Die Vergabe der WM 2022 an Katar kam wohl für alle überraschend, nur für die Fifa-Funktionäre nicht.
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Gucken oder nicht? Warum ich zwar Fußball liebe, aber diese WM ignoriere

Ob in der Familie, im Freundeskreis oder unter Kollegen: Überall wird darüber diskutiert, ob man sich die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar anschaut – oder den Fernseher lieber auslässt. In der MOPO schreiben zwei Redakteure, wie sie es halten. Hier der Standpunkt von MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann:

Ich hab keinen Bock auf diese WM. Gar keinen. Was gut ist, weil ich so nicht dramatisch von einem Boykott reden muss, wenn ich zu der Knallerpartie Katar gegen Ecuador, die ausgerechnet am Totensonntag angepfiffen wird, anschließend nicht viel zu sagen habe.

Ich kann einfach sagen: Ich hatte keine Lust. Eigentlich bin ich Fifa-Boss Giovanni Infantino und seiner geldgeilen Gang sogar dankbar. Unübersehbarer hatte zuvor niemand auf den Punkt gebracht, um was es ihnen geht. Und das hat schon was zu sagen. Cash, Cash, Cash, jetzt ist die Katze so was von aus dem Sack.

Katar: Diese WM törnt mich ab

Und wenn Fußball vermarktet wird, als wäre eine Bande von Zuhältern mit Größenwahn am Ruder, dann kommt am Ende so ein obszöner Klops dabei raus.

Maik Koltermann ist Chefredakteur der MOPO und lässt sich vom Fußball eigentlich begeistern. Florian Quandt
Maik Koltermann ist Chefredakteur der MOPO und lässt sich vom Fußball eigentlich begeistern.
Maik Koltermann ist Chefredakteur der MOPO und lässt sich vom Fußball eigentlich begeistern.

Mich empört im Kontext der WM weniger, dass in Katar die Dinge anders laufen als bei uns. Genauer: in Teilen beklagenswert schlecht. So was soll’s ja auch anderswo geben. Und solange die Saudis politische Gegner zerstückeln und danach von uns Waffen bekommen und in Russland gespielt wurde, obwohl Putin schon damals der Autokrat und Kriegstreiber war, als den wir ihn heute erst erkennen, stehen die homophoben Katarer ja fast als Lichtgestalten da.

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Der Punkt ist: Diese WM törnt mich so ab, weil sie in ihrer absurden Großkotzigkeit all das ins Scheinwerferlicht stellt, womit die Verantwortlichen den Fußball seit Jahrzehnten schädigen. 200 Milliarden Dollar hat Katar für das Turnier ausgegeben, heißt es. Das ist grotesk. Was man damit alles Sinnvolles und Gutes hätte tun können.

Und weil die Fifa damit durchkommt. Mit all der korrupten, gierigen Dekadenz, die dann auch noch einen pseudo-wohltäterischen Anstrich bekommt.

Selbstbetrug funktioniert nicht mehr

Weil diese ehrenwerte Gesellschaft aus der Schweiz den Fußball ausbeutet und verschachert – und niemand sie stoppen kann. Oder es nur ernsthaft will. Alles ist eindeutig und sichtbar. Und der Selbstbetrug, den ich lange pflegte, der funktioniert nicht mehr.

Die HSV-Fans machten im letzten Heimspiel ihre WM-Abneigung deutlich. dpa
Die HSV-Fans machten im letzten Heimspiel ihre WM-Abneigung deutlich.
Die HSV-Fans machten im letzten Heimspiel ihre WM-Abneigung deutlich.

Aber Messi und Neymar und so! Das Spektakel! Das Hochamt für den Fußball! Genuss! Bringt die Völker zusammen! Mag sein. Ich hab aber auch keine Lust mehr auf aufgeblasene Super-Egos, die Teil des Problems sind, weil sie selber nicht den Hals vollkriegen und für Geld meist auch noch den größten Mist mittragen: Hey, wir sind ja nur die Spieler, was können wir schon tun? Für den Anfang: anständig Steuern zahlen?

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Der internationale Profi-Fußball ist zu einer Karikatur des Turbo-Kapitalismus gemacht worden: wachsen, wachsen, wachsen. Egal wie. Und klar ist: Wer konsumiert, „der gibt der Zicke Futter“, wie der Uni-Dozent eines Kumpels zu sagen pflegte. Und trägt das mit. Was kein Vorwurf ist, sondern eine Feststellung.

Fifa erwartet einen Gewinn von sechs Milliarden Dollar

All die Leute, die das Spiel verkaufen. All die, die die Hand aufhalten. Alle die, die mit dranhängen. Fifa. Uefa. DFB. Funktionäre. Klubs. Spieler. Sponsoren. Medien. Kein Ausweg in Sicht. Korruption? Ja, darüber müssen wir reden. Tote? Ja, furchtbar. Aber: The Show must go on. Bringt ja auch alles am Ende nichts.

Jedes prunkvolle katarische Stadion flüstert während des Spiels leise: Ich stehe hier, weil Leute mit großem Ego und Gier nach mehr Einfluss mich brauchen. Nicht der Fußball. Ich bin ein Schlag ins Gesicht derer, die versuchen, Dinge irgendwie richtig zu machen, in Zeiten in denen so vieles falsch läuft.

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Das krieg ich nicht ausgeblendet. Das verleidet mir alles. Und die kläglichen Versuche, uns einzulullen, sind fast das Schlimmste. Für wie doof hält man uns? Ich wende mich ab. Nicht um ein Zeichen zu setzen. Sondern schlicht weil’s mich ekelt. Und wer kann sich dem schon entziehen? Geradezu tragisch die Werbung, mit der ARD, ZDF und Telekom im Vorfeld Festtagsstimmung entfachen wollen. Ja, klar, das wird ein Spaß.

Die Fifa erwartet von diesem Turnier einen Gewinn in Höhe von sechs Milliarden Dollar. Sechs. Milliarden. Dollar.

Ich wünsche jedem, der all das ausblenden kann, viel Spaß mit diesem Turnier. Und das meine ich ernst. Ich gönne jedem Entspannung und Vergnügen. Die MOPO wird das Turnier natürlich begleiten. Sportlich, politisch, kritisch. Weil das eben auch für uns anders kaum denkbar ist (s.o.).

Aber privat geb ich Geld, Aufmerksamkeit und Zeit lieber dem FC Süderelbe bei uns im Viertel. Kicken können die auch ganz gut. Aber sie nerven mich nicht so.

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