Nazi-Verbrechen in Hamburg: Das Geheimnis der verschwundenen Torakrone
21 Zentimeter hoch ist sie, hat einen Durchmesser von 19 Zentimetern. Ihr Gewicht: knapp 900 Gramm. Eingeschmolzen würde das Silber keine 700 Euro einbringen. Und doch ist diese Krone von unschätzbarem Wert. Einzigartig. Unbezahlbar. Es ist ein Wunder, dass sie wieder da ist: Denn nach allem, was wir wissen, ist diese Torakrone das einzige Stück aus der alten Bornplatz-Synagoge, das Plünderung, Schändung und Zerstörung am 9. November 1938 überstanden hat.
82 Jahre sind vergangen, seit SA- und SS-Männer in die Synagoge eindrangen, auf die Tora-Rollen pinkelten und alles von Wert davontrugen. Was mit dem Silberschatz der Bornplatz-Synagoge geschah, wurde nie geklärt. Bekannt ist, dass häufiger Museen die Raubkunst an sich nahmen. Oder Sammler. Das meiste ist nie wieder aufgetaucht. Umso sensationeller, dass nun dieses Stück wieder da ist.
SS-Männer pinkelten auf die Heilige Schrift
Wie viel Geld er dafür locker gemacht hat – Daniel Sheffer (49), ein Hamburger Unternehmer und Mitglied der jüdischen Gemeinde, möchte dazu nichts sagen. „Die Zahl spielt keine Rolle – aber jeder einzelne Euro war ein Euro zu viel“, sagt er. „Zwar freue ich mich einerseits, dass wir sie wiederhaben, gleichzeitig bin ich wütend darüber, dass ich überhaupt dafür bezahlen musste. Für etwas, was uns gestohlen wurde!“
Sheffer berichtet, dass sich ein Hamburger Antiquitätenhändler erstmals vor zehn Jahren an die Gemeinde gewandt und die Krone zum Kauf angeboten habe. Judaica, also jüdische Ritual- und Alltagsgegenstände wie Chanukka-Leuchter oder eben solche Torakronen, werden auf dem Antik-Markt teuer gehandelt.
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Antiquitätenhändler bot Raubkunst an
„Da unsere Gemeinde einfach nicht über so viel Geld verfügt, kam der Kauf zunächst nicht zustande“, so Sheffer. „Zugutehalten muss ich dem Händler, dass er das Teil nicht anderweitig zu Geld gemacht, sondern regelmäßig nachgefragt hat, ob noch Interesse besteht.“
Im Frühjahr 2020 meldete sich der Händler erneut. „Wir haben uns die Krone dann mal genauer angeschaut“, erzählt Sheffer, „und dabei entdeckt, dass sich darauf eine hebräische Inschrift befindet: eine Widmung zu Ehren von Avraham Markus Hirsch.“ Und weil dieser Hirsch der erste Rabbiner der 1906 eingeweihten Bornplatz-Synagoge war, steht damit zweifelsfrei fest, woher die Krone stammt und dass sie in die Gemeinde gehört. „Auf unser Angebot, uns die Krone gegen eine Spendenquittung zu überlassen“, so Sheffer, „ging der Händler nicht ein. Er wollte Geld.“
MOPO geht der Spur der Krone nach
Von der MOPO auf den Deal angesprochen zu werden, ist dem Antiquitätenhändler heute sehr unangenehm. Er habe auf Vertraulichkeit gehofft, sagt er und rückt nur widerwillig mit der Sprache raus. Er selbst habe die Krone vor zehn Jahren von einem Haushaltsauflöser erworben. Der wiederum habe sie von einem Juwelierhaus am Jungfernstieg gekauft, als die dortige Filiale geschlossen wurde.
Welcher Haushaltsauflöser, welcher Juwelier? Dazu will er sich nicht äußern. Überhaupt will er mit Nazi-Raubkunst nicht in Zusammenhang gebracht werden …
Die MOPO geht der Spur der Krone weiter nach. Wir haben bei Juwelieren nachgefragt, die früher Läden am Jungfernstieg hatten und in Frage kommen könnten. Fehlanzeige. Niemand weiß was – oder will was wissen. Die MOPO zeigt die Krone Gutachtern. Die kommen aber auch nicht recht weiter.
Nur dass sie nach 1888 hergestellt wurde, ist ziemlich eindeutig. Das ist an bestimmten Punzen erkennbar. Der Feingehalt an Silber beträgt „800“ (von 1000). Die eigentliche Meistermarke ist leider verschlagen und nicht zu identifizieren.
Wo ist der Rest vom Silberschatz?
Trotzdem: Wir geben die Hoffnung, doch noch herauszubekommen, was mit der Torakrone in den Jahren und Jahrzehnten nach dem 9. November 1938 geschah, nicht auf: Wir setzen vielmehr darauf, dass sich möglicherweise jetzt noch Zeugen melden. Und vielleicht finden sich weitere Stücke aus dem Synagogen-Silberschatz.
Am kommenden Montag, dem Jahrestag der Nazi-Pogrome, wird die wieder aufgefundene Torakrone im Mittelpunkt einer Zeremie stehen: Hamburgs Oberrabiner Shlomo Bistritzky (43) wird auf dem Joseph-Carlebach-Platz, wo einst die Bornplatz-Synagoge stand, symbolisch aus den Händen eines Kindes in Empfang nehmen. Mit dieser Zeremonie beginnt eine bis zum 27. Januar dauernde digitale Kampagne, die das Ziel hat, mindestens 100 000 Hamburger für den Wiederaufbau des wunderschönen neoromanischen Gebäudes mit der riesigen Kuppel zu gewinnen. Der Slogan der Kampagne lautet: „Nein zu Antisemitismus – Ja zur Bornplatz-Synagoge“.
Nein zu Antisemtismus – Ja zur Bornplatz-Synagoge
Sheffer, der Käufer der Torakrone, ist auch der Initiator der Kampagne und hat schon viele Politiker, Künstler und Unternehmen als Bündnispartner gewinnen konnte. Sein ehrgeiziges Ziel ist es, Deutschlands größte Unterstützungsaktion für das gemeinsame deutsch-jüdische Verhältnis ins Leben rufen. Auf die Frage, was ihn antreibt, antwortet der 49-Jährige: „Ich glaube an unsere moderne und weltoffene Stadt. Wir haben nicht in Nazideutschland gelebt, wir leben heute. Es ist jetzt Zeit für unsere Grund- und Freiheitsrechte zu kämpfen.“
Infos zur „Initiative Wiederaufbau Bornplatzsynagoge“ hier: www.bornplatzsynagoge.org