Der Kiez und der Lockdown: Auf St. Pauli gehen die Lichter aus
St. Pauli –
Ohne Corona würde sich in diesem Moment wohl eine Menschenmenge im „Uebel und Gefährlich“ in den Armen liegen, miteinander laut lachen und voller Inbrunst mitsingen. Große Leere statt großer Gefühle herrscht stattdessen am Freitagabend im vierten Stock des alten Luftschutzbunkers an der Feldstraße im Stadtteil St. Pauli.
„Es ist kein neues Gefühl von Ohnmacht, sondern ein andauerndes“, sagt Malte von der Lancken, Booker des Hamburger Clubs. Er steht mitten auf der Tanzfläche, wo noch vor einiger Zeit bis zu 1000 Menschen tanzten. Dann aber kam Corona.
Booker des „Uebel und Gefährlich“: Andauerndes Ohnmachtsgefühl
„Man lebt von Woche zu Woche, von Monat zu Monat und hofft auf die Politik“, beschreibt von der Lancken. Als Booker würde er eigentlich zu dieser Zeit Konzerte organisieren, Bands buchen und ein Programm auf die Beine stellen.
Abgesehen von einzelnen Veranstaltungen im Rahmen des Reeperbahn-Festivals sei das letzte offizielle Konzert im „Uebel und Gefährlich“ Mitte März gewesen. Damals haben sie gehofft, dass das alles nicht so lange dauern würde, wie von der Lancken heute sagt.
Hamburg St. Pauli: Seit Monaten müssen die Tanzflächen wegen Corona leer bleiben
Wie dem Club geht es auch vielen anderen Betrieben der Hansestadt, und ab Montag gehen die Lichter wieder ganz aus. So sollen bis Ende des Monats alle Restaurants und Kneipen wieder schließen, genauso wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo- und Fitnessstudios und Kinos.
Am Freitagabend schwebt die Ankündigung eines neuen Teil-Lockdowns noch immer unwirklich über der Reeperbahn. Wo sonst Menschen dicht an dicht standen, spazieren kurz vor Sperrstunde nur noch wenige. Die riesige gelb-blaue Gitarre der „Großen Freiheit 36“ leuchtet nicht, niemand torkelt – alle scheinen geradlinig nach Hause zu gehen.
Hamburg: Gastronomie, Kneipen und Bordelle müssen wieder schließen
„Für mich bedeutet das, dass ich meinen Job an den Nagel hängen kann!“, beschwert sich Joyce. Die Tänzerin arbeitet in einem Stripclub in der Nähe. Was sie nun stattdessen machen will? „Darüber will ich nicht reden – das ist privat“, sagt sie. Ihren vollen Namen will sie nicht nennen.
Zusammen mit zwei Freundinnen sitzt sie in der Nähe des Beatles-Platzes und raucht. Hinein in den bläulichen Dunst ihrer Zigarette macht sie ihrem Ärger Luft: „Wir haben uns an alles gehalten. Wir haben sogar extra Plexiglas zwischen uns und den Gästen aufgestellt“.
Strenge Maßnahmen in den Laufhäusern auf St. Pauli
Vor einem der vielen Laufhäuser auf Sankt Pauli steht Lisa und achtet darauf, dass sich die Kunden die Hände desinfizieren. Danach misst sie Fieber und notiert Kontaktdaten. Letzteres werde oft nur zähneknirschend von den Freiern hingenommen, berichtet die Türsteherin.
Mehrere Mitbewerber hätten dicht machen müssen, sagt Lisa. Ohne Zweifel sei der Kiez mittlerweile leerer. „Gerade am Wochenende hat das hier immer geboomt. Jetzt ist tote Hose“, sagt sie.
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Das ab Montag dann das Publikum komplett wegbleibe, sei auch für die Betreiber der vielen Hamburgs Musikclubs mehr als schwierig, sagt Kai Schulz vom Clubkombinat. Angesprochen auf die kommenden Einschränkungen spricht er von einem Berufsverbot.
Die Hamburger Clubbesitzer haben sich nach Einschätzung des Clubkombinat-Vorstandsvorsitzenden mehr Strategie und Konzept für das gewünscht, was jetzt kommt. „Die Hygiene-Konzepte wurden eingehalten. Trotzdem wird am Montag alles dicht gemacht“, sagt Schulz. (dpa)