Rassistische Tat: Der Tag, an dem Mehmet Kaymakçi in Hamburg brutal ermordet wurde
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Sie schlugen ihn. Traten ihm ins Gesicht. Immer wieder. Es war purer Hass, der die Täter antrieb. Und als Mehmet Kaymakçi nur noch röchelnd und wahrscheinlich schon sterbend da lag, hoben die drei Täter einen Betonblock an und ließen ihn fallen. Er zertrümmerte den Kopf des 29-jährigen türkischen Maurers.
Am 24. Juli 1985 starb Mehmet Kaymakçi am Rande des Kiwittsmoorparks in Langenhorn. In wenigen Tagen jährt sich dieses abscheuliche Verbrechen zum 35. Mal. Eine Tat, die völlig in Vergessenheit geraten ist. Aber das soll nicht so bleiben. Gerade heute sei es wichtig zu zeigen, wohin Rassismus führt. Deshalb haben SPD, CDU, die Grünen, die Linken und die FDP in der Bezirksversammlung Nord 5000 Euro für eine Gedenktafel genehmigt, die an der Straße Hohe Liedt aufgestellt werden soll.
Tod von Mehmt Kaymakçi: Rassismus in Deutschland
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Davon waren die 80er Jahre geprägt. Während die Bundesrepublik in einer Wirtschaftskrise steckte, stieg die Zahl der Asylbewerber rasant. Gleichzeitig begannen viele Gastarbeiter damit, ihre Angehörigen nachkommen zu lassen, die zunächst in der Heimat geblieben waren.
Im gleichen Maße wie die Arbeitslosigkeit zunahm, wuchsen in einem Teil der Bevölkerung fremdenfeindliche Aggressionen. „Die Ausländer“, so die völlig irrationale Angst, „nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ Teile von Politik und Medien befeuerten diese rassistische Stimmung noch durch Kampagnen gegen „Scheinasylanten“, „Asylschmarotzer“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“.
Dies war der perfekte Nährboden für Rechtsextremismus. Am 22. August 1980 attackierten Neonazis eine Unterkunft für Geflüchtete in der Halskestraße in Billwerder und ermordeten zwei junge vietnamesische Flüchtlinge: Nguyen Ngoc Châu und Do Anh Lân. Im Juni 1982 wurde in Norderstedt der 26-jährige Türke Tevfik Gürel vor einer Disco ermordet – nur weil er ein deutsches Mädchen angesprochen hatte. Am 17. Oktober desselben Jahres wurde der 16-jährige Adrian Maleika, Werder-Bremen-Fan und Sohn einer oberschlesischen Spätaussiedlerfamilie, von rechtsextremistischen HSV-Hooligans in der Nähe des Volksparkstadions erschlagen.
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Und dann Mehmet Kaymakçi. 1980 war er gemeinsam mit seinem Onkel nach Deutschland gekommen und arbeitete im Tiefbau, bis er ein Magengeschwür bekam. Seither war er arbeitslos. Seine deutsche Ehefrau Gisela erzählt, dass er aus Frust häufig getrunken habe. So auch am Abend des 24. Juli 1985. Er besuchte das Lokal „Bei Ronnie“ in der Fibigerstraße.
Sein großes Unglück war, dass dort auch diese drei Gäste Bier tranken: Frank-Uwe P. (20), Mario B. (19) und Bernd M. (20). Frank-Uwe P., ehemaliger Bundesgrenzschützer, hatte eine ausgiebige Neonazi-Vergangenheit und war der Polizei schon als militanter HSV-Fan aufgefallen. Nach Fußballspielen in Hamburg und bei Schalke 04 in Gelsenkirchen hatte er demonstrativ den Arm zum Hitler-Gruß gehoben. Einmal war er mit anderen Nazi-Glatzen zur St. Pauli-Hafenstraße gezogen, um Hausbesetzer und Punker zu verprügeln – die Polizei konnte dies im letzten Moment verhindern.
An diesem Abend im Lokal „Bei Ronnie“ kam es zwischen den drei jungen Deutschen und Mehmet Kaymakçi zum Streit. In einem Wortgefecht soll es auch um die deutsche Ausländerpolitik gegangen sein. Zunächst blieb es bei einer Rangelei.
Aber als sich Mehmet Kaymakçi gegen Morgengrauen auf den Heimweg machte, folgten ihm die drei, einer mit dem Rad, die anderen zu Fuß. In der Straße Hohe Liedt schlugen und traten Frank-Uwe P., Mario B. und Bernd M. den Türken brutal zusammen, schleiften den nur noch röchelnden Mann hinter eine Hecke, wo sie weiter auf ihn einschlugen.
Es war Frank-Uwe P., der auf die Idee kam, Kaymakçi „kaltzumachen“. Das Opfer sollte zum Schweigen gebracht werden, denn, so gab Frank-Uwe P. später vor Gericht zu, „wir hatten Angst vor der Rache der anderen Türken“. Es war dann Bernd M., der den Betonblock entdeckte und die anderen aufforderte, mal mit anzufassen. Mario B. weigerte sich, wollte nichts damit zu tun haben. Auch Frank-Uwe P. zögerte. Aber dann packte Bernd M. den Kumpel bei der „Ehre“ (oder was er dafür hielt): „Ich denke, du bist ein Skinhead. Wenn du nicht mit anfasst, bist du ein Vaterlandsverräter!“
Skinheads schnell festgenommen: Tod von Mehmet Kaymakçi in Hamburg
Damit war das Schicksal des Türken besiegelt. Gegen 4 Uhr am Morgen starb Kaymakçi. Ein Krankenhaus-Pfleger, der mit dem Rad zum Dienst fuhr, entdeckte die Leiche gegen fünf Uhr. Schon wenig später wurden die drei Täter festgenommen. Frank-Uwe P. sagte in seiner ersten Vernehmung: „Wir wollten den Türken fertigmachen.“
Trotzdem waren Politik und Justiz bemüht, die Tat als eine aus dem Ruder gelaufene Wirtshausschlägerei darzustellen. Nicht der Staatsschutz, wie in politisch motivierten Fällen üblich, sondern allein die Mordkommission ermittelte. Vor Gericht klammerte der Staatsanwalt die politischen Hintergründe ebenfalls aus. Die Verbindung zu Nazi-Skin-Gruppen wurde ignoriert. Angeklagt wurden die Täter wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ und „Mordversuchs“. Zwei der Täter wurden zu acht Jahren, einer zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Kein halbes Jahr nach dem Tod von Mehmet Kaymakçi überfielen Nazi-Skins am Bahnhof Landwehr den 26-jährigen Ramazan Avci, der das Pech hatte, an einer Kneipe vorüberzugehen, vor der sich gerade Neonazis aufhielten. Von 30 Männern wurde Avci mit Keulen so lange verprügelt, bis er bewusstlos war. Avci starb am 24. Dezember 1985 im Krankenhaus.
Auch diesmal versuchte die Politik, die Tat als unpolitische darzustellen. Innensenator Rolf Lange (SPD) etwa sagte, es handele sich um einen Einzelfall. Oppositionsführer Hartmut Perschau (CDU) mochte „nicht an eine gezielte Aktion gegen Ausländer“ glauben. Er war überzeugt, Avci sei zufällig zum Opfer geworden.
Doch Hamburgs „Gastarbeiter“ hatten da längst andere Erfahrungen gemacht. Zornige türkischstämmige Jugendliche wollten nicht länger Opfer sein, sondern sich gegen rassistische Gewalt zur Wehr setzen. Deshalb schlossen sie sich zu Straßengangs zusammen. In verschiedenen Stadtteilen gründeten sich „Selbstverteidigungskomitees“.
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Im Januar 1986 kam es dann in Neuwiedenthal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Jugendlichen und Neonazis, die zur Verhaftung von Türken führten, denen vorgeworfen wurde, einen Rechten schwer verletzt zu haben. Als Reaktion auf die Festnahme verfassten die „Selbstverteidigungskomitees“ aus Winterhude, Harburg, Barmbek, Steilshoop, Billstedt, Bergedorf, Wilhelmsburg, Altona, St. Georg und dem Karoviertel eine gemeinsame Erklärung, in der es hieß, Ausländer seien nahezu täglich neofaschistischen Angriffen ausgesetzt. „Unser Wille ist, diesen Kampf mit friedlichen Mitteln zu führen.“ Wenn sie aber angegriffen würden, dann würden sie sich auch verteidigen. Das sei ihr gutes Recht.
Kommenden Freitag jährt sich der Tod von Mehmet Kaymakçi zum 35. Mal. Zwischen 17 und 19 Uhr werden am Tatort an der Straße Hohe Liedt (zwischen Willy-Jacobs-Weg und Hogenlietgrund) Blumen für Mehmet Kaymakçis niedergelegt. Veranstalter sind die „Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci“, Gülüstan Avci sowie Faruk Arslan, der beim Möllner Brandanschlag 1992 Mutter, Tochter und Nichte verlor.