Exil in Bullerbü: Wie Corona uns zur Flucht aufs Land trieb
Schafe, Engstirnigkeit, weite Wege – das war immer mein Bild vom Landleben. Niemals hätte ich meinen Wohnort im Zentrum der quirligen Großstadt aufs Dorf verlegt, so wie es einige Freunde taten, sobald sie Kinder bekamen. Doch dann kam Corona. Und plötzlich war alles anders.
Mein Leben lang habe ich mitten in Hamburg gewohnt. Nie hat mich der Lärm der U-Bahn gestört, die in meiner Kindheit vor unserem Wohnzimmer entlang fuhr. Nie hat mir das Grün in meinem weitgehend versiegelten Stadtteil gefehlt. Wozu Ruhe suchen, wenn doch der Puls der Zeit ständig Eindrücke, Abenteuer und Perspektivwechsel bietet?
Hamburg: Corona machte die Wohnung zum Gefängnis
Wir haben kein Auto. Das Fahrrad ist für mich Fortbewegungsmittel, Sportgerät, Meditationszone und Klimaschutzbeitrag in einem. Das ist mir ebenso wichtig, wie die große Auswahl an Bäckereien in Hamburg, an netten Cafés, Kneipen oder Restaurants. Meine Freunde und die meiner Kinder wohnen um die Ecke und der Spontanbesuch im Kino ist jederzeit möglich.
Doch als am 16. März der pandemiebedingte Lockdown verfügt wurde, kam all das, was unser Leben sonst bestimmt, zum Erliegen. Die Bäcker waren zu, die Lokale auch, das Fahrrad blieb im Keller. Die Schulschließung und die Sperrung des Spielplatzes, der einzigen Grünfläche in unserer Nähe, fesselte meine Kinder zu Hause. Die Wohnung wurde zum Gefängnis für uns alle vier.
Nach einer Woche zogen wir zu Freunden aufs Dorf
Schon nach wenigen Stunden flogen die Fetzen. Geschrei, Gepolter, Streit – die Nerven lagen blank. Und die der Nachbarn mit Sicherheit auch. Eine Woche ging das so. Dann rief mein Mann verzweifelt bei unseren Freunden auf dem Dorf an und bat um Asyl. Wir bekamen es, packten die Sachen und zogen auf den alten Resthof in der Elbmarsch.
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Was zunächst nur als Verschnaufpause gedacht war, entwickelte sich zur Dauerlösung. Morgens machten die Kinder zusammen mit den Kindern der Freunde ihre Schulaufgaben. Nachmittags spielten sie zu siebt im Wald, im Garten, ritten die Ponys oder streichelten die Babykatzen, während wir ganz normal im Homeoffice unseren Jobs nachgehen konnten.
Joggen am Deich statt urbanes Fitnessstudio
Mein Sportprogramm setzte ich zunächst per Zoom-Schaltung in mein Fitnessstudio nach Hamburg fort. Doch mehr und mehr verlagerte sich auch unser erwachsenes, die vier Wände gewohntes Leben nach draußen. Ich entdeckte den Deich als Joggingstrecke und freute mich über die Schafe, die mir als Zaungäste auf dem Weg begegneten.
Bei einer Kanutour auf der Neetze zeigte mir meine Freundin ein Haus, das kürzlich für wenig Geld verkauft worden war. Es war ein riesiges, schönes Fachwerkhaus. Mit Obstbäumen und Blumengarten.
Die Suchanzeigen für Umland-Häuser häuften sich
Am Abend ertappte ich mich dabei, wie ich im Internet nach Häusern in der Elbmarsch suchte. Ein ganzes Haus – nur für uns allein! Mit Garten zum Spielen für die Kinder! Was in Hamburg unbezahlbar wäre, wäre hier möglich. Im Laufe der Zeit beobachtete ich, wie plötzlich mehr und mehr Suchanfragen nach Häusern in dieser Gegend auftauchten. Ich war nicht die einzige mit der Idee!
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Zwei Monate ging unser Leben auf dem Land. Dann öffneten im Mai die Schulen wieder. Wir mussten zurück in die Großstadt. Der Abschied war traurig – von den Freunden, den Kätzchen, dem schönen Hof, dem vielen Platz. Und ja – auch von den Schafen.
Das Großstadtleben hatte uns schnell wieder
Mit der Rückkehr endete die Suche nach dem Resthof im Umland abrupt. Das Großstadtleben hatte uns schnell wieder. Hektik und Stress bestimmen wieder unseren Alltag. Für Träume ist keine Zeit. Nur einmal habe ich nochmal nach einem Haus geguckt. Denn mehr Platz könnten wir gut gebrauchen.
Als Radius gab ich fünf Kilometer ein – zu unserer Wohnung im Stadtzentrum. Die astronomische Preise beerdigten diese fixe Idee für immer. Bald fahren wir wieder zu unseren Freunden in die Elbmarsch – fürs Wochenende. Vielleicht dürfen wir ja öfter mal kommen.