Hamburg historisch: Der ungeborgene Schatz auf dem Grund der Elbe
Irgendwo auf dem Grund der Elbe bei Cuxhaven, wahrscheinlich überdeckt von Unmengen Sand und Schlick, liegen sie: unvergleichliche Kostbarkeiten aus dem alten Ägypten. Statuen, Altäre, Säulen, Vasen, Büsten, Grabstelen, sogar die Spitze einer Pyramide und ein tonnenschwerer Sarkophag aus rotem Granit. Fast 200 Jahre sind Archäologen und Schatzsucher schon auf der Jagd danach.
Es ist der 12. März 1822. Der Orkan, der über der Nordsee tobt, ist einer der schwersten des Jahrhunderts. Britische Chroniken berichten, der Sturm sei so mächtig, dass er das Wasser aus der Themse herausdrückt. Und auf der anderen Seiten des Ärmelkanals schlagen die Wellen über die Ufer. Die Küstenlinie und die Elbmündung sind nicht mehr zu identifizieren – alles eine einzige tosende Wasserfläche.
Mittendrin der junge Kapitän Jacob Riesbeck, der auf seinem Zweimaster „Gottfried“ 90 Kisten mit einzigartiger ägyptischer Kunst transportiert. Die Preziosen soll er nach Hamburg bringen, damit sie weiterverfrachtet werden können nach Berlin.
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Doch in der Elbmündung wird das Schiff vom Orkan hin und her geschüttelt wie ein Spielzeug. Die Taue der Ladung lösen sich. Der monströse Sarkophag und die Pyramidenspitze durchschlagen die Bordwand. Danach dauert es nur Sekunden, dann hat die Nordsee das Schiff verschluckt. Der Kapitän, sechs Besatzungsmitglieder und ein Passagier kommen ums Leben. Nur ein Matrose überlebt.
Grundstock für das Ägyptische Museum auf der Museumsinsel
20 Jahre zuvor hat Kaiser Napoleon Bonaparte durch seinen von Wissenschaftlern begleiteten Ägypten-Feldzug das Interesse der Europäer an dem sagenumwobenen Land der Pharaonen geweckt. Eine regelrechte Ägyptomanie ergreift den Kontinent: Paris und London wetteifern darum, welche Stadt über die beste ägyptologische Sammlung verfügt, denn daraus leitet sich der Anspruch ab, die führende Kulturmetropole Europas zu sein.
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Da möchte aber in Berlin der preußische König Friedrich Wilhelm III. auch noch ein Wörtchen mitreden und entsendet 1820 eine Expedition an den Nil, die geleitet wird von Johann Heinrich Karl Menu von Minutoli (1772-1846). Der preußische Generalleutnant hat den Auftrag, so viele Schätze wie möglich zu sammeln – als Grundstock für das geplante Ägyptische Museum auf der Berliner Museumsinsel.
Minutoli ist erfolgreich: Ihm gelingt es als Erstem, den Eingang der Pyramide von Sakkara zu finden, in der er Teile einer Mumie entdeckt. Er ist überzeugt, es mit den sterblichen Überresten eines Pharaos zu tun zu haben – ein Irrtum.
Mit 110 Kisten voller Preziosen verlässt Minutoli im Juli 1821 den Hafen von Alexandria. Nach 39 Tagen kommt er in Triest an. Von dort schickt er 20 Kisten auf dem Landweg nach Berlin, die ihr Ziel schließlich erreichen. Die übrigen 90 Kisten mit den schweren Gegenständen, den Statuen und dem Sarkophag, lässt Minutoli auf die „Gottfried“ verladen. Im Dezember 1821 sticht das Schiff in See.
Die „Untoten“ machen den Fischern Angst
Als Monate später die Nachricht vom Untergang des Zweimasters eintrifft, hält sich Minutoli gerade in Venedig auf. Der 49-Jährige ist verzweifelt. Sein Lebenswerk, der Schatz, der ihn weltberühmt gemacht hätte – verloren. Ein kleiner Trost immerhin: Der finanzielle Ruin bleibt ihm erspart, denn Minutoli hat die Ladung versichert.
In den Tagen und Wochen nach dem Orkan werden am linken Elbufer zwischen Cuxhaven und Balje ungewöhnliche Gegenstände an Land gespült: Deichgraf Georg Wilhelm Schmellke, Schultheiß im Dienst des Herzogs von Bremen und Verden, führt Buch darüber: da ist von einem Straußenei, von Widderhörnern, mumifizierten Fischen, Korallen, vor allem aber von sieben Sarkophagen mit Mumien die Rede. Die „Untoten“ machen den Fischern an der Elbe Angst. Und so vergraben sie die grausigen Fundstücke gleich wieder.
Die Versicherungsgesellschaft aber, die Minutoli mit 27 000 Mark entschädigt hat, lässt die Mumien wieder ausgraben. Eine, die Nummer 6, wird entwendet und bleibt verschollen. Um sich schadlos zu halten, veranstaltet die Versicherung am 4. September 1822 beim Makler Johannes Noodt in der Großen Reichenstraße in Hamburg eine Versteigerung: Die Mumien und andere angeschwemmte Kunstschätze der „Gottfried“ kommen unter den Hammer und werden so in alle Himmelsrichtungen verstreut. Wo sie geblieben sind? Keiner weiß es. Bekannt ist nur, dass Johann Wolfgang von Goethe im Besitz einer geflochtenen Mumienlocke aus dem Minutoli-Schatz gewesen sein soll.
Vergoldeter Mumien-Schädel aus der Sakkara-Pyramide
Nur ganz wenig ist seither wieder aufgetaucht. 1992 stößt Rainer Leive aus Bremervörde (inzwischen 76), einer der bedeutendsten „Gottfried“-Experten, im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) auf eine Kindermumie, eine Mumienhand und einen vergoldeten Mumienkopf, die möglicherweise aus der Minutoli-Sammlung stammen. Dafür spricht, dass Minutoli in seinen Erinnerungen erwähnt hat, in der Sakkara-Pyramide einen vergoldeten Schädel gefunden zu haben.
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Den hat inzwischen Hamburgs Rechtsmediziner Professor Klaus Püschel wissenschaftlich untersucht. Allerdings kann auch er weder bestätigen noch dementieren, dass er aus der Ladung der „Gottfried“ stammt. Seltsam ist übrigens, dass die Kindermumie inzwischen als verschollen gilt. Sie ist aus dem MKG verschwunden.
Die vergebliche Suche nach den Schätzen der „Gottfried“
2003 wird das Museum für Kunst und Gewerbe erneut zum Fundort: als nämlich die Ägyptologin Renate Germer alte Stoffe fotografiert und dabei in einer Mumienbinde ein Kuvert entdeckt, in dem sich Haare befinden. Auf dem Umschlag steht in Sütterlin geschrieben: „Haarlocke u. Stück der Binde einer weiblichen Mumie, welche der Menu von Minutoli aus Ägypten gebracht, bey Neuhaus an Land getrieben aus dem dort gestrandeten Schiffe – in Freyburg mitgenommen d. 5. April 1822.“
Versuche, das Wrack der „Gottfried“, vor allem aber die vielen, vielen Schätze zu finden, die wohl noch auf dem Grund der Elbmündung liegen, hat es im Laufe von 200 Jahren etliche gegeben, zuletzt 2011. Erfolglos. Vom Sarkophag, der so schwer ist, dass 1820 bei seiner Bergung aus einem 50 Fuß tiefen Schacht 200 ägyptische Arbeiter drei Monate lang beschäftigt waren, und von all den anderen faszinierenden ägyptischen Preziosen fehlt jede Spur.
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Und so fasziniert sie uns weiter: die Geschichte vom Geisterschiff und vom Pharaonenfluch, der über der Elbmündung zu liegen scheint.