Hamburg historisch: Der Tag, an dem die SS 20 Kinder im Schulkeller erhängte
Heute jährt sich zum 75. Mal eines der abscheulichsten Verbrechen in der Geschichte Hamburgs. Am 20. April 1945 schafften SS-Männer 20 jüdische Kinder in die Schule am Bullenhuser Damm in Rothenburgsort und erhängten sie im Heizungskeller. Es ging darum, Spuren zu verwischen. Niemand sollte je von den medizinischen Versuchen erfahren, die an den Kindern vorgenommen worden waren.
Frühjahr 1945. Das Kriegsende ist in greifbarer Nähe. Die Engländer stehen schon in Lüneburg. Nicht mehr lange, dann werden sie auch Hamburg einnehmen. Da geht am 14. April im KZ Neuengamme ein Befehl von SS-Chef Heinrich Himmler ein: „Übergabe kommt nicht infrage. Das Lager ist sofort zu evakuieren. Kein Häftling darf lebendig in die Hände des Feindes fallen!“
Max Pauly, seit 1942 KZ-Kommandant, handelt sofort. Zunächst lässt er Karteien und Hinrichtungsakten vernichten. Die Exekutionsstätten werden unkenntlich gemacht. Als Nächstes sollen die Insassen weggeschafft werden: Darunter befindet sich auch eine Gruppe von 20 Kindern im Alter zwischen fünf und 12 Jahren. Sie stammen aus Frankreich, den Niederlanden, Polen und Jugoslawien.
„Experimente abbrechen, Kinder exekutieren!“
Ende November 1944 waren die Kinder aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nach Neuengamme gebracht worden, auf Geheiß des Mediziners Dr. Kurt Heißmeyer. Der 38-Jährige träumt davon, ein zweiter Robert Koch zu werden, ist überzeugt, Tuberkulose heilen zu können, indem er die Erkrankten ein zweites Mal mit Tuberkulose infiziert. Um den Beweis anzutreten, benötigt er Versuchskaninchen. „Rassisch minderwertiges Menschenmaterial“, wie das damals heißt. Sprich: Juden. Als die erwachsenen Testpersonen nicht überleben, lässt er sich die Kinder kommen.
Am 20. April 1945 – es ist Hitlers 56. und letzter Geburtstag – erreicht dieser Befehl aus Berlin das KZ Neuengamme: „Abteilung Heißmeyer ist aufzulösen!“ Noch am selben Tag werden die Jungen und Mädchen zur Schule am Bullenhuser Damm gebracht. Das Gebäude ist seit den Bombenangriffen im Sommer 1943 schwer beschädigt und dient nun als KZ-Außenlager. Den Kindern wird gesagt, sie sollen sich ausziehen, weil sie geimpft werden müssten. Dann gibt ihnen Alfred Trzebinski, der Standortarzt des KZ Neuengamme, eine Spritze. Es ist Morphium. Nach und nach schlafen alle ein.
Was dann geschieht, schildert Trzebinski später vor Gericht so: SS-Unterscharführer Johann Frahm „nahm einen zwölfjährigen Jungen auf den Arm und sagte zu den anderen: ,Er wird jetzt ins Bett gebracht.‘“ Dann sei Frahm mit ihm in den Heizungskeller gegangen, habe den Jungen in eine Schlinge eingehängt, die an einem Haken an der Decke befestigt gewesen sei. Trzebinski weiter: „In diese Schlinge hängte Frahm den schlafenden Jungen ein und hängte sich mit seinem Körpergewicht an den Jungen, damit die Schlinge zuzog.“
Nach und nach sterben auf diese Weise alle 20 Kinder. Anschließend werden dort auch KZ-Häftlinge, die von den medizinischen Versuchen wissen – zwei französische Mediziner, zwei niederländische Pfleger und 24 sowjetische Kriegsgefangene – ermordet.
Vier SS-Mörder enden 1946 selbst am Galgen
Die Leichen werden nie gefunden. Vermutlich wurden sie im Krematorium in Neuengamme verbrannt. Doch unentdeckt bleibt die Tat trotzdem nicht. 1946 werden Trzebinski, Frahm und zwei weitere SS-Leute zum Tode verurteilt und gehängt. Kurt Heißmeyer, der zunächst noch als Lungenarzt in der DDR lebt und arbeitet, wird 1963 festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er stirbt 1967 in Haft an einem Herzinfarkt.
Nach dem Krieg gerät der Mord an den 20 Kindern schnell in Vergessenheit. Das Gebäude, in dem die furchtbare Tat geschah, wird wieder als Schule benutzt, so, als wäre nichts passiert. 1963 wird zumindest eine Gedenktafel aufgehängt. Heute geht dort kein Kind mehr zur Schule. Bei dem Gebäude handelt es sich inzwischen um eine Außenstelle der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Eine Ausstellung erinnert an das Schicksal der 20 Jungen und Mädchen.
Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag wegen Corona abgesagt
Die für den heutigen Montag geplante Gedenkveranstaltung musste auf Grund der Covid-19-Epidemie abgesagt werden. Der Senat, die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte sowie die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm werden dennoch mit einem stillen Gedenken und dem Niederlegen von Blumen und Kränzen dafür Sorge tragen, dass an diesen bedeutsamen Tag erinnert wird.
„Ich bedaure sehr, dass Angehörige aus aller Welt in diesem Jahr nicht zu dem so wichtigen Ort der Erinnerung reisen können. Doch zusammen mit ihnen gedenken wir der Opfer und erneuern das gemeinsame Versprechen, immer wieder für eine freie und offene Gesellschaft einzutreten“, sagt Kultursenator Dr. Carsten Brosda.
Stadtentwicklungssenatorin Senatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt dazu: „Kinder zu beschützen, ist zu allen Zeiten eine der wichtigsten Aufgaben in einer Gesellschaft, denn Kinder sind unsere Zukunft. (…) Jeder Form von Rassismus, Antisemitismus und Menschenhass werden wir uns in Hamburg entschieden entgegenstellen. Das schulden wir auch den Opfern vom Bullenhuser Damm.“