Die Autorin steht vor einem Gebäude und schaut zur Seite
  • Am 17. Oktober wird verkündet, wer den Buchpreis gewonnen hat. Kristine Bilkau ist unter den sechs Nominierten.
  • Foto: Thorsten Kirves

Shortlist: Hamburger Autorin für Deutschen Buchpreis nominiert

Das vielstimmige Porträt einer Gastarbeiterfamilie und zwei Frauenschicksale. Ein Schelmenroman über einen Schriftsteller und eine philosophische Komödie über einen Maler. Eine nicht-binäre Person auf der Suche nach einer eigenen Sprache. Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis ist in diesem Jahr besonders bunt. Drei Frauen, zwei Männer und eine nicht-binäre Person stehen in der Endrunde für den Deutschen Buchpreis. Eine Einladung, den eigenen Blick auf die Welt neu zu justieren, findet die Jury.

Die Nominierten bildeten die thematische wie stilistische Vielfalt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ab, sagte Jurysprecherin Miriam Zeh am Dienstag in Frankfurt. Die sechs Titel hätten die Jury in ihrer ästhetischen Eigenheit überzeugt. „Gemeinsam ist ihnen: eine künstlerische Unbedingtheit.“ Hier die sechs Kandidatinnen und Kandidaten im Schnelldurchlauf:

Hamburgerin Kristine Bilkau für „Nebenan“ nominiert

„Nebenan“ von Kristine Bilkau (Luchterhand) dreht sich um das Schicksal zweier Frauen in der norddeutschen Provinz. Die eine führt eine liebevolle Partnerschaft, leidet aber unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Die andere, Mutter dreier Söhne, will sich aus dem Berufsleben zurückziehen. „Meisterhaft“ findet die Jury den „subtil erzählten“ Roman der Hamburger Autorin. Sie zeige, „welche Abgründe in einem scheinbar alltäglichen Leben lauern“. Die Stärke des Buchs liege „in den Details und den kleinen Kippmomenten“.

Fatma Aydemir erzählt in „Dschinns“ (Carl Hanser) von einer Gastarbeiterfamilie. Der Vater hat sich buchstäblich zu Tode geschuftet, die Verwandten reisen zur Beerdigung an. Die 1986 in Karlsruhe geborene Autorin lässt die Familienmitglieder abwechselnd zu Wort kommen. So unterschiedlich ihre Ansichten sind: Sie eint das Gefühl der Heimatlosigkeit. Aydemir lüftet die Geheimnisse der Familie „präzise und einfühlsam“, wie die Jury findet. Das Buch behandele einen Teil der jüngeren deutschen Geschichte, „der bisher kaum in der Literatur zu finden ist“.

Der Buchpreis wird am 17. Oktober verliehen

Auch in Daniela Dröschers „Lügen über meine Mutter“ (Kiepenheuer & Witsch) geht es um eine Frau. Das Buch der 1977 in Rheinland-Pfalz geborenen Autorin spielt im Hunsrück Mitte der 1980er Jahre. Aus der Kinderperspektive erzählt die Autorin von der vom Leben enttäuschten Tochter schlesischer Flüchtlinge. Die Fassade der kleinbürgerlichen Aufsteigerfamilie zerfällt endgültig, als die Mutter ihr Erbe verschleudert und den Ehemann aussperrt. Eine „literarische Mikrosoziologie“ nennt die Jury das Buch. Der Text werde immer wieder „von essayistischen Einschüben“ unterbrochen.

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Jan Faktor beschreibt in „Trottel“ (Kiepenheuer & Witsch) den Weg eines Außenseiters von Prag nach Berlin, vom Arbeitnehmer im realexistierenden Sozialismus zum Schriftsteller – biografische Parallelen nicht ausgeschlossen. Der Autor wurde 1951 in Prag geboren und übersiedelte 1978 in die DDR, wo er als Kindergärtner und Schlosser arbeitete. Im Kern des Romans steht der Verlust eines Sohnes. Der Roman „verbindet Zeitgeschichte und Lebensgeschichte auf sehr besondere Weise“, findet die Jury. „Faktor gelingt das große Kunststück, mit einer Geschichte über Trauer Witz zu erzeugen.“ Das Buch sei „ein provokanter, bisweilen verstörender Schelmenroman“.


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In Eckhart Nickels „Spitzweg“ (Piper) wird ein Kunstbanause zum glühenden Verehrer des titelgebenden Malers. Der 1966 in Frankfurt am Main geborene Autor erzählt von einer Schülerfreundschaft, einer Dreiecksbeziehung und einem Gemäldediebstahl. „Ein großes intelligentes Lesevergnügen“, findet die Jury, „eine meisterhafte Reflexion über die Beziehung von Kunst und Leben“. Das Buch spiele mit übertriebener Gelehrsamkeit, verschachtelten Sätzen und einem antiquierten Vokabular. Trotz aller philosophischen Tiefe sei der Roman temporeich und komödiantisch.

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Kim de l’Horizon, 1992 bei Bern geboren, identifiziert sich als nicht-binär. Auch die Hauptfigur des Romans „Blutbuch“ (Dumont) heißt Kim und fühlt sich weder ausschließlich männlich noch weiblich. Als die Großmutter ihre Dominanz an die Demenz verliert, beginnt Kim eine eigene Sprache zu bilden. „Da es in diesem Gemenge keinen geraden Weg gibt, kann die Form des Romans nicht linear sein“, konstatiert die Jury. Mal sei die Sprache experimentell und gewagt, mal derb und obszön, mal zart und intensiv: „Ein Roman, der berührt und bewegt.“

233 Titel eingerecht – sechs sind im Finale

Die Jury hatte insgesamt 233 Titel gesichtet. Die Mitglieder waren beeindruckt von „sprachlicher Brillanz und formaler Innovationskraft“ der Autorinnen und Autoren. „Mit ihren Büchern beziehen sie Position, zeigen sich streitbar und zugleich offen für den Dialog.„ Die Shortlist lade den Leser ein, „in einen Austausch zu treten und den eigenen Blick auf die Welt neu zu justieren“.

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 verliehen und gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche. Der Sieger oder die Siegerin erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. 2021 ging der Preis an Antje Rávik Strubel für ihren Roman „Blaue Frau“. Der Gewinner oder die Gewinnerin 2022 wird am 17. Oktober, zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, verkündet. (DPA/NR)

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