„Mein schwierigster Film“: Regisseur Fatih Akin über sein neues Gangster-Drama
In der Biografie „Alles oder nix“ erzählt der Rapper und Unternehmer Xatar, bürgerlich Giwar Hajabi (genannt „G“), aus seinem bewegten Leben. Nach einer schwierigen Kindheit geriet der kurdischstämmige Musiker zunächst auf die schiefe Bahn. Höhepunkt der kriminellen Karriere war 2009 ein spektakulärer Goldraub in Baden-Württemberg – von der Beute fehlt bis heute jede Spur. Jetzt hat der Altonaer Fatih Akin (49) den Stoff verfilmt. Am Donnerstag kommt seine ungeschönt harte und temporeiche Gangster-Ballade „Rheingold“ ins Kino.
MOPO: Wie sind Sie auf die Geschichte aufmerksam geworden?
Fatih Akin: Xatar und ich haben gemeinsame Bekannte, darunter Moritz Bleibtreu, der mir immer von ihm erzählt und wahrscheinlich auch Xatar von mir erzählt hat. Irgendwann sind wir uns über den Weg gelaufen. Ich wollte mehr über ihn wissen, weil er so eine faszinierende Persönlichkeit ist, habe seine Biografie gelesen und gefühlt, dass das ein ganz ungewöhnlicher Film sein könnte. Ich habe das Buch dann vom Markt weggekauft und ich bin total glücklich und stolz, das gemacht zu haben. „Stolz“ trifft es wirklich, das war ein schwieriger Film. Es war der schwierigste von allen: in vier Ländern, Omikron, Lockdown, alles zu. Das war eine Nummer.
„Rheingold“ kommt am Donnerstag in die Kinos
Hatte Giwar Hajabi einen aktiven Einfluss auf Drehbuch und Film?
Nein, er hat mich total machen lassen. Aber ich hatte ihn während der Dreharbeiten als Berater an meiner Seite. Zum Beispiel, als es um Requisiten wie die Armbanduhr ging. Für mich ist eine Uhr etwas, wo du draufschaust und was dir sagt, wann der Zug fährt. Für diese Leute ist eine Uhr etwas ganz anderes. Da geht es um die Marke, wie viel Karat und so ein Zeug. Die richtigen Schuhe, der richtige Jogginganzug. Er war aber auch sehr kritisch mit sich und hat mich immer aufgefordert, noch kritischer zu sein.
Inwiefern?
Er hat mal eine Frau in der „Playboy Mansion“ verhauen. Los Angeles kam bei mir im Film nicht vor, aber er meinte: „Dass ich die gehauen habe, muss irgendwie vorkommen. Auch als Therapie und Reflexion, als Selbstkritik.“ Daraufhin habe ich das reingeschrieben – an einem anderen Drehort und in einer anderen Situation, aber doch denselben Schlag. Und immer, wenn es was mit Rap zu tun hatte, war „G“ sehr stark involviert. Er war anfangs sehr überrascht, weil ich für ihn so ein Arthouse-Heini bin, so ein Intellektueller und mich in seinen Augen in seine Welt „herabgelassen“ habe. Er hat aber irgendwann begriffen, was ich in dem Film sehe.
Hat er auf dicke Hose gemacht, wenn er am Set auftauchte?
Nein, so etwas hat er nicht gemacht. Er war sehr kollegial, freundlich und hilfsbereit zum ganzen Team. Er war Teil der Crew und sehr bescheiden. Diese dicke Hose brauchen die in anderen Zusammenhängen.
Giwar Hajabi raubte einen Gold-Transporter aus
Glauben Sie eigentlich alles, was im Buch steht?
Die Sachen, die ich sehr interessant und komplex fand, sind da nur ganz kurz angerissen. Ich musste immer bohren: „Hey, was heißt das: Die sind aus dem Gefängnis gedribbelt. Kannst du mir das bitte mal erklären?“ Wer sitzt bei so einem Treffen wo und was tragen die? Gerade diese Mafia in Amsterdam, ich weiß gar nichts über diese Leute. Er hat mich tatsächlich mit denen zusammengebracht. Und mir erzählt, wie so etwas wie eine Schießerei abläuft. Da er so viel Detailwissen hatte – und alles wie aus der Pistole geschossen kam – glaube ich, dass vieles vielleicht doch einen wahren Kern hat.
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Hajabi war ein Krimineller, muss dem Publikum aber sympathisch bleiben. War diese Gratwanderung schwierig?
Das Ding ist: Ich stelle mir beim Schreiben diese Frage nicht. Ich schreibe die Figur erst mal so, dass ich sie glaube. Das ist ganz wichtig. Wenn man der Figur glaubt, entwickelt man automatisch eine Empathie für sie. Es hängt von der Genauigkeit des Porträts ab. Das sind die Dinge, die den Zuschauer für eine Figur einnehmen. Scarface ist ja auch keine Sympathiebombe, aber er ist glaubhaft. Hier war es so, dass viel der Sympathie und Empathie durch die Geschichte der Eltern entstanden ist. Wenn man sieht, was er schon als Kind erleben musste, dann muss er auf Seite 36 keine Katze retten. (lacht)
Emilio Sakraya ist als Xatar ideal. Wie hat er Sie überzeugt?
Der kam völlig angstfrei zum Casting. Das sind die Next-Generation-Schauspieler, die wollen es einfach wissen. Emilio hat es als Chance begriffen, dass ich ihn für eine so schwierige Rolle gefragt habe. Gewicht zulegen, rappen lernen, reden wie „G“: Das sind alles Aufgaben, die sehr schwierig sind. Er ist halt ein Vollblutschauspieler, der sagt: „Ja, genau das will ich machen! Ich will, dass es schwer ist. Einfach kann jeder.“ Er hatte beim Casting so eine Kraft, die alle Anwesenden im Raum gespürt haben. Wie ein Superheld, der etwas ausstrahlt, wodurch bei uns die Haare durch diesen Luftzug nach hinten gingen. Ich hätte den Film ohne ihn nicht machen können.
Emilio Sakraya spielt die Hauptrolle im Gangster-Epos
Haben Sie Xatar irgendwann gefragt, wo das Gold ist?
Das Geheimnis, warum Xatar und ich uns so gut verstehen und er mir so vertraut, ist, dass ich ihn nie gefragt habe. Ich komme von der Straße, da fragt man so etwas nicht. Das hat er geschnallt. Er wusste: „Okay, der Typ ist integer.“ Ich weiß nicht, wo es ist. Der Film bietet aber vielleicht eine Lösung. Xatar verrät, wo das Gold ist, in einer Art Schnitzeljagd im Film. Er stellt dir Aufgaben und wenn du die beantwortest, dann gibt es Gold.
„Rheingold“ läuft in folgdenen Hamburger Kinos: Abaton, Astor, Cinemaxx (alle), Holi, Savoy, Studio-Kino, UCI (alle), Zeise; 140 Minuten, ab 16 Jahren