Menschen stehen auf der zerstörten Brücke nach Pine Island und betrachten die Schäden nach dem Hurrikan.
  • Menschen stehen auf der zerstörten Brücke nach Pine Island und betrachten die Schäden nach dem Hurrikan.
  • Foto: Gerald Herbert/AP/dpa

Mindestens 80 Tote: „Ian“ hinterlässt Chaos und Trümmer

Wenige Tage nachdem Hurrikan „Ian“ über den Südwesten Floridas hinweggefegt ist, herrscht auf den Straßen der US-Küstenstädte Naples, Cape Coral und Fort Myers vor allem eines: Chaos. Viele Menschen haben alles verloren – mindestens 80 auch ihr Leben.

Weil der Strom noch immer weg ist, funktionieren die Ampeln nicht. An den Kreuzungen, wo oft mehrspurige Schnellstraßen aufeinandertreffen, gilt: Der Stärkere fährt zuerst. Mit Schutt beladene Pick-ups drängeln sich durch den dichten Verkehr. Am Straßenrand türmen sich Trümmerteile, umgestürzte Bäume, Strommasten. Handy- und Internetempfang gibt es kaum.

Hurrikan „Ian“ richtet massive Zerstörungen an

In den Bezirken Collier County und Lee County war „Ian“ am Mittwoch als Hurrikan der Stufe vier auf Land getroffen. In der Küstenstadt Naples sorgten heftige Winde mit rund 240 Kilometern pro Stunde und starker Regen für die Überflutung ganzer Stadtteile. Auf seinem Weg gen Nordosten richtete der Hurrikan auch in den Küstenstädten Cape Coral und Fort Myers massive Zerstörungen an. Meteorologen zufolge bewegte sich das Zentrum des Sturms vergleichsweise langsam vorwärts und brachte auch deshalb besonders großen Schaden.

Das Luftbild zeigt eine verwüstete Gegend auf Estero Island. Gerald Herbert/mediccorps.org/AP/dp
Das Luftbild zeigt eine verwüstete Gegend auf Estero Island.
Das Luftbild zeigt eine verwüstete Gegend auf Estero Island.

Die Region ist wegen ihrer Palmen-Idylle, schicker Jacht-Häfen und Golfplätze beliebt, auch bei Deutschen. Anke Kondek ist vor 20 Jahren aus Deutschland nach Cape Coral gekommen, hat hier ein Zuhause für sich und ihre Familie gefunden. Nun hat Hurrikan „Ian“ es in großen Teilen zerstört. „Ich habe gedacht, ich habe mein Herz, meine Seele, ich habe alles verloren“, erzählt die 54-Jährige über den Moment, als sie nach dem Sturm in ihre Straße zurückkehrte. Viele, die sich vorübergehend in Sicherheit brachten, kommen nun zurück.

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Kondeks Haus steht zwar noch, doch die Wassermassen haben nahezu alles an Inventar und Möbeln kaputt gemacht – genau wie die beiden Autos der Familie. Gemeinsam mit Helfern räumt Kondek das Haus aus. „Ich schätze, dass der Schaden bei um die 150.000 bis 200.000 Dollar liegt“, sagt Kondek. Im Haus müsse vieles wegen der giftigen Stoffe im Hochwasser renoviert werden. Eine riesige Palme, die im Sturm umgekippt ist, liegt auf dem Dach des Hauses, das auf einer Seite unter der Last nachzugeben droht.

Nach Angaben der Behörden in Florida wird der Wiederaufbau der Region Monate, zum Teil Jahre dauern. Die US-Regierung hat angekündigt, Betroffene ohne Hochwasserversicherung mit bis zu 40.000 Dollar zu unterstützen. Noch aber sind die Einsatzkräfte damit beschäftigt, die akute Gefahr für die Menschen in den betroffenen Gebieten zu verringern. Einsturzgefährdete Gebäude sowie Stromleitungen und Bäume, die umzukippen drohen, müssen gesichert werden. In den Abendstunden gilt eine Ausgangssperre.

„Ian“: Wiederaufbau in Florida kann Jahre dauern

Und noch immer werden Tote in den Trümmern geborgen. Nach Angaben örtlicher Behörden wurden bisher rund 80 Todesfälle gemeldet, wie die „New York Times“ und der Sender CBS berichteten. US-Präsident Joe Biden hatte am Donnerstag düstere Befürchtungen geäußert und gesagt: „Dies könnte der tödlichste Hurrikan in der Geschichte Floridas sein.“ Insgesamt habe die Küstenwache mehr als 1100 Menschen lebend gerettet, sagte Floridas Gouverneur Ron DeSantis.

Die Brücke, die von Fort Myers nach Pine Island führt, ist stark beschädigt. Gerald Herbert/AP/dpa
Die Brücke, die von Fort Myers nach Pine Island führt, ist stark beschädigt.
Die Brücke, die von Fort Myers nach Pine Island führt, ist stark beschädigt.

Auch Sheri Naegele kämpft in Naples mit den Verwüstungen, die ihr Hurrikan „Ian“ und das Hochwasser beschert haben. „Als wir sahen, wie das Wasser durch die Tür kam, wussten wir, dass wir in Schwierigkeiten waren“, erinnert Naegele an die Ankunft des Sturms. Mit Schweißperlen auf der Stirn steht die 59-Jährige wenige Tage später vor ihrem Ferienhaus am noblen Gulf Shore Boulevard, in unmittelbarer Nähe zum Strand. Neben ihr liegen vom Dreckwasser zerstörte Lampen, Sessel, Matratzen, Tische.

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Zuerst habe sie noch mit Handtüchern versucht, das Wasser abzuhalten, dann aber sei es von allen Seiten in ihr Haus eingedrungen, erzählt Naegele. Sie habe die Sachen, die sie retten wollte, und sich selbst im oberen Stockwerk vor den Fluten in Sicherheit gebracht. „Wir hatten nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde. Wir dachten, unser Haus liegt hoch genug und wird nicht überflutet“, sagt sie. Abends, wenn es dunkel wird, fürchtet sich Naegele am meisten vor Plünderern, die auf ihr Grundstück kommen könnten.

Das Wasser ist im Gulf Shore Boulevard mittlerweile wieder abgeflossen, geblieben aber ist ein beißender Gestank nach Fisch und Müll. Die heiße Sonne Floridas scheint auf den teils schon getrockneten vermüllten Schlamm. Autos, die in den Fluten einfach weggespült wurden, liegen kaputt und deplatziert in Gärten herum.

Florida: Polizei sperrt verwüstete Gebiete ab

Besonders verwüstete Gebiete hat die Polizei aus Sicherheitsgründen abgesperrt – so zum Beispiel den durch den Sturm stark beschädigten Landungssteg von Naples, das Wahrzeichen der Stadt. Die Schulen sind zu, vor allem weil es keinen Strom gibt; auch Supermärkte, Apotheken, Restaurants haben geschlossen. Vor den wenigen Geschäften und Tankstellen, die notfallmäßig geöffnet haben, gibt es lange Warteschlangen.

Ein Auto fährt in Charleston, South Carolina durch das von Hurrikan „Ian“ verursachte Hochwasser. Alex Brandon/AP/dpa
Ein Auto fährt in Charleston, South Carolina durch das von Hurrikan „Ian“ verursachte Hochwasser.
Ein Auto fährt in Charleston, South Carolina durch das von Hurrikan „Ian“ verursachte Hochwasser.

Strom hat auch Sujith Nagaragi nicht. Der 32-Jährige ist Chef eines indischen Restaurants an einer vielbefahrenen Kreuzung. Seinen Stammkunden und allen anderen, die an seinem Restaurant vorbeikommen, bietet Nagaragi seit Freitag ein warmes Essen an. Es gibt eine Portion Reis mit Hühnchen oder Gemüse-Curry – gratis. „Wir können derzeit keine Bestellungen entgegennehmen und um dennoch für unsere Kunden da zu sein, geben wir das Essen gratis aus“, sagt er.

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Er und seine Kollegen kochen im Restaurant mit Gas und Stirnlampe, die Ausgabe findet bei Helligkeit vor dem Restaurant statt. Vielen, die sich bei Nagaragi etwas zu Essen holen, sieht man die Müdigkeit und Erschöpfung der vergangenen Tage an. Manche kommen direkt von den Aufräumarbeiten, haben Schlamm an den Schuhen. Ein ältere Frau, die sich als Patty vorstellt, sagt: „Ich habe seit Dienstagabend nichts Warmes mehr gegessen.“ Die Aktion sei „einfach wunderbar“ und zeige, dass die Gesellschaft in dieser schweren Zeit zusammenhalte.

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