Vor 100 Jahren: 25 Tote beim Harburger Blutsonntag
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Ein Kriegsheld, der von aufgebrachten Menschenmassen gelyncht wird, insgesamt 25 Menschen, darunter Frauen und Kinder, die ihr Leben lassen, und ein Schulgebäude, das anschließend an ein Schlachtfeld erinnert: Vor 100 Jahren kommt es in Harburg zu einem wilden Gefecht, das als „Harburger Blutsonntag“ in die Geschichte eingegangen ist. Wer auf diesen Namen gekommen ist und warum, weiß heute niemand mehr. Stattgefunden hat die Schießerei jedenfalls montags.
März 1920. Die Weimarer Republik sitzt alles andere als fest im Sattel. Nicht mal eineinhalb Jahre sind vergangen, seit der Krieg verloren und der Kaiser ins Exil gegangen ist. Die alten Eliten, Industrielle und ostelbische Rittergutsbesitzer, die ihre Vorrangstellung eingebüßt haben, wünschen sich die Monarchie zurück. Auch in der Reichswehr gärt es: Den Militärs ist der Gedanke unerträglich, die Regierung könnte der Verpflichtung aus dem Versailler Vertrag tatsächlich nachkommen und das Heer auf 100.000 Mann reduzieren.
1920 in Hamburg: 25 Tote beim „Harburger Blutsonntag“
Vorbereitet wird der Staatsstreich schon lange. Schlüsselfiguren sind der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, General Walther Freiherr von Lüttwitz und Erich Ludendorff, im Ersten Weltkrieg Chef der Obersten Heeresleitung. Als im März 1920 die Reichsregierung auf Drängen der Alliierten eine in der Nähe von Berlin stationierte Marinebrigade unter der Führung von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt auflösen will, glauben die Putschisten, der Zeitpunkt zum Losschlagen sei gekommen: Lüttwitz verlangt von Reichspräsident Friedrich Ebert nicht nur die Rücknahme der Anordnung, sondern fordert auch noch die Auflösung der Nationalversammlung und seine, also Lüttwitz’, Ernennung zum Oberbefehlshaber der Armee.
Als diese Forderungen nicht erfüllt werden, marschiert die Brigade Ehrhardt am 13. März in Berlin ein, Wolfgang Kapp ernennt sich zum Regierungschef. Im letzten Moment gelingt es Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) und Reichskanzler Gustav Bauer (SPD), nach Dresden, später nach Stuttgart zu fliehen. Von dort organisieren sie den Widerstand: Sie rufen zum Generalstreik auf. Überall im Land ruht die Arbeit. Züge fahren nicht mehr, der Strom fällt aus. Es ist der größte Streik in der deutschen Geschichte.
Vor 100 Jahren: Putschisten bringen sich in Stellung
Die neuen Machthaber wissen: Der Erfolg ihrer Sache hängt entscheidend davon ab, ob sie ihre Macht über Berlin hinaus auf die übrigen Teile des Reiches ausdehnen können: In Hamburg und Altona (damals noch eigenständige Städte) sieht es zunächst gut aus. Kommandeure und Offiziere stellen sich auf die Seite Kapps und Lüttwitz’. Beide Rathäuser werden vom Militär besetzt.
Womit die Putschisten nicht gerechnet haben: Dass Mannschaften und Unteroffiziere ihren Eid auf die Demokratie ernst nehmen und sich den verfassungswidrigen Zielen ihrer Offiziere widersetzen. In Hamburg muss das Rathaus deshalb nach eineinhalb Stunden wieder geräumt werden. Das Altonaer Rathaus und die dortige Generalkommandantur werden von der sozialdemokratisch dominierten Einwohnerwehr umstellt. Sie zwingt die Putschisten dazu, die Stadt Richtung Schleswig-Holstein zu verlassen. Ein Gefecht bleibt aus.
1920 kommt es in Harburg zu schweren Kämpfen
Anders in Harburg. Hier kommt es zu schweren Kämpfen. Das liegt vor allem an ihm: Fliegerhauptmann Rudolf Berthold, ein Kriegsheld. 44 abgeschossene Feindflugzeuge haben dem 28-Jährigen den Orden „Pour le Mérite“ eingebracht.
Berthold ist nicht nur Kommandant des im Kehdinger Land bei Stade stationierten Freikorps „Eiserne Schar“. Er hasst vor allem die Republik. Kaum hat der Putsch begonnen, kapert er einen Zug und setzt sich mit seinen Männern Richtung Harburg in Bewegung. Dort stellt er Forderungen: nämlich die Anerkennung der neuen Regierung in Berlin – oder die Kapitulation.
Am 15. März wird die Mittelschule in Heimfeld umstellt
In der Mittelschule Woellmerstraße in Heimfeld schlagen Bertholds Männer ihr Nachtlager auf. Als sie am Morgen erwachen, ist das Gebäude von regierungstreuer Reichswehr und der Einwohnerwehr umstellt. Anfangs wird verhandelt. Am 15. März aber kommt es zu schweren Kämpfen. MG-Feuer hallt durch die Straße. Bis heute ist unklar, wer eigentlich mit dem Schießen angefangen hat.
Als Berthold nach stundenlangem Blutvergießen hört, dass der Putsch in Hamburg gescheitert ist, erklärt er sich zur Kapitulation bereit. Er bekommt die Zusage, dass seine Männer freien Abzug erhalten, wenn sie ihre Waffen zurücklassen. Doch das Versprechen wird gebrochen. Als die Freikorps-Soldaten unbewaffnet vor der Schule antreten, entlädt sich Wut: „Nieder mit den Hunden!“, erschallt es. Offiziere werden mit Gewehrkolben zu Boden gebracht. Wieder fallen Schüsse. Berthold stirbt. Ein Obduktionsbericht zählt später zwei Treffer im Kopf, vier in der Brust. Wer ihn getötet hat, wird nie geklärt.
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Vor 100 Jahren: Massaker an der Mittelschule in Heimfeld
Es dauert einige Zeit, bis an der Mittelschule in Heimfeld die Spuren des Massakers beseitigt sind. „Von den Fenstern ist kaum eins auch nur einigermaßen heil geblieben“, schreiben die „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ am 16. März. „Die Mauern und Türen weisen starke Spuren der Schießerei auf. Die letzten Leichen sind heute Morgen herausgeschafft worden.“
Am 17. März ist der Putsch auch in Berlin beendet. Kapp setzt sich nach Schweden ab, Lüttwitz flieht nach Ungarn. Dank der Entschlossenheit der Arbeiterschaft hat die Demokratie gesiegt – diesmal noch.
13 Jahre später wird das ganz anders aussehen …