• Auf dem Screenshot ist zu sehen, wie die Hand eines Polizisten in Richtung Hals des Jugendlichen greift. 
  • Foto: Screenshot

Debatte um Einsatz: Hat Hamburgs Polizei wirklich verhältnismäßig gehandelt?

Ein Video, das am Montagabend tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt wurde, sorgt in Hamburg für Aufregung. In dem vierminütigen Film ist ein Polizeieinsatz in der Straße Kohlhöfen (Neustadt) zu sehen, in dem ein Jugendlicher (15) von einer Gruppe Polizisten zu Boden gebracht wird und liegend „Ich bekomme keine Luft“ ruft. Sein Vergehen: Nachdem er wiederholt mit einem E-Roller auf dem Bürgersteig gefahren war, wollte er einem Stadtteilpolizisten seine Personalien nicht mitteilen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall.

Was ist genau passiert?

Zu dem Vorfall ist es am Montagmittag gekommen. In dem Video ist zu erkennen, dass der Jugendliche sich gegen zwei Polizistinnen und zwei Polizisten wehrt und diese von sich schubst. Ein Beamter zückt daraufhin einen Schlagstock, steckt ihn wieder ein und schlägt mit der Hand zu. Dann rückt Verstärkung an. Der groß gewachsene Jugendliche wehrt sich aber weiter. „Auf den Boden“, brüllt einer der Polizisten daraufhin mehrfach.  

Wie wird der junge Mann überwältigt?

Die Situation strengt den Minderjährigen offensichtlich an. Er atmet schwer und zieht schließlich sein T-Shirt aus. Diesen Moment nutzen die Beamten, um ihn zu überwältigen und zu Boden zu bringen. Dabei wurde auch Pfefferspray eingesetzt. Auf dem Video ist zu hören, wie er auf dem Boden liegend offenbar ruft: „Ich krieg keine Luft, ich krieg keine Luft.“ Gleiches steht auch auf der Wand, vor der er liegt: „I can’t breathe“ – das waren die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd, der in diesem Jahr durch Polizeigewalt starb.

Polizeieinsatz in der Neustadt

Der Jugendliche liegt am Boden, umgeben von mehreren Polizisten. Auf diesem Screenshot sind nur seine Beine zu sehen. 

Foto:

Screenshot

Gab es bei dem Einsatz Verletzte?

Der 15-jährige wurde laut Polizei im Anschluss auf der Wache von einer Rettungswagenbesatzung untersucht, dabei seien keine Verletzungen festgestellt worden. Bei dem Einsatz sei ein Beamter leicht verletzt worden.

Was war der Auslöser für den Polizeieinsatz?

Nach Angaben der Polizei wollte ein Stadtteilpolizist den Jugendlichen kontrollieren, weil dieser ihm in den Tagen zuvor mehrfach aufgefallen war. Laut Polizei habe der Jugendliche mit einem E-Scooter mehrfach den Gehweg benutzt, obwohl das verboten ist. Nach Angaben der Beamten habe der Polizist den Jugendlichen zuletzt mehrfach mündlich verwarnt, ihm bei einem weiteren Verstoß aber eine Ordnungswidrigkeitsanzeige angedroht. Zu dem Verstoß kam es demnach dann am Montagmittag.

Welche Szenen sind dem Video vorausgegangen?

Dazu gibt es bislang nur Angaben von der Polizei. Demnach sei der Jugendliche der Aufforderung nicht nachgekommen, sich auszuweisen. Daraufhin seien drei weitere Beamte hinzugerufen worden. Gemeinsam habe man dann die Sachen des Jugendlichen nach Ausweispapieren durchsucht, jedoch vergeblich. Auch zu seiner Schule wollte er nicht mit den Beamten, um seine Identität zu klären. „Der Jugendliche sperrte sich beim Eingreifen durch die Einsatzkräfte, schlug mit den Armen um sich, schubste die eingesetzten Beamten von sich weg und ballte teils seine Faust“, so die Polizei. Daraufhin seien weitere Beamte gerufen worden und erst dann setze das Video ein.

Was sagt der Jugendliche zu dem Einsatz?

Gegenüber der „Bild“ äußert sich der 15-jährige Kadir, der in seiner Freizeit beim „SV Polizei“ boxt, zu dem Vorfall. „Ich weiß, dass ich den Beamten provoziert habe“, sagt er. Und er wisse auch, dass es verboten sei, auf dem Gehweg zu fahren. Gemacht hat er es dennoch. Als er daraufhin mit zur Wache sollte, habe er sich geweigert, in den Polizeiwagen zu steigen. „Da wurde ich sofort gegen eine Wand gedrückt. Dort hielt mir ein Polizist die Hand vor den Mund. Ich habe Asthma und keine Luft mehr bekommen. Deshalb habe ich mich gewehrt“, sagt er der „Bild“.

Warum gibt es Kritik?

Der Einsatz wurde vor Ort und in den sozialen Netzwerken als unverhältnismäßig gesehen. Die Frau, die die Szene filmt, ruft den Polizisten zu: „Das ist noch nicht normal! Leute, bleibt doch mal ruhig! Was macht ihr da? Er ist 15 Jahre alt!“ Auch andere Passanten mischen sich ein, fordern die Polizisten dazu auf, weniger rabiat mit dem Jungen umzugehen. Auf Twitter gibt es Kommentare wie diesen: „Bei solchen Videos braucht ihr euch nicht wundern, wenn ihr keinen Rückhalt habt.“ Deniz Celik (Linke) meint, dass die Polizei, statt auf Deeskalation zu setzen, eine Eskalation der Situation vorantreibt.

Was sagt die Polizei?

„Grundsätzlich ist die Polizei in einem ständigen Spannungsfeld, wenn Zwangsmaßnahmen gegen Personen durchgeführt werden, die körperlich sehr groß und stark sowie erkennbar jugendlich sind.“ Das Video zeige deutlich, dass die Polizisten gewillt waren, den Widerstand mit einfacher körperlicher Gewalt zu beenden und den Jugendlichen zu Boden zu bringen. Dabei sei es dem Jugendlichen „jederzeit“ möglich gewesen, zu atmen. „Solche Einsätze erzeugen häufig Bilder, die Fragen aufwerfen.“ Etwa, ob der Einsatz verhältnismäßig war.

War das Vorgehen rechtmäßig?

Diese Frage muss nun geklärt werden. Rechtmäßig ist in jedem Fall, dass die Polizei die Personalien aufnehmen darf. Sollte dies vor Ort nicht möglich sein, dürfen die Beamten einen nach Hause begleiten oder mit auf die Wache nehmen – auch unter Zwang, wenn dies notwendig ist. Allerdings muss der Einsatz von Gewalt, wie jedes staatliche Handeln, verhältnismäßig sein. Das heißt, der Einsatz von Gewalt muss geeignet, erforderlich und in der Situation angemessen sein. Nur aufgrund des Videos ist das nicht abschließend zu beurteilen. 

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Thema Polizeigewalt?

In einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt der Hamburger Polizeiausbilder Rafael Behr, dass „die illegitime Anwendung von Gewalt auch der legitimen Gewaltanwendung innewohnt“. Das heißt: „Einem ‚zu viel‘ einer an sich rechtmäßigen polizeilichen Handlung.“ Polizisten würden in der Ausbildung lernen, dass ihren Anweisungen Folge geleistet werden muss und sie im Zweifel ihre Maßnahmen auch mit Gewalt durchsetzen können. Gerade jüngeren Beamten fehle die Erfahrung, in komplexen Situation sofort das richtige Maß zu finden. 

Wie geht es nun weiter?

Der Jugendliche wurde zur Wache gebracht und später seinen Erziehungsberechtigten übergeben. Gegen ihn wird wegen Widerstands ermittelt. Das Einschreiten der Beamten wird vom Dezernat Interne Ermittlungen der Innenbehörde überprüft. 

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp