Es war nass und stank nach Altöl: Die spannende Geschichte von Kampnagel
Feiern trotz Krisenmodus? Wenn ein Haus einen solchen Spagat schafft, dann Kampnagel: Ihr 40-jähriges Bestehen begeht die Kulturfabrik mit einem zweiwöchigen Festival zur Spielzeit-Eröffnung. Und bleibt bei allem Jubiläumsjubel gewohnt kritisch – gefeiert wird die Kunst der Visionen für eine bessere Welt.
Erstmals kreativ umgenutzt werden die Fabrik-Hallen 1982, als das Deutsche Schauspielhaus während Renovierungsarbeiten im Haupthaus dringend ein Ausweichquartier braucht. Dadurch wird die freie Theaterszene Hamburgs auf den geeigneten Leerstand aufmerksam, vom 5. bis 10. Oktober 1982 nutzen ihn mehrere Gruppen für sogenannte Besetzungsproben; auf diese Weise melden sie den dringenden Bedarf an Probe- und Aufführungsräumen für freie Künstler:innen an.
1982 werden die Fabrikhallen besetzt
Nur ein Jahr zuvor hatte die Stadt den gesamten Fabrik-Komplex abreißen wollen, 1983 ist diese Idee vom Tisch: Auf Kampnagel treffen sich Aussteiger und Avantgardisten, die mit ihren unkonventionellen Vorstellungen nicht in den üblichen Theaterbetrieb passen wollen. Bis heute gilt das Gastspiel „Die Tragödie von Carmen“ des britischen Theaterrebellen Peter Brook 1983 auf Kampnagel als legendär und wegweisend. Und John Neumeier kreiert sein 1985 hier uraufgeführtes Ballett „Othello“ speziell für diese eigenwillige Spielstätte.
Die ist damals alles andere als komfortabel: Es stinkt nach Altöl, und in den ungeheizten Räumen muss man durch Pfützen oder über nistende Tauben steigen. Jede Halle atmete seinerzeit noch die Geschichte der Fabrik: 1865 als „Nagel & Kaemp“ gegründet, produzierte sie über viele Jahrzehnte mobile Kräne und exportierte sie erfolgreich in die Häfen dieser Welt. Während der Nazi-Zeit musste ab 1939 auf Rüstungsbetrieb umgestellt werden, in den 1940er Jahren schufteten hier auch sowjetische Zwangsarbeiter. Als sich Ende der 60er Jahre Container in der Schifffahrt durchsetzen, verlieren Hafenkräne ihre Bedeutung. Die Produktionsanlage ruht seit 1981.
Ein kontinuierlicher Spielbetrieb des zweiten Kampnagel-Lebens stellt sich ab 1985 ein. In jenem Sommer lädt Dieter Jaenicke zum ersten „Internationalen Sommer-Theater-Festival“ – ein bis heute existierendes Highlight der Stadt, während andere Kampnagel-Festivals (für Kinder, Frauen, Kabarett) kamen und gingen.
Kampnagel-Chefin: Deuflhard bleibt bis 2027
Kontinuität kam auch mit Amelie Deuflhard, sie leitet Kampnagel, eins der weltweit renommiertesten internationalen Produktionshäuser für zeitgenössische darstellende Künste, seit 2007. Ihre erste Spielzeit eröffnete sie mit einer dreitägigen „Besetzungsorgie“, die bewusst an die kraftvollen Anfänge erinnerte. Deuflhards aktueller Vertrag endet 2027, so fällt die ab der Spielzeit 2024/25 beginnende grundlegende Sanierung in ihre Intendanz. Für ein Gesamtbudget von 120 Millionen Euro soll Kampnagel nachhaltig für die Zukunft umgestaltet werden. Die Star-Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal werden es schaffen, „dass der Fabrik-Charme eher noch weiter herausgearbeitet und nicht versteckt wird“, so Deuflhard.
2027 übernimmt Mable Preach die Intendanz
Doch jetzt wird erst einmal gefeiert: „Wir erinnern uns gemeinsam an Vergangenes, spüren dem aktuellen Zeitgeist nach und wagen den Blick in die Zukunft“, kündigt die Intendantin an. Beispielsweise mit der Uraufführung von „Inauguration now“ von Mable Preach, einer Zukunftsvision, in der die Hamburger Regisseurin 2027 als erste Intendantin of Color die Kampnagel-Leitung übernimmt. Gewagtes Visionieren ist die beste Maßnahme gegen Krisen.
Das Kampnagel-Jubiläum wird bis 15. Oktober gefeiert, hier geht’s zum Programm