Zehn Jahre Islamverträge: Auch Extremisten unter Vertragspartnern
Vor zehn Jahren schlossen der Hamburger Senat und die islamischen Gemeinschaften einen Vertrag: Die Verbände wurden staatlich anerkannt, im Gegenzug legten sie ein Bekenntnis zum Grundgesetz ab. Doch von Anfang an war klar: Eine Gemeinschaft hält sich nicht an diese Vereinbarung. Die kraftvolle Protestwelle im Iran setzt nun auch Hamburg unter Handlungsdruck.
Immer wieder hat es in den letzten zehn Jahren demonstrative Gesten der Toleranz gegeben: Kirchentagsbesucher wurden 2013 vom Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) in die Blaue Moschee an der Alster eingeladen. Erzbischof Stefan Heße besuchte 2016 das schiitische Gotteshaus im Rahmen eines Kinderleseprojekts. Eine ehemalige Kirche wurde vom islamischen Al-Nour-Verein gekauft und 2018 feierlich als Moschee eröffnet. „Das läuft wirklich wunderbar“, sagte der Vereinsvorsitzende Daniel Abdin über die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft in Hamburg-Horn.
Am 13. November 2012 hatte der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zwei Verträge unterzeichnet: einen mit dem Landesverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), mit der Schura – Rat der Islamischen Gemeinschaften sowie mit dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Den zweiten Vertrag unterschrieben Scholz und der damalige Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Hüseyin Mat.
Den Anstoß zu den Verträgen hatte 2006 der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gegeben. Bei den Vereinbarungen geht es um Rechte und gegenseitige Verpflichtungen in verschiedenen Lebensbereichen, etwa um die Gleichstellung von Mann und Frau, den Religionsunterricht an Schulen, Bestattungs- und Feiertagsregelungen sowie das Bekenntnis zum Grundgesetz. Wörtlich heißt es: „Die Freie und Hansestadt Hamburg und die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich zu den gemeinsamen Wertegrundlagen der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.“
Ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung stimmte die Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken den Verträgen zu. Auch einige CDU-Abgeordnete und ein Mitglied der FDP-Fraktion votierten dafür. Doch es gab auch Kritik – die nicht verstummte.
Anfang 2017 forderten FDP und AfD in der Bürgerschaft die Kündigung der Vereinbarungen. Die CDU verlangte eine Aussetzung des Regelwerks allein mit der Ditib. Doch die rot-grüne Koalition lehnte das ab. Ein Sprecher des Senats sagte: „Wir sehen derzeit keine Veranlassung, die Verträge auf den Prüfstand zu stellen oder neu zu verhandeln.“
Das Thema wurde zum Dauerbrenner: Ein Jahr später sorgten Äußerungen des damaligen Schura-Vorsitzenden Mustafa Yoldas erneut für Kritik. Auf Facebook hatte er eine türkische Militär-Offensive gegen kurdische Milizen im Nordwesten Syriens mit teils martialischen Worten befürwortet. Auch 2019 und 2020 debattierte die Bürgerschaft über die Verträge.
Islamisches Zentrum: Teherans Außenposten in Hamburg
In den Fokus geriet verstärkt das schiitische IZH. Das proiranische Zentrum wird vom Hamburger Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft und seit 1993 in seinem jährlichen Bericht erwähnt. Der Vorwurf: Eine antisemitische und antidemokratische Ausrichtung. Konkret heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht von 2021: „Das IZH (ist) ein wichtiges Instrument des Teheraner Regimes zur Etablierung einer antidemokratischen und antisemitischen Ausrichtung des schiitischen Islam nach Vorbild der iranischen Staatsideologie innerhalb Europas“.
Noch 2020 verteidigte der Senat die Islamverträge so: „Die Ausrichtung des IZH war beim Abschluss der Verträge bekannt. Senat und Bürgerschaft hatten dies mit dem Nutzen schriftlicher Verträge als Grundlage für eine Zusammenarbeit im Sinne der Integration abzuwägen.“
Doch im September 2022 drehte sich der Wind: Mit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeihaft begann eine neue, kraftvolle Protestwelle im Iran. In Hamburg wurde die Kritik an dem indirekten Vertragspartner, der als Außenstelle Teherans in der Hansestadt gilt, noch stärker. Nun schaut auch Berlin auf das IZH: Der Bundestag sprach sich am vergangenen Mittwoch für seine Schließung aus. Daraufhin erklärte sich die Hamburger Innenbehörde schließlich dazu bereit, bei einem Verbotsverfahren des Bundesinnenministeriums jede Unterstützung zu leisten.
Nach Protesten im Iran: Bundestag will Islamisches Zentrum Hamburg schließen
Bis zum Jahresende läuft in Hamburg eine offizielle Evaluation der Verträge. Zugleich berät die Schura nach Angaben ihres Vorsitzenden Fatih Yildiz darüber, ob die Mitgliedschaft des IZH zunächst ruhen soll. Für die CDU in der Bürgerschaft ist klar: „Mit Extremisten ist kein Staatsvertrag zu machen.“ Das Ergebnis der Evaluation könne nur lauten: „Solange das IZH ein Teil der Schura ist, muss der Staatsvertrag ausgesetzt werden.“ Die Hamburger SPD scheint das inzwischen ähnlich zu sehen. Ein Landesparteitag forderte kürzlich den Ausschluss des Zentrums aus der Schura.
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Wie viele Hamburger sich zum Islam bekennen und von den Gemeinschaften repräsentiert werden, ist unklar. 2012 lebten nach damaligen Schätzungen rund 130.000 Muslime und 50.000 Aleviten in Hamburg. Nach der Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge aus Syrien und anderen mehrheitlich islamischen Ländern dürfte die Zahl in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen sein. Eine aktuelle Schätzung gibt es nach Angaben der Innenbehörde aber nicht. (dpa/ps)