„Hoffentlich gemeinsam“: St. Paulis Trainer Schultz kämpft um seinen Job
Eines schickt Andreas Bornemann gleich vorweg, und zwar „klar und deutlich: Keiner im Verein ist mit dieser Halbserie auch nur ansatzweise zufrieden“, sagt St. Paulis Sportchef am Dienstagvormittag, als er gemeinsam mit Timo Schultz am Millerntor das Jahr 2022 und die Hinrunde der laufenden Saison resümiert. Klar ist auch: Es ist derzeit offen, ob Schultz in der Rückrunde noch Trainer der Kiezkicker ist.
„Die Temperaturen passen so ein bisschen zu unserer Tabellensituation“, sagt Bornemann und wer nicht gerade auf nasskalte acht Grad abfährt, der weiß auch ohne Blick auf die Platzierung des FC St. Pauli nach der Hälfte der Zweitliga-Saison: Es sieht nicht gut aus. Rang 15, nur das Torverhältnis bewahrt den Verein aktuell vor einem Abstiegsplatz.
St. Paulis Sportchef Bornemann: „Wir sind noch mitten in der Aufarbeitung“
Das ist der Status quo, den Sportchef und Trainer einordnen und dessen Ursachen sie erörtern. Wobei das letzte Spiel erst wenige Tage zurückliegt und Bornemann betont: „Wir sind noch mitten in der Aufarbeitung.“
Eine gewöhnliche Aussage im Fußball-Geschäft. Eigentlich. Denn kennt man die vorangegangene Frage, weiß man: Schultz kämpft um seinen Job. Die Frage lautete, ob der 45-Jährige auch beim Rückrundenaufktakt in Nürnberg noch auf der Bank sitzen würde.
Von Bornemann gibt es, und das überrascht vor Abschluss der gemeinsamen Analyse nicht: kein klares Bekenntnis. „Es wird jetzt – und darauf lege ich Wert – eine gemeinsame Aufarbeitung erfolgen, nach der wir hoffentlich gemeinsam die richtigen Hebel und Lösungen finden, um der schwierigen Situation zu begegnen“, sagt er. „Hoffentlich gemeinsam“ – das ist die entscheidende Einschränkung.
FC St. Pauli: Timo Schultz ist „felsenfest“ von der Wende überzeugt
Schultz wird darlegen und Bornemann überzeugen müssen, wie seine Mannschaft die guten Anlagen zu mehr Zählern nutzen kann und wohl auch den Willen zu Veränderungen in seiner Arbeitsweise zeigen müssen. Denn: „Wir müssen uns nichts vormachen: Wir brauchen mehr Siege und Punkte“, sagt Schultz, der nicht nur zuversichtlich wirkt, sondern auch kämpferisch.
Schultz verweist auf Fortschritte. Die Abwehr lasse mit Fünferkette weniger zu, die jüngste Mannschaft der Liga sich – siehe das 4:4 in Karlsruhe – nicht mehr so leicht von Rückständen aus der Bahn werfen wie etwa in Rostock. „Die Mannschaft lebt, ist intakt, hat Bock!“
Aber sie hat nur 17 Punkte nach 17 Spielen, steht auf Platz 15. Das liegt auch an den acht Unentschieden. „Wir sind die Remis-Könige“, so Schultz. „Viele Spiele, die Spitz auf Knopf waren, konnten wir nicht auf unsere Seite ziehen.“ Ein Manko.
Krise beim Kiezklub: Timo Schultz gibt sich auch selbstkritisch
Und da ist die Auswärtsschwäche (kein Sieg seit Februar). „Das müssen wir noch konkreter angehen“, sagt Schultz und nennt es sein „Hoheitsgebiet, die Jungs so darauf vorzubereiten, dass wir auch auswärts stabil sind“. Ein Muss.
Nicht das einzige Mal, dass er Selbstkritik übt; auch bei der Chancenverwertung der viel kritisierten Stürmer nimmt er sich in die Verantwortung. „Vielleicht habe ich den Fehler gemacht, es zuzulassen, dass es zu früh zu krass thematisiert wurde. Das Thema ist ja Fakt, aber das sind alles junge Bengel, das nagt natürlich an denen.“
Es herrscht Einigkeit in den allermeisten Fragen zwischen Sportchef und Trainer, einmal demonstrieren sie das sogar per Handschlag. „Einen Stürmer, der 20 Tore macht, den nehmen wir, oder?“, fragt Bornemann den Trainer, als es um Zweifel an der Qualität der vorhandenen Angreifer geht. Die ja immer auch Kritik an seiner Einkaufspolitik implizieren.
Sportchef Bornemann spricht über mögliche Transfers im Winter
Scherz beiseite. Der Ernst der Lage, betont Bornemann, ist den Verantwortlichen bewusst. „Es ist niemand so blauäugig, diese Situation zu unterschätzen.“ Gleichzeitig „wird eine Schwarz-Weiß-Betrachtung nicht zu einem Ergebnis führen“. Mit anderen Worten: Es sind nicht nur die Stürmer schuld oder fehlendes Tempo. „Zu sagen: Wir brauchen einen großen Stürmer und einen, der 35 km/h rennt, dann rocken wir die Liga – das ist doch verkürzt“, meint Bornemann und differenziert.
Im „Fundament“ aus Nikola Vasilj, Leart Paqarada, Eric Smith, Jackson Irvine und Marcel Hartel, auf das St. Pauli „extremst angewiesen“ sei, habe es anfangs durch Wechselgedanken, später durch Verletzungen und Sperren immer wieder Risse gegeben. Spieler aus der ehemals zweiten Reihe wie Lukas Daschner oder Igor Matanovic sind weniger in die erste gerückt als erhofft. Die schlechte Rückserie der Vorsaison mit „negativen Schwingungen“ habe längere Auswirkungen gehabt.
Bornemann weist auf die Herausforderungen bei der Kaderzusammenstellung hin: „Es ist ein permanenter Abwägungsprozess: Wie viel Entwicklungsperspektive können wir dem Kader hinzufügen?“ Die kurzfristige Antwort lautet: Es war wohl zu viel. Mittelfristig kann das anders aussehen.
Schultz wird zum Kämpfer – um seinen Job
Ein Knackpunkt ist laut Schultz auch der Umgang mit individuellen Fehlern, die zu oft zu Toren führten, aber kollektiv besser hätten korrigiert werden können. Es habe häufig die „Retter-Mentalität“ gefehlt, „füreinander da zu sein, den Fehler auszubügeln.“ Dies müsse besser werden.
Fehler ausbügeln, das passt eigentlich ganz grundsätzlich. „Jetzt eine längere Phase der intensiveren Aufarbeitung zu haben, ist in unserer speziellen Situation sicher kein Nachteil“, sagt Bornemann, denn: „Die größte Schwierigkeit ist, wenn du in einer Abwärtsbewegung bist, sich wieder zu stabilisieren.“
Dafür kämpft Schultz. „Wenn ich es mir nicht mehr zutrauen würde und das Gefühl hätte, ich würde die Mannschaft nicht mehr erreichen, dann wäre ein Punkt gekommen, wo ich mich als Trainer fragen müsste, ob das noch sinnvoll ist“, sagt er. „Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir aus dieser Phase herauskommen, das Ruder herumreißen, als Mannschaft gestärkt aus der Situation hervorgehen und eine gute Rückrunde spielen.“