Musiker Stoppok: „Der Shitstorm ist noch mal ’ne neue Erfahrung für mich“
Der Liedermacher und Multiinstrumentalist Stefan Stoppok (63) ist eine beständige Größe in der deutschen Rocklandschaft. Er ist in Hamburg geboren und in Essen aufgewachsen, veröffentlicht seit 40 Jahren Musik, die im Rhythm & Blues verwurzelt ist, hat etwa eine Million Tonträger verkauft und über 3000 Konzerte in Europa, den USA und sogar Indien gespielt. Auf seinem neuen Album „Jubel“ präsentiert er haltungsstarke Texte mit Witz und Verve. Die MOPO hat ihn in seinem plüschig dekorierten Keller-Studio im Nordwesten Hamburgs getroffen.
MOPO: Für die Vorab-Single „Lass sie rein“, die ein Statement für Seenotrettung ist, haben Sie einen mittelprächtigen Shitstorm kassiert. Hatten Sie damit gerechnet?
Stefan Stoppok: Schon. Ich habe diese Auseinandersetzung, die man jetzt an den Reaktionen sieht, auch selber in mir gespürt, als ich das Lied schrieb. Aber die Zeile „Lass sie alle rein“ kam nun mal angeflogen; also auch wirklich mit dem „alle“, das jetzt so viele Leute provoziert. Zuerst dachte ich: Das kannst du nicht bringen. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, ich war politisch nie korrekt. Aber dann merkte ich: Der Song will an das Menschliche.
Deshalb haben Sie ihn veröffentlicht?
Ich hatte dieses Bild im Kopf: Wenn ich sehe, da sterben welche, diskutiere ich in dieser Situation doch nicht, wen ich reinlasse und wen nicht. Dann schreie ich doch von hinten nach vorn: „Lass sie alle rein!“ Und dann gucken wir weiter. Das war die Geschichte. Wenn ich einen Song als Künstler nicht mehr mache, weil ich Angst vor der Reaktion habe, dann ist Deutschland wirklich verloren. Deswegen war irgendwann klar: Ich muss das machen, es riskieren.
Wie war das, als es auf YouTube mit den hetzenden Kommentaren losging?
Am Anfang war noch alles positiv. Erst eine Stunde nachdem Sebastian Krumbiegel das Video auf seiner Facebook-Seite geteilt hatte, kippte die Stimmung. Er steht im Fokus der rechten Brigade. Die sind super organisiert und haben dann alle drauflosgeballert. Da wurde mir erst ganz anders. Von „Systemschleimer“ über „Propaganda“ bis hin zu Morddrohungen und Drohungen gegenüber meiner Familie war alles dabei. So nach dem Motto: „Dann kannst du ja mal sehen, ob du sie alle reinlassen willst.“ „Kurtcobain“ dich doch!
Mit welchen Konsequenzen?
Bevor ich abends auf die Bühne ging, hab’ ich mich auch kurz schwach gefühlt. Aber im nächsten Moment dachte ich: Was ist das denn für ’ne Scheiße? Ich knick doch jetzt nicht wegen ein paar Idioten ein! Die Leute von meiner Tour-Crew waren alle ein bisschen umsichtiger. Aber dann wurde auch ganz schnell klar, dass das einfach nur Hater sind, die mich als Künstler gar nicht kennen. Die Kommentarfunktion haben wir auf YouTube trotzdem geschlossen, um dem kein Forum zu geben.
Haben Sie keine Angst, echte Fans zu verprellen?
Letztens hab’ ich einem ausführlich geantwortet, der geschrieben hatte, er sei seit 30 Jahren Fan, würde alle Lieder kennen, aber als er „Lass sie rein“ hörte, war für ihn klar: Er kann zu keinem Konzert mehr kommen. Das kann ich nicht verstehen. Gerade wenn jemand mich als Künstler kennt, mein Bestreben nach Unabhängigkeit, mein Bestreben nach Ehrlichkeit, könnte er doch einfach sagen: „Nee, Stoppok, das unterschreib ich nicht.“ Aber das ist ja fast wie Bücherverbrennung! Wenn er alles, was Stoppok je gemacht hat, beerdigt.
Deutliche Worte …
Ich bin kein Politiker, aber hab’ nie mit meiner Meinung hinterm Berg gehalten. Ich traf neulich den Chef von „Sea-Eye“ hier in Hamburg. Die retten im Mittelmeer Menschen und wissen auch nicht, was danach mit denen passiert. Sie können es nur einfach nicht ertragen, dass die Leute da sterben, und setzen ihr Leben aufs Spiel. Das sind Helden für mich! Und die werden hier beschimpft als Schlepper und Volksverräter. Das ist unbegreiflich. Als Künstler sehe ich meine Aufgabe darin, Impulse zu setzen, keinen Hass zu säen, sondern Liebe.
Trotz stürmischer Zeiten heißt Ihr Album „Jubel“.
Mir ist erst viel später eingefallen, dass es 40 Jahre seit meinem ersten Album sind. Ich für mich kann wirklich jubeln: Ich mache das, was ich liebe, bin unabhängig von musikalischen und gesellschaftlichen Strömungen. Es gibt keine Einbrüche. Und ich jubele, weil ich so kreativ bin.
Sie bejubeln sich quasi selbst.
Das muss man auch mal machen!
Album: „Jubel“ (Grundsound) Konzert: 28.3., 20 Uhr, Fabrik, 37 Euro