10 – doch einzig ein hoher Wert gilt als Eintrittskarte in ein erfolgversprechendes Leben. Das weiß niemand besser als Bea. Die Laborantin, zuständig für Blutuntersuchungen, verliebt sich auf dem Krankenhausflur in Aaron (jungenhaft-ausgelassen: Flavio Kiener). Er und die berechnende, nach Perfektion strebende Bea (Lilli Fichtner; bekannt unter anderem aus „Babylon Berlin“ und „Gladbeck“) bilden im Debütstück der britischen Autorin ein Gegensatzpaar, deren Liebe tragisch scheitert.

„Babylon Berlin“-Star spielt in Hamburger Theater

Regisseur Sewan Latchinian inszenierte das Stück mit steigender Intensität im Kälte ausstrahlenden, weiß gekachelten Bühnenraum (von Birgit Voss). Nahtlos ineinanderfließende kurze Szenen und Videoeinspielungen zeigen: Der „Rating-Wahn“ durchdringt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und wächst sich aufs Private aus. Bei der Vergabe von Krediten, der Suche nach einem Traumpartner oder Traumjob – überall spielt der Wert die Hauptrolle. Was zu widersprüchlichem Verhalten, Misstrauen, Lügen und Betrug führt. Beas lukrativer Nebenjob als „Blutdealerin“ ist nicht die einzige Belastungsprobe für ihre Beziehung.

Aufrüttelndes Stück an den Kammerspielen

Langen Beifall gab’s am Premierenabend auch für Julia Berchtold, die als Beas Freundin Char gegen Genanalysen, Zwangssterilisation und die „Legalisierung postnataler Schwangerschaftsabbrüche“ protestiert und für die Rechte von „Low-Ratern“ kämpft sowie Alexander Klages. In der Rolle des Klinik-Hausmeisters plädiert er in einer auf (Selbst-)Optimierung getrimmten, rassistisch gestimmten Gesellschaft für Menschlichkeit. „Wir sind nicht perfekt. Niemand von uns. Das ist auch richtig so.“

Ein aufrüttelnder, nachdenklich stimmender Theaterabend zu einem hochaktuellen Thema unserer Zeit.

Kammerspiele: bis 22.10., div. Zeiten, 21-46 Euro, Tel. 413 34 40

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